Ohne Stahl und Strahl

Von Uwe Friedrich · 08.06.2008
In Berlin mutiert "Der fliegende Holländer" zu einem Vorläufer der Globalisierung, der seine Auftritte im Börsensaal absolviert. Doch weder die Ideen von Regisseurin Tatjana Gürbaca noch die stimmlichen Qualitäten der Darsteller überzeugten. Das Publikum in der Deutschen Oper quittierte es mit heftigen Buh-Rufen.
Der Holländer überlebt, während Senta sich mit der Schere die Halsschlagader aufschneidet und verblutet. Vorher hat die Hysterikerin mit Helfersyndrom ihren Verlobten Erik auf dieselbe Weise erledigt, während der Holländer grinsend überlebt. Wieder ist ein naives Mädchen willig für ihn in den Tod gegangen, während er in aller Ruhe weiter ziehen kann, um sein unheilvolles Werk fortzuführen.

Als einen Vorläufer der Globalisierung sieht die Regisseurin Tatjana Gürbaca den ruhelosen Mann, der nur alle sieben Jahre an Land darf. Seinen ersten Auftritt hat er in einem Börsensaal, wo er recht unspektakulär aus einer Vitrine kommt, während die Händler auf dem Parkett in Tiefschlaf sinken. Nur ein junges Senta-Double erkennt ihn und will ihn sofort erlösen - was auch immer das heißen mag.

Sämtliches maritime Treiben hat Gürbaca gemeinsam mit ihrem Bühnenbildner Gisbert Jäkel abgewöhnt. Bucht, Hafen, Landeplatz und Boote werden ersetzt durch DAX-Kurven und Aktiencoupons. Das beißt sich zwar aufs Schärfste mit dem gesungenen Text, aber mit solchen Kleinigkeiten hält sich bekanntlich kaum noch ein Regisseur auf.

Die Spinnerinnen des zweiten Akts sitzen in einem Kosmetiksalon und hübschen sich auf für die heimkehrenden Jungs. Das Hafenfest des dritten Akts spielt in einem Festsaal, der ebenso atmosphärefrei im Einheitsbühnenbild eingerichtet wird die vorhergehenden Bilder.

Zwar hat die Regisseurin einige vereinzelte Ideen, wie die verstörende Schlusspointe, so ziehen sich Senta und der Holländer während des großen Duetts im zweiten Akt bis auf die Unterwäsche aus und Senta nimmt in einem Akt der Überidentifikation Hemd und Mantel des Holländers an, doch die kann die Splitter nicht zusammenfügen. Böse Mehrheitsgesellschaft sorgt für den Untergang der Außenseiter, das ist bei einigem guten Willen die flache Botschaft der langweiligen Veranstaltung.

Als einziger Sänger vermag der dänische Bassbariton Johan Reuter in der Titelrolle zu überzeugen. Nobel und elegant singt er die großen Verzweiflungsbögen, kann unangestrengt die Nöte des Fluchbeladenen deutlich machen. Ricarda Merbeth kann zwar die Klippen der schwierigen Partie umschiffen, singt mit recht matter Stimme jedoch so problembewusst, dass kaum einmal eine Melodie natürlich aufblüht. Geradezu grotesk unterbesetzt ist ihr Verlobter Erik mit dem Mozarttenor Matthias Klink.

Zurzeit ist es groß in Mode, Heldentenorrollen äußerst lyrisch zu besetzen, doch den weichen und allenfalls mittelgroßen Stimmen fehlt es an Durchschlagskraft, an Stahl und Strahl. Zwar kann auch dieser Tamino auf Abwegen einige hübsche Effekte erzielen, doch dafür muss er sich schon freuen, wenn er überhaupt über das Orchester kommt.

Der Dirigent Jacques Lacombe verschleppt dazu noch die Tempi, lässt bereits die Ouvertüre heillos auseinanderfallen und bringt den Chor immer wieder rhythmisch aus dem Tritt - damit befindet er sich durchaus in der Tradition des zurückgetretenen Generalmusikdirektors Renato Palumbo, für den er einspringen musste.

Ein weiteres Mal wurde an der Deutschen Oper ein Repertoireklassiker versenkt, der doch eigentlich automatisch für ein volles Haus sorgen müsste. Das Premierenpublikum lehnte diese Arbeit mit einem Buhsturm von seltener Heftigkeit ab. Wenn doch ähnlich große Emotionen bloß von der Bühne ausgegangen wären.


Der fliegende Holländer
Von Richard Wagner
Inszenierung: Tatjana Gürbaca
Deutsche Oper Berlin