"Ohne Einschränkung"

Von Carsten Probst · 10.02.2009
Die Erben von Kunstsammlern, deren Schätze sich die Nationalsozialisten angeeignet hatten, haben einmal mehr Recht bekommen. Das Landgericht Berlin verurteilte das Deutsche Historische Museum, sich nicht länger zu verweigern und die berühmte Plakatsammlung von Hans Sachs an dessen Sohn Peter zurückzugeben.
Das Besondere an diesem Fall: Der Sammler selbst glaubte, seine Sammlung sei in den Wirren des Krieges verloren gegangen, weshalb er Anfang der 60er-Jahre eine Entschädigung der Bundesregierung akzeptierte. Erst fünf Jahre später erfuhr er, dass sich die Sammlung in der DDR befand.

Ein Blick in die Washingtoner Erklärung, und man kommt zu dem Schluss: Das Urteil ist gerecht. Vor allem ist es moralisch gerecht. Denn die historische Ausgangslage ist eindeutig: Demnach wurde Hans Sachs, seinerzeit einer der bedeutendsten Plakatsammler weltweit, von den Nazis gezwungen, große Teile seiner Sammlung zu veräußern, ehe er gerade noch in die USA fliehen konnte, um Leib und Leben zu retten.

Zuvor war er bereits im KZ Sachsenhausen interniert gewesen, aus dem er jedoch hatte entkommen können. Und ein Privatmuseum, das Sachs in den dreißiger Jahren im Berliner Stadtteil Nikolassee für seine Plakatsammlung eingerichtet hatte, wurde von der Gestapo konfisziert und aufgelöst. Genau diese Fälle sind es, die die Washingtoner Erklärung ihrem Geist nach meint. Mag ein juristischer Anspruch der Erben auf Rückgabe inzwischen auch verjährt sein – der moralische Anspruch auf Rückgabe von widerrechtlich erworbenem Kulturgut besteht weiterhin.

Nun muss man wissen: Die freiwillige Rückgabe, wie sie die Washingtoner Erklärung fordert, ist längst gescheitert. Das Deutsche Historische Museum Berlin unter seinem Direktor Hans Ottomeier verweist darauf, dass es doch wohl im Sinne des 1974 verstorbenen Sammlers Hans Sachs sei, wenn seine wertvolle Plakatsammlung in einem großen öffentlichen Museum verwahrt und von Fachleuten gepflegt werde.

Und die sogenannte Limbach-Kommission, die für solche Streitfälle eigens eingesetzt wurde, kam vor zwei Jahren zu einem ähnlichen Ergebnis. Sie empfahl, die Sammlung im Museum zu belassen, denn Sachs habe in den sechziger Jahren schließlich bereits eine Entschädigung in Höhe von umgerechnet 600.000 Euro für diese Sammlung erhalten und sich danach in einem Brief zufrieden mit dieser Lösung gezeigt.

Doch Peter Sachs, der heute ebenfalls schon betagte Sohn des Sammlers, ist mit dieser Regelung nicht zufrieden. Er möchte diese Sammlung zurückhaben. Da die freiwillige Rückgabe aber gescheitert ist, zog er nun vor Gericht und bekam Recht. Das ist bemerkenswert, eben weil die Vorgaben der Washingtoner Erklärung zivilrechtlich nicht einklagbar sind. Wenn man formaljuristisch argumentieren wollte, wie der Anwalt des Deutschen Historischen Museums Lutz von Pufendorf, dürfte es dieses Urteil also überhaupt nicht geben. Kein Gericht der Welt wäre zuständig. Denn es ginge "nur" um Moral.

Anwalt von Pufendorf ist einer der Wortführer der Restitutions-Skeptiker. Diese beharren auf dem Standpunkt: Einen Rechtsanspruch auf Rückgabe von in der Nazizeit enteignetem Kulturgut gibt es nicht, und wenn ein Museum nicht freiwillig zurückgeben will, dann haben die Erben eben Pech gehabt. Gegen das Urteil will er nun in Revision gehen.

Aber das ist die alte Denke, die jahrzehntelang die Museen gerade auch in der alten Bundesrepublik ihre unrechtmäßigen Schätze hat horten lassen. Stichwort Provenienzforschung: "Wir doch nicht!" Langsam, quälend langsam setzt sich ein Bewusstsein für die moralische Verpflichtung gegenüber der Geschichte und den Erben durch. Dieses Urteil ist das richtige Signal zur richtigen Zeit und in diesem Sinn ein Glücksfall für unser Land.