Oh Miss Obama

10.04.2011
Michelle Obama, die First Lady der Vereinigten Staaten, engagiert sich für die Verschlankung von Kindern. Nun ist sie selbst Mutter zweier halbwüchsiger Töchter. Kürzlich hat sie sich zu deren Körperform öffentlich geäußert. Unser Lebensmittelchemiker geriet darob ins Grübeln.
Die First Lady der USA macht sich Sorgen. Und zwar um ihre Töchter. Sie würden, so die Beobachtung der aufmerksamen Mama Michelle, schon Speck ansetzen und pummelig werden. Als unbefangener Beobachter möchte man meinen, die Töchter kämen ganz nach ihrer Frau Mutter. Aber die Bilder, die die beiden neun- und zwölfjährigen Obama-Mädchen in den Medien zeigen, sind so unauffällig wie die Geographiekenntnisse eines Durchschnittsamerikaners.

Von wegen pummelig. Aber Mama macht sich Sorgen um den BMI - den Body Mass Index - ihrer Kinder und diskutiert dies in aller Öffentlichkeit. Schließlich hat sie in den USA eine Kampagne namens "Let’s Move" ins Leben gerufen, mit der die Kids der Nation endlich schlank werden sollen: nämlich durch die Allzweckwaffen Salat und Sport.

Wie erhebend muss es für ein Kind sein, wenn sein Körper öffentlich zur Diskussion steht: ich wüsste keinen besseren Weg die Selbstachtung eines Kindes zu treffen, als ihm sorgenvoll zu vermitteln, sein Körper sei nicht okay. Es hat ab dann bei jeder Mahlzeit ein schlechtes Gewissen und schämt sich, wenn es auf dem Sofa lieber schlaue Bücher liest statt rumzuturnen.

Kampagnen dieser Art bringen deshalb auch manch einen Therapeuten auf die Palme: "Wir erzählen unseren Kindern", so empörte sich eine Ärztin in der Fachpresse, "dass sie nicht in Ordnung sind, und wir treiben damit viele von ihnen in die offenen Arme von Magersucht und Bulimie".

Sehr geehrte Frau Obama, darf ich Ihnen ein Geheimnis verraten? Ihre zwölfjährige Tochter kommt gerade in die Pubertät – und da ändert sich die hormonelle Lage, bei Mädchen werden Fettpölsterchen angelegt. Das ist so natürlich wie der Sommer, der auf den Frühling folgt. Was Sie bei Ihrem Kinde sehen, ist Reservefett, damit Ihre Tochter später als erwachsene Frau in der Lage ist, auch bei knappen Ressourcen eine Schwangerschaft auszutragen. Wenn der Fettgehalt des Körpers nicht steigt, dann brauchen Sie auch nicht mehr auf Enkelkinder zu hoffen.

Der Fettgehalt des Menschen ändert sich das ganze Leben lang – und diese Änderungen folgen biologischen Gesetzmäßigkeiten. Bei der Geburt ist unser Fettgehalt am höchsten. Er liegt um die 40 Prozent. Dann sinkt er bis zum neunten Lebensjahr steil ab – und zwar auf etwa die Hälfte. Auf den sogenannten BMI hat das allerdings nur einen geringen Einfluss. Der sinkt zwar auch, aber viel weniger. Ab dem zwölften Lebensjahr steigt der Fettgehalt allmählich wieder an.

Frau Obama hat mit ihrer Kampagne auf die populärsten Pferde gesetzt: auf Diät und Sport. Doch die armen Tiere sind längst tot geritten. Der Energiehaushalt des Menschen hängt nicht in erster Linie vom Essen und der Bewegung ab, sondern er wird über die Körpertemperatur reguliert. Es ist wie bei der Heizung Ihrer Wohnung. Die verbraucht am meisten Energie. Und ob Ihr Körper Wärme abgibt oder nicht, hängt von der Durchblutung ab – je besser durchblutet, desto mehr Kalorien strahlen wir ab. Wenn die Energiezufuhr knapp wird, dann gibs kalte Hände und die Isolation am Bauch wird verstärkt. So kann der Körper seinen Energiehaushalt bei jeder Diät nach Belieben nachjustieren.

Michelle Obama beurteilt ihre Töchter nach dem BMI. Doch der ist bei Kindern besonders tückisch. Denn die wachsen noch. In der Pubertät setzen sie erst mal Speck an und schießen erst danach in die Länge. Wer glaubt jedes Gramm Fett auf den Rippen seiner Kinder kontrollieren zu müssen, der hat eine gute Chance, seine Kinder krank zu machen – an Körper und Seele. Gerade bei sensiblen Kindern bewirkt der Druck von Eltern, Lehrerinnen und Ärzten entgegen der wohlgemeinten Absicht häufig eine Gewichtszunahme. Diese Kinder werden von den Kampagnen noch dicker.

Sehr geehrte First Lady, bei allem Respekt vor ihren Bemühungen, und bei allem Verständnis für den Wunsch nach medialer Aufmerksamkeit und öffentlicher Zustimmung – ist es das wirklich wert? Meinen Sie nicht auch, die Unbefangenheit der Kinder sollte wichtiger sein, als die eigene Popularität? Enjoy your meal! Mahlzeit!



Literatur:
Johnston JM: Eating disorders and childhood obesity: Who are the real gluttons? Canadian Medical Association Journal 2004; 171: 1459-1460