Offshore

Pioniere und Pleiten

Auf dem Arbeitsdeck des Installationsschiffs "Victoria Mathias" stehen die Turmsegmente für Offshore-Windkraftanlagen.
Auf dem Arbeitsdeck des Installationsschiffs "Victoria Mathias" stehen die Turmsegmente für Offshore-Windkraftanlagen. © Deutschlandradio / Axel Schröder
Von Axel Schröder · 13.03.2015
Die Windernte auf offener See ist mühsam, die Bundesregierung hat die Ausbauziele deshalb drastisch gekürzt. Mit welchen Schwierigkeiten es die Pioniere auf dem Meer zu tun hatten und haben, wie eng Pleiten und Erfolge dabei beieinander liegen.
Der märchenhafte Start ins Abenteuer Offshore-Windkraft begann im September 2003 in Emden. In riesigen, fußballfeldgroßen Hallen nahe der Nordseeküste. Bei der Firma Bard entstanden alle Komponenten, die man für einen Hochseewindpark braucht: die Turmstücke, die Turbine, Rotorblätter und die Fundamente. Andreas Kölling, damals Unternehmenssprecher von Bard, führte damals, nicht ohne Stolz, durch die weiten Hallen:
"Ein Rotorblatt ist knapp 60 Meter lang. 59,6 Meter. Und besteht aus acht Einzelteilen, die zu drei Großsegmente zusammengeklebt werden. Und diese drei großen Segmente werden dann zusammengefügt zum kompletten Blatt."
Mittlerweile hat Bard die Rotorblattproduktion eingestellt. Die Firma war als erste raus auf die Nordsee gegangen. Und erlitt Schiffbruch. Den Standort hatte der russische Multi-Milliardär Arngolt Bekker ausgewählt. Kurz nach der Jahrtausendwende hatte Bekker sein Land verlassen. Die russischen Medien berichteten von angeblich fadenscheinigen Geschäften Bekkers im russischen Erdgasmarkt. Zu Unrecht, wie Arngolt Bekker immer wieder beteuerte. Arngolt Bekker gründete die Offshore-Windkraft-Firma "Bard". Das Konzept: der Bau ganzer Windparks aus einer Hand. Die besten Leute der Branche wurden eingekauft und entwickelten unter Hochdruck die Einzelteile für den ersten kommerziellen Windpark in der deutschen See, für "Bard Offshore 1": für 80 Anlagen, 100 Kilometer entfernt von der Küste. Sogar ein eigenes Installationsschiff wurde eingekauft. Ein Modell der "Windlift I" kündete in der Empfangshalle von Bard von den Verheißungen der Zukunft.
"Ja! Das Schiff ist gute einhundert Meter lang, etwa 40 Meter breit. Hat vier Beine, mehr als 70 Meter hoch. Und mit diesen vier Beinen kann sich das ganze Schiff aus dem Wasser rausheben. Das heißt, es bildet dann eine sehr stabile Arbeitsplattform. Im hinteren Bereich ist der Großkran mit 120 Meter Hakenhöhe. Und wir haben uns das Ziel gesetzt, dass wir für die Fundamente zwei Tage brauchen werden und für das Aufstellen der Windkraftanlage dann noch mal zwei Tage."
Das Projekt "Bard" ging sehr zuerst sehr forsch voran
Die Dimensionen von Arngolts Bekkers Bard-Projekt wurden von der Konkurrenz bestaunt. Aber die deutschen Stromkonzerne hielten sich mit dem Aufbau eigener Windparks zurück. Bard ging – sehr forsch und mit sehr viel Kapitaleinsatz – voran. Und musste herbe Rückschläge einstecken: erst verschob sich die Auslieferung des Installationsschiffs. Dann löste sich ein 20 Tonnen schweres Rotorblatt beim Verladen vom Haken und krachte aufs Schiffsdeck. Der Zeitplan verschob sich immer weiter nach hinten. Zuständig für alle behördlichen Genehmigungen war damals Christian Dahlke vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie. Er erklärt den schleppenden Aufbau von Offshore-Windparks in der deutschen See so:
"Die Komplexität hatte man wohl auf dem Zettel. – Vielleicht haben alle Beteiligten manche Dinge aber ein bisschen unterschätzt oder auch die technischen Entwicklungskurven ein bisschen überschätzt. Nur ist das nun mal so, dass der Mensch immer gleich von vornherein im Sandkasten gleich seinen perfekten Bauplan gleich fertig hat. So dass man gelegentlich auch nachsteuern muss, wenn man bestimmte Probleme erkennt."
Beim Pionier-Projekt Bard Offshore 1 gab es wieder und wieder, zum Teil dramatische Rückschläge. 2010 verunglückte ein Taucher auf der Baustelle. Zwei Jahre später gab es den nächsten tödlichen Unfall im Baufeld.
Mit dem Bau von Bard Offshore 1 versanken Milliarden Euro in der deutschen See. Wie viele genau – zwei, vier oder sechs Milliarden? – dazu macht das Unternehmen keine Angaben. Heute liefert der Park zwar Strom, hat aber bislang keinen Käufer finden können. Die Turbinen- und Rotorblatt-Produktion bei Bard wurde schon vor Jahren abgewickelt. Und für potentielle Käufer stellt sich die Frage: Was passiert, wenn einzelne Maschinenteile draußen auf See verschleißen? Wer kann Ersatzteile liefern? Die Idee des Bard-Gründers Arngolt Bekker, alle Windpark-Komponenten allein zu entwickeln und zu produzieren, rächt sich nach Schließung der Fabriken. Ein weiteres Problem für die Offshore-Pioniere waren die damals noch fehlenden Netzanbindungen. Was nützt der viele Windstrom, wenn er nicht abtransportiert werden kann? Und eine Zeitlang haderte auch die Bundesregierung mit der Offshore-Windkraft. Die Ausbauziele wurden abgesenkt, die garantierte Einspeisevergütung – die Finanzierungsgrundlage jedes Offshore-Parks – wurde immer wieder diskutiert, Investoren verunsichert, erklärt Ronny Meyer, der Geschäftsführer des Offshore-Wind- Branchenverbands:
"Es gab keine weiteren Aufträge mehr bei den Zulieferern. Und alle haben ihre Projekte auf 'Warten' gestellt. Und das war keine gute Situation. Und das hat auch Arbeitsplätze nicht nur gefährdet, sondern auch wirklich abgebaut. Die Industrie hat Arbeitsplätze an diese Stelle abbauen müssen, weil Aufträge fehlten."
Aber mittlerweile geht er Aufbau neuer Windparks in der deutschen Nord- und Ostsee weiter. Nicht so schnell wie von den einstigen Offshore-Pionieren erhofft, aber stetig. Aus den Fehlern bei Bard hat die gesamte Branche gelernt. Und stellt die neuen Windparks sehr viel routinierter in die See.
"Die haben wirklich viel Pech gehabt. Und das ist einfach schade. Das ist schade für die Branche. Weil da ganz, ganz viele gute Leute sind und immer noch Enthusiasmus."
"Nordsee Ost" verlief fast reibungslos
Erklärt Marcel Sunier, der Projektdirektor des gerade fertig aufgebauten Windparks "Nordsee Ost" von RWE Innogy. Im Vergleich zu Bard Offshore 1 verlief das Projekt fast reibungslos. Marcel Sunier erklärt, warum die Pionierarbeit in den deutschen Parks ungleich schwerer war als bei dänischen oder britischen Projekten:
Axel Schröder bei seiner Recherche im Offshore-Park.
Axel Schröder bei seiner Recherche im Offshore-Park.© Deutschlandradio / Axel Schröder
"Ich glaube, das tiefe Wasser ist sicher eine Riesen-Herausforderung. Wenn man guckt, in Dänemark oder auch in England ist man ja küstennah. Das heißt, die Reisezeiten zum Park sind viel kürzer. Man ist mehr im geschützten Wasser, man kommt eher zu den Anlagen hin. In Deutschland ist man aus bekannten Gründen – Naturschutz und so weiter – halt in diese Zonen vorgedrungen mit den entsprechenden Herausforderungen und mit entsprechenden Kosten."
Marcel Sunier leitete den Aufbau von "Baltic I", dem ersten Windpark in der Ostsee. In vergleichsweise niedrigem Wasser, ohne die in der Nordsee besonders heftigen Gezeitenströmungen. In diesem Sommer wird seine Mannschaft das Windparkprojekt "Nordsee Ost" abschließen. Der Kosten- und Zeitrahmen wurde eingehalten. Ein guter Teil der so genannten Lernkurve beim Aufbau der Offshore-Windparks wurde, so scheint es, schon bewältigt:
"Man lernt nie aus. Man kann immer was verbessern. Man hat immer noch was übersehen, was man besser machen kann. In gewissen Punkten haben wir sicher die Lernkurve durchschritten. In anderen gibt es sicher noch Bedarf. Und ich denke, vor allem in der Betriebsphase gibt es sicher noch hier und da Möglichkeiten, um was zu verbessern. Gerade im Zusammenspiel mit anderen. Weil da draußen wird es ja langsam voll. Und da wird es, denke ich, noch einiges geben, um das zu optimieren in der Zukunft."
Der Ausbau der Offshore-Windkraft in Nord- und Ostsee wird weitergehen. 38 Baugenehmigungen hat das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie schon erteilt. Sieben Parks sind im Bau und werden spätestens im nächsten Jahr ihren Strom an die Küste liefern. Knapp 1000 Megawatt werden schon heute auf Nord- und Ostsee geerntet, 2030 sollen es 15.000 Megawatt sein, die – wenn der Wind weht – so viel Strom erzeugen wie 15 Kernkraftwerke.
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