Özdemir: Schauen uns Beust-Nachfolger sehr genau an

19.07.2010
Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir kann sich eine übergangslose Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition in Hamburg nur vorstellen, wenn der neue Bürgermeister ähnlich liberale Positionen vertritt wie sein Vorgänger Ole von Beust.
Ute Welty: Scheitert nach der Hamburger Schulreform auch das dortige schwarz-grüne Regierungsbündnis? Denn offenbar wird dieser Koalition demnächst das Bindeglied fehlen in Gestalt des Bürgermeisters Ole von Beust. Der CDU-Politiker hat seinen Rücktritt für August angekündigt und den grünen Koalitionspartner offenbar erst drei Stunden vorher über diesen Schritt informiert. All das beobachtet zumindest mit Interesse, wenn nicht auch mit Besorgnis der Vorsitzende der Bündnis-Grünen. Guten Morgen, Cem Özdemir - und an Sie gleich die Frage: So wie das jetzt in Hamburg gelaufen ist - würden Sie so mit Ihrem Koalitionspartner umgehen? Das ist ja schon fast Schluss machen per SMS…

Cem Özdemir: Guten Morgen, Frau Welty, erst mal! Also, das macht es sicherlich nicht einfacher, das Gehen von Ole von Beust. Wir haben uns an Ole von Beust gewöhnt, er hat sich an uns gewöhnt. Man darf nicht vergessen, wo er herkommt. Er hat ja auch schon mal mit Herrn Schill koaliert, aber er hat sich im Laufe der Zeit verändert und stand für das, wofür diese Koalition stand: für liberale Politik, für Bürgerrechte, für Klimaschutz und für Bildungsreform, was nach gestern sicherlich nicht leichter wird. Insofern schauen wir uns den möglichen Nachfolger sehr genau an. Und wenn der nicht für dieselben Inhalte steht, mit einer klaren Ausrichtung, dann wird es sicherlich nicht leichter werden mit der Koalition künftig, dann muss man sicherlich die Sache neu bewerten.

Welty: Wie heftig ist dieser Rückschlag für Sie, für die Grünen im Hinblick auf eine konservative Zielgruppe, die ja in Ländern wie Baden-Württemberg für Sie auch durchaus interessant ist, wenn dort Landtagswahlen sind im nächsten Frühjahr?

Özdemir: Insgesamt müssen sich die Reformbefürworter jetzt fragen, wie man weitermacht. Wir haben ja in Nordrhein-Westfalen und im Saarland, wo wir ebenfalls die Bildungsminister stellen, dort uns sehr bemüht, um eine breite Zustimmung zu bekommen, sowohl in der Politik, also im Parlament, als auch außerhalb der Politik, was Gewerkschaften, was Unternehmer angeht, was NGOs angeht. Deshalb bin ich da ganz zuversichtlich. Das Thema Bildungsreform bleibt auf der Tagesordnung, übrigens auch in Hamburg selber. Die längere, die sechsjährige Grundschule kommt nicht, aber kleinere Klassen werden auf jeden Fall kommen. Was auf jeden Fall kommen wird, ist individualisiertes Lernen, eine andere Lehrerfortbildung. Also das, was jetzt trotzdem geht, werden wir machen, aber es ärgert uns natürlich sehr, denn wir sind der Meinung, es hätte Hamburg gut getan, wenn die Kinder nicht mit zehn Jahren getrennt worden wären, sondern noch mal zwei Jahre mehr bekommen hätten, wo Arbeiterkinder und Akademikerkinder zusammen auf die Schule gehen.

Welty: Aber Sie müssen doch erkennen, dass die Hamburger einer Kernaussage der grünen Bildungspolitik eine Absage erteilt haben?

Özdemir: Wir sind gute Demokraten. Wir haben gekämpft für die direkte Demokratie - das ist ja auch ein grüner Erfolg, dass die Leute überhaupt drüber abstimmen können. Und jetzt werden wir nicht die Leute beschimpfen, die sich dort durchgesetzt haben, sondern werden versuchen zu schauen, wie es jetzt weitergeht mit der Bildungspolitik und was man unter den veränderten Bedingungen trotzdem tun können für bessere Schulen, für mehr Gerechtigkeit, für mehr Aufstiegsmobilität in dieser Gesellschaft. Aber klar ist auch, wir haben nicht alleine verloren. Die CDU hat mit uns gemeinsam, insbesondere der Bürgermeister, gekämpft für dieses Reformprojekt, insofern hat (…) seines Rücktritts die Reformbefürworter sicherlich nicht gerade vor eine einfachere Aufgabe gestellt. Man darf auch mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen, dass dort, wo die SPD traditionell stark ist, die Wahlbeteiligung besonders niedrig war, insofern ist es auch eine Niederlage von all denjenigen, die mit uns gemeinsam gekämpft haben für längeres gemeinsames Lernen.

Welty: Und was raten Sie Ihrer Partei in Nordrhein-Westfalen, die ja Ähnliches vorhat wie in Hamburg, also auch eine Verlängerung der Grundschulzeit, sollen die auch eine ähnliche Bauchlandung erleben?

Özdemir: Die machen es genau richtig, indem sie auf eine kommunale Entwicklung setzen. Das heißt, die Landesregierung ermöglicht den Bürgermeistern vor Ort, darunter übrigens viele CDU-Bürgermeister, um den Schulstandort zu sichern, Schulfusionen zu machen. Insofern ist in Nordrhein-Westfalen die Situation eine völlig andere, hat aber natürlich auch damit zu tun, dass von Anfang an klar war, dass man im Flächenland anders vorgehen muss wie beispielsweise in einem Stadtstaat wie in Hamburg.

Welty: Wenn Sie den Blick richten auf die Bundesebene, fühlen Sie sich einer Machtoption beraubt, denn auch in Berlin träumen ja etliche von Schwarz-Grün, zumal ja Schwarz-Gelb eher unrund läuft.

Özdemir: Ich kenne die Träume der Schwarzen nicht so. Ich kann mir vorstellen, dass angesichts dessen, was die Performance der Bundesregierung angeht, das eher nach Alpträumen aussieht.

Welty: Wovon träumen Sie denn?

Özdemir: Ich träume davon, dass die Grünen stark werden - danach sieht es ja gegenwärtig in den Umfragen aus -, und dass wir vor allem 2013 regieren. Das wäre gut für Deutschland - wegen des Klimaschutzes, wegen einer anderen Sozialpolitik, wegen der Haushaltskonsolidierung. Aber es ist natürlich klar, alleine werden wir diesen Traum nicht umsetzen können. Und wir sind da ganz realistisch, wir reden uns auch die SPD nicht schön. Ich kann mich gut an Zeiten erinnern, wo die SPD glaubte, mit Koch und Kellner arbeiten zu müssen. Und ich kann nur an alle möglichen Partner der Grünen sagen, uns gibt es nur auf gleicher Augenhöhe und zu fairen Bedingungen, und wir gehen nur in Koalitionen rein, wenn eine klare grüne Handschrift zu erkennen ist. Mit welchem Partner, das entscheiden wir dann, wenn es soweit ist.

Welty: Sie haben eben die Bürgerbeteiligung hoch gelobt, jetzt aber mal Hand aufs Herz: Wie sehr fluchen Sie heute Morgen innerlich, dass Sie für mehr Bürgerbeteiligung eingetreten sind oder eben auch für mehr Volksentscheid? Ohne all das hätte Hamburg seine Schulreform und auch eine Primarschule.

Özdemir: Sie haben recht, also es ist natürlich schon so, ohne die direkte Demokratie gäbe es jetzt dieses längere gemeinsame Lernen. Ich bin mir nicht mal sicher, ob diejenigen, die jetzt dieses direktdemokratische Element genutzt haben, für die direkte Demokratie waren, aber das ist jetzt alles müßig. Das gehört in der Demokratie dazu - wer direkte Demokratie möchte, der muss eben akzeptieren, er kann auch mal verlieren, man gewinnt da nicht immer. Aber es ist natürlich ein grundsätzliches Problem, dass gerade diejenigen, die über mehr Geld verfügen, über einen besseren Medienzugang verfügen, selbstverständlich das Element stärker, besser nutzen können als andere, die mittellos sind. Dass die Eltern von Hauptschullehrern möglicherweise mit Migrationshintergrund oder aus der Arbeiterschicht die Instrumente der direkten Demokratie sicherlich weniger gut nutzen können, ist klar, das ist nun mal ein Manko bei der direkten Demokratie, trotzdem ist das Instrument prinzipiell richtig.

Welty: Der Vorsitzende der Bündnisgrünen Cem Özdemir hier in Deutschlandradio Kultur. Danke fürs Gespräch und eine frohe Aufarbeitung der Lage wünsche ich!

Özdemir: Vielen Dank!



Sie können das vollständige Gespräch mindestens bis zum 19.12.2010 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.
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