Österreich und der Adel

Das "Von" ist abgeschafft

29:08 Minuten
Kaiser Karl I. von Österreich in einer schwarzweißen Porträtaufnahme mit Familie in prunkvoller monarchistischer Montur.
Als der Adel noch das Zepter schwang: Kaiser Karl I. von Österreich mit Familie in einer historischen Aufnahme. © imago/Arkivi
Von Stefan May · 03.04.2019
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Am 3. April 1919 hat die österreichische Republik einen Schlussstrich unter die habsburgische Geschichte gezogen: Der Adel war dem Gesetz nach aufgehoben. Doch im alltäglichen Umgang hat sich das bis heute nicht ganz durchgesetzt.
In der Musik kommt der Adel in Österreich noch vor. Im Kaiserwalzer von Johann Strauss. Aus dem öffentlichen Leben ist er verschwunden. Doch es gibt ihn noch. Oder korrekter: die Angehörigen einst aristokratischer Familien. Nicht mehr erkennbar am Adelsprädikat, wohl aber am Namen und an so manchem Accessoire noblen Understatements.
"Spätestens nach 1945, als ja auch sehr viele Nachbarländer enteignet haben und viele nach Österreich geflüchtet sind und mit Null beginnen mussten, durch Erbteilungen et cetera, ist der Adel an sich ja nicht mehr so eine Familie, die seit Jahrhunderten auf ihren Besitzungen sitzt", erklärt die Historikerin Gudula Walterskirchen. "Das ist ja mittlerweile schon die Ausnahme, sondern das sind, verstreut in allen möglichen Berufen, allen möglichen Lebensumständen, Arme, Reiche, Mittelschicht. Als homogene Gruppe kann man das so nicht mehr definieren."

"Er hat sich mit der Republik abgefunden. Man passte sich an die neuen Verhältnisse aufgrund der mangelnden Alternativen an. Gänzlich mit der Republik ausgesöhnt hat sich der Adel aber nicht. Denn die Republik anerkennt seine auf Geburt beruhende Elitefunktion nicht an, sondern bildet ihre Elite auf Basis eines breiten Wettbewerbs."
(Auszug aus Gudula Walterskirchens Buch "Adel in Österreich heute")

Exakt heute vor 100 Jahren war das förmliche Ende aller Privilegien kraft Geburt gekommen. Paragraph 1 des Adelsaufhebungsgesetzes vom 3. April 1919 bestimmte:
"Der Adel, seine äußeren Ehrenvorzüge sowie bloß zur Auszeichnung verliehene, mit einer amtlichen Stellung, dem Beruf oder einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Befähigung nicht im Zusammenhange stehenden Titel und Würden und die damit verbundenen Ehrenvorzüge österreichischer Staatsbürger werden aufgehoben."

Die Schärfe des Gesetzes

Ein nachgerade revolutionärer Akt! Man würde ihn den harmoniebedürftigen Österreichern gar nicht zutrauen. "Abgezielt hat es schon auf eine privilegierte Klasse, die diese Privilegien spüren hat lassen und ausgenützt hat. Da hat ein gewisser Revanchegedanke mitgeschwungen", so die Erklärung von Gudula Walterskirchen.
Schwarzweißporträt von Karl I., der an einer Wand steht.
Amtsverzicht wider Willen: Kaiser Karl I. - der letzte Kaiser Österreichs.© imago stock&people
Ihr Historikerkollege Hannes Leidinger sieht den Grund für die Schärfe des Gesetzes beim letzten österreichischen Kaiser Karl. Dieser hatte zwar im November 1918 seinen Amtsverzicht kundgetan, aber vier Monate später wollte er davon nichts mehr wissen: Am 24. März 1919, bereits auf dem Weg ins Schweizer Exil, widerrief er seinen Amtsverzicht im sogenannten Feldkircher Manifest.
"Karl hat nicht auf seine Rechte verzichtet, hat nicht abgedankt", erklärt Hannes Leidinger. "Man hatte Angst vor monarchistischen Verschwörungen, das ist durchaus ein Thema. Man hatte aber vor allem Angst, dass das international auch ein Problem werden könnte, und dass damit die Grundregeln der Republik noch nicht außer Frage stehen. Die Republik reagiert darauf, reagiert auf diese Kampfansage. Es ist diese Haltung Karls und seiner Familie. Unter diesen Bedingungen zieht die Republik von sich aus einen Schlussstrich. Man könnte sagen: eine Gegenreaktion auf die Haltung Karls."

Die Aufhebung des Adels hatte Verfassungsrang

Am 3. April 1919 wird nicht nur das Adelsaufhebungsgesetz beschlossen, sondern gleichzeitig auch das so genannte Habsburgergesetz, das alle Herrschaftsrechte der Habsburger für aufgehoben erklärt. Darin heißt es: "Im Interesse der Sicherheit der Republik werden der ehemalige Träger der Krone und die sonstigen Mitglieder des Hauses Habsburg-Lothringen, diese, soweit sie nicht auf ihre Mitgliedschaft zu diesem Hause und auf alle aus ihr gefolgerten Herrschaftsansprüche ausdrücklich verzichtet und sich als getreue Staatsbürger der Republik bekannt haben, des Landes verwiesen."
Kaiser Wilhelm II. trägt Montur
Kaiser Wilhelm II. unternahm nach seiner Absetzung keine Versuche mehr, die Macht wieder an sich zu reißen.© imago/Arkivi
Wie ernst es der jungen Republik mit ihrem Schlussstrich unter die jüngste Vergangenheit war, zeigt die Tatsache, dass sowohl das Habsburgergesetz wie auch das Adelsaufhebungsgesetz Verfassungsrang haben. Von solch radikalen Bestimmungen war Deutschland zur selben Zeit weit entfernt, wenngleich dort genauso wie in Österreich der Übergang von der Monarchie zur Republik nicht glatt verlief.
Allerdings lag das nicht an Kaiser Wilhelm, der sich schon vor der Revolution nach Belgien abgesetzt hatte. Dazu Hannes Leidinger:
"Es gab keine Restaurationsversuche in dem Ausmaß. Was passiert ist, dass die Aristokratie allmählich einsickert in diese rechtskonservativen Organisationen, in denen sie dann entweder für oder sehr viel öfter gegen diese Republik tätig ist. Das liegt wohl auch daran, dass diese Majestäten in Deutschland wohl schon durch die Reichsgründung von 1871 in ihren Möglichkeiten sehr beschränkt waren, sodass sich die Frage im Wesentlichen auf die Hohenzollern reduziert hat. Und die Hohenzollern haben in dieser Hinsicht keine restaurative Kraft dargestellt. Wir haben keinen Restaurationsversuch von Wilhelm. Er kehrt nicht zurück nach Berlin, er kehrt nicht zurück in eine andere Stadt und versucht hier noch den Aufstand."
Anders als Karl, der über Ungarn versucht, nochmals an die Macht zu kommen.

Habsburgern blieb das Amt des Staatsoberhaupts verwehrt

Karls Sohn Otto lebte später als CSU-Politiker in Bayern und durfte als deutscher Staatsbürger weiterhin sein "von" im Namen führen. Als er allerdings Anfang der 1960er-Jahre nach Österreich einreisen wollte, entbrannte politischer Streit darüber, ob seine Verzichtserklärung für eine Einreise ausreiche. Denn Otto hatte seinen gerade geborenen Sohn als "Erzherzog" ins deutsche Taufregister eintragen lassen. Befremdlich, findet der Wiener Staatsrechtsprofessor Gerhard Strejcek:
"Damals, 1963, hat man tatsächlich noch einmal das Habsburgergesetz novelliert und dort hineingeschrieben, dass es die Bundesregierung mit dem Hauptausschuss des Nationalrats entscheiden müssen. Aber seit Otto nicht mehr lebt und seine Brüder das schon längst vor ihm abgegeben hatten und auch sein Sohn Karl, meines Wissens jetzt das formelle Oberhaupt, ist es in Wahrheit obsolet. Aber formell ist es noch im Rechtsbestand, und Österreich ist auch völkerrechtlich verpflichtet, dieses Gesetz aufrecht zu erhalten."
Otto von Habsburg steht mit blauem Anzug und in feierlicher Pose vor einem alten Gemälde seines Vaters.
Der CSU-Politiker Otto von Habsburg, der Sohn von Karl. I. Im Anschnitt im Hintergrund zu sehen: Ein Gemäldeporträt seines Vaters.© imago/HRSchulz
Nicht nur das, im Bundespräsidenten-Wahlgesetz war es den Habsburgern, sogar wenn sie auf alle Herrschaftsansprüche verzichtet hatten und somit österreichische Staatsbürger sein durften, untersagt, sich zum Staatsoberhaupt wählen zu lassen.
"Im Prinzip hat mich diese Ausgrenzung der Familie etwas geärgert", bekennt Ulrich-Habsburg-Lothringen. "Mein einziger männlicher Enkelsohn hatte Erstkommunion. Das war auf der Lassnitzhöhe in der Steiermark, weil meine ganzen Kinder Steirer geworden sind und Enkelkinder noch dazu. Und ich habe mir gedacht: Was haben die eigentlich verbrochen, dass sie nicht Bundespräsident werden dürfen?"

Ein Nachfahre protestiert gegen das Verbot

Ulrich Habsburg-Lothringen fühlte sich und seine Familie ungerecht behandelt und legte vor zehn Jahren Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof ein. Gemeinsam mit seiner Schwiegertochter, die das passive Wahlrecht zum Amt des Bundespräsidenten mit ihrer Einheirat ins Haus Habsburg verloren hatte. "Ausgeschlossen von der Wählbarkeit sind Mitglieder regierender Häuser oder solcher Familien, die ehemals regiert haben", lautete der Gesetzestext zu jenem Zeitpunkt.
Ulrich Habsburg-Lothringen steht an einem Baum, trägt einen grauen Anzug und blickt selbstbewusst in die Kamera.
Ulrich Habsburg-Lothringen protestierte gegen das über seine Familie verhängte Verbot, in Österreich Staatsoberhaupt zu werden - mit Erfolg.© picture-alliance/APA/Gert Eggenberger
"Das war ein Gesetz, das ja nicht nur die Habsburger betroffen hat. Das hat alle Menschen auf der Welt betroffen, wenn sie österreichische Staatsbürger werden, deren Vorfahren irgendwo einmal regiert haben", sagt Ulrich-Habsburg-Lothringen dazu. "Mein Anwalt hat das auch in die Begründung hineingeschrieben, dass dies auch bei Nachfahren von Aschantifürsten, wenn sie nach Österreich kommen, geprüft werden müsste."
Habsburgs Argument: In Österreich dürfe jedermann alles werden, selbst ehemalige Nationalsozialisten. Nur ihm werde das Amt des Bundespräsidenten verwehrt. "Es ist komisch, zum Beispiel haben mich die Kommunisten der Steiermark verteidigt. Es ist natürlich so, dass ich im linken Bereich relativ gut konnotiert bin."

Abschaffung des Verbots

Ulrich Habsburg-Lothringen lebt in Wolfsberg, einer Bezirkshauptstadt in Kärnten. Hier kennt man ihn, denn er ist einer, der sich in die öffentliche Diskussion einmischt. Im Stadtparlament hatte er ein Mandat für die Grünen inne. Allerdings wohnt er nicht im Schloss hoch über dem Stadtkern. Dort residiert die Familie Henckel-Donnersmarck. Die Habsburgs wohnen in einem einstöckigen Anwesen mit Garten rundherum an einem Kreisverkehr der Durchzugsstraße.
Sein juristischer Kampf für eine Kandidatur zum Bundespräsidenten hat ihm und seinem Anliegen Beachtung in aller Welt eingebracht. Von einer "sanften Guillotine im österreichischen Gesetz" schrieb damals die französischen Tageszeitung "Le Monde". Im Inland hat Habsburg-Lothringen ebenso reichlich Unterstützung wie Hass erfahren. Von einer Parteikollegin sollen angeblich diese Worte in einem Brief stammen, der Habsburg-Lothringen veranlasste, aus der Partei der Grünen auszutreten:

"Dass Sie sich immer wieder in der Öffentlichkeit so hervortun, ist schon sehr bemerkenswert. Gehören Sie doch einem Ahnenzweig an, der selbst verschuldet die letzten Jahrhunderte nur Idioten und Versager hervorgebracht hat. Außerdem habt Ihr einen Weltkrieg angezettelt und seid somit an millionenfachem Tod und Elend verantwortlich. Noch dazu ist im Gegensatz zu den Verantwortlichen des Zweiten Weltkriegs keiner von Eurer Sippe dafür zur Verantwortung gezogen worden."
(aus einem Brief an Ulrich Habsburg-Lothringen)

Der Verfassungsgerichtshof hat Habsburgs Beschwerde zwar aus formalrechtlichen Gründen zurückgewiesen, doch wenig später beschlossen alle Parlamentsparteien den betreffenden Habsburger-Artikel zu streichen. Seit 2011 können sich die Habsburger auch um das Amt des Bundespräsidenten bewerben.

Der Familienname bringt auch Nachteile mit sich

Mit einem Namen, der Gewicht und Signalwirkung hat im Land. Nicht immer zum Vorteil seiner Träger:
"Da habe ich mich im Jahre 1982 beworben als Professor an der Universität für Bodenkultur, für Forsttechnik. Ich war der einzige, der ein Doktorat hatte. Ich kam nicht einmal in den Dreiervorschlag von sechs Leuten. Ein Kollege, der dann Professor geworden ist, hat mir gesagt: Ja, der Name war´s."
"Diplom-Ingenieur Doktor U. Habsburg-Lothringen, Zivilingenieur für Forst- und Holzwirtschaft, gerichtlich beeideter Sachverständiger" steht auf einer Tafel am Tor zu seinem Anwesen. Gesetzeskonform ohne "von" im Namen.
"Mir ist das an und für sich genau genommen egal. Ich stehe zur Republik. Man könnte sich jetzt den 3.4. zum Datum nehmen, das Habsburgergesetz so zu ändern wie in Deutschland. Ich möchte meine Rechte ausüben können, ohne schlechter gestellt zu werden, weil ich einmal der herrschenden Klasse angehört habe."

Nur die Habsburger wurden enteignet

Gemeint ist der alte Familienbesitz. 1919 wurde der österreichische Adel nicht enteignet. Ausnahme: die Habsburger. Das Habsburgergesetz bestimmte, dass zwar nicht deren Privatvermögen, aber das staatseigene Vermögen auf die Republik übergeht. Ähnlich wie bei den Hohenzollern in Deutschland. Und die Familienfideikommisse. Sie hatte die Republik zur Entschädigung von Kriegsopfern vorgesehen. Der Historiker Hannes Leidinger:
"Es handelt sich hier um große Domänen mit unglaublich viel Land, Agrar-, Forstbesitz. Es geht um Schlösser, es geht selbstverständlich um Sachwerte, um Häuser. Das ist die Idee des Fideikommiss, dass es in der Gesamtheit erhalten bleibt, also nicht geteilt, nicht veräußert werden kann, sondern nur die Nutzungsrechte genossen werden können. Auch keine Verschuldung. Das hat sich schon der Mann von Maria-Theresia, als er mit dieser Fondsstruktur begonnen hat, gut überlegt, damit sich die Habsburger nicht persönlich komplett verschulden und plötzlich anfangen, Hypotheken darauf zu geben, weil sie beim nächsten Krieg auf das eigene Vermögen zugreifen. Wäre ja alles denkbar gewesen."

Kampf um alte Besitztümer

Seit nunmehr 100 Jahren kämpfen die Habsburger erfolglos um die Rückübertragung dieses sogenannten gebundenen Vermögens. In einer Biografie über Ulrich Habsburg ist von Geld- und Sachforderungen der Familie von bis zu 200 Millionen Euro zu lesen. Das Haus Habsburg verlange neben Schlössern und Zinshäusern auch 27.000 Hektar Grund zurück. Habsburg vergleicht Deutschland mit Österreich:
"Spätestens bis zum Jahre 1926 haben alle die deutschen Staaten sich mit ihren Fürstenhäusern geeinigt. Das Grundprinzip war: Die Schlösser, die Museen mit den Sammlungen, das ist an den Staat gegangen, und das andere ist bei den ehemaligen Herrscherfamilien geblieben. Bei uns ist das alles unmöglich."
Vor allem beim Grundbesitz haben die Habsburger in Österreich ganz andere Verluste erlitten als etwa die Hohenzollern in Deutschland.

Verlust der traditionellen Anrede

Hinzu kommt der Verlust der historischen Anrede. Als Angehöriger einer habsburgischen Seitenlinie wäre Ulrich Habsburg-Lothringen Erzherzog, wenn der Adel in Österreich heute noch bestünde. Doch legt er nach eigenen Angaben keinen Wert auf solche Anreden. Die Kellnerin im Braugasthof von Wolfsberg wohl auch nicht:
"Ich habe den Herrn Ulrich Habsburg vor kurzem zu Gast gehabt mit einem Vortrag. Aber ich habe ihn eigentlich nicht mit Hoheit angesprochen. Aber ich war sehr stolz, dass er mir ein Buch mit seiner persönlichen Widmung gegeben hat, weil ich ein absoluter Habsburg-Fan bin. Na, er ist auch ein überzeugter Grüner, ganz ein volksnaher Mensch. Die Familie Henckel ist schon eher Graf, Gräfin."
Das mag im städtischen Milieu anders sein als auf dem Land in Österreich, wo die alten Adelstitel von der Bevölkerung noch verwendet werden. Die Familie Montecuccoli hat ihren Familiensitz im niederösterreichischen Prinzersdorf. Felix Montecuccoli ist Präsident der Land- und Forstbetriebe Österreich.
"Die einen sagen Diplomingenieur, die anderen Präsident. Viele sind froh, dass ich jetzt einen offiziellen Titel der Republik bekommen habe als Ökonomierat. Das enthebt sie jedes Zwiespalts. Manche verwenden auch den historischen Titel des Grafen. Und manche leben damit, manche leben nicht damit. Ich lebe damit, dass es verwendet wird. Ich verwehre es keinem, fordere aber keinen auf, das zu tun."
Und was sagt das Volk? Im Zentrum von Pottenbrunn in Niederösterreich steht nicht die Kirche, sondern ein weißes Wasserschloss. An einer akkurat geschnittenen Hecke sitzt ein Schwan in der Frühlingssonne. Hinter diesen Mauern wohnt die Familie Trauttmansdorff. Mit der Anrede halten es die Pottenbrunner unterschiedlich - die einen sagen "Graf", die anderen nicht.
Drinnen im Renaissanceschloss hängen zahlreiche Familienporträts die Trauttmansdorff nach eigenen Angaben aber auf Auktionen ersteigert hat. Er ist wie seine Vorfahren zweifellos der vornehme Herr im Dorf, aber wie spricht man ihn an in der Republik, die das "Von" verboten hat?
"Aus der lokalen Bevölkerung nennen mich die Bauern - ich bin auch nichts anderes als ein Bauer - nach wie vor Herr Graf. Ich schreite dagegen natürlich nicht ein. Aber viele andere sagen mir nix. Ich habe glücklicherweise einen akademischen Titel, und die sagen mir dann Herr Doktor. Beides ist mir recht und vollkommen gleichgültig."

Den Adelstitel zu führen ist untersagt

Sie selbst, die aus einstigen Adelsgeschlechtern stammenden Österreicher, dürfen ihre Titel nicht führen. Im Paragraphen 2 des Adelsaufhebungsverbots wird Zuwiderhandeln mit einer Verwaltungsstrafe belegt. Darin heißt es: "Die Führung dieser Adelsbezeichnungen, Titel und Würden ist untersagt. Übertretungen werden von den politischen Behörden mit Geld bis zu 20.000 Kronen oder Arrest bis zu sechs Monaten bestraft."
Dieser Kronenbetrag liegt heute bei umgerechnet 14 Cent. Deshalb wollte eine Initiative der Grünen vor vier Jahren eine Verschärfung der Sanktion. Da aber die Norm im Verfassungsrang steht, würde jede Änderung eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat benötigen. Theoretisch könne man es sich also erlauben, "Prinz" oder "Baron" auf die Visitenkarte zu schreiben und lediglich mit einer Ermahnung davon zukommen, meint der Staatsrechtler Gerhard Strejcek:
"Da gibt es unterschiedliche juristische Ansichten. Aber die herrschende ist die, dass aufgrund dieser Kronenwährung eine Strafe in Euro nicht ausgesprochen werden kann. Damit ist dieses Gesetz in diesem Punkt unanwendbar. Bei Todesanzeigen wird es zum Beispiel nicht verfolgt, ist mir aufgefallen - schon aus Pietätsgründen. Unlängst ist ein prominentes Mitglied unserer Fakultät verstorben, Professor Schwind. Da stand dann: Freiherr von Schwind und Ähnliches. Theoretisch war das nicht erlaubt und man hätte es aufgreifen können, aber das wird von den Behörden unterlassen."
Strenger würden laut Strejcek derzeit die Personenstandsbehörden im Zuge des Aufbaus eines zentralen Wähler- und Melderegister vorgehen:
"Ich glaube, anlässlich dieser Überprüfungen kommen die Behörden oft darauf, dass hier dubiose Titel geführt werden. Das kann theoretisch auch den Bundespräsidenten van der Bellen betreffen, weil man da auch im Unklaren ist, ob das nicht möglicherweise ein Adelstitel ist, der sich bis in die heutigen Tage geschleppt hat. Vielleicht wird aus van der Bellen dann also Bellen."
Ausländische Adelige müssen hingegen nicht um ihren Adelstitel fürchten, wenn sie nach Österreich kommen. Sie können darauf beharren, im amtlichen Verkehr oder bei offiziellen Anlässen etwa als Graf Lambsdorff angesprochen zu werden.
"Aber", erklärt Gerhard Strejcek, "jemand, der nach Österreich umzieht und auch die Staatsbürgerschaft erwirbt, muss es sich dann gefallen lassen, dass ein Titel, der als Adelstitel verstanden wird, nicht mehr als dem Namen beigesetzt gilt. Sprich: Dann wird aus dem Graf Lambsdorff ein Herr Lambsdorff."

Berührungsängste gegenüber Adelsprädikaten sinken

Rund um die Adelsaufhebung in Österreich mag vieles kurios wirken, doch es gibt viele Menschen im Land, denen die Einhaltung dieser Bestimmungen wichtig ist. Christian Schachner ist Beamter der Stadt Wien und im Milizkader des Österreichischen Bundesheeres beordert, also Reserve-Unteroffizier. Bei einer Veranstaltung seines Verbandes war auch eine Dame aus dem Haus Habsburg zu Gast.
"Die wurde dort - und das habe ich als sehr, sehr seltsam empfunden - eben auch von Angehörigen des Österreichischen Bundesheeres in Uniform mit "Eure kaiserliche Hoheit" angesprochen. Ich habe das als eigentlich sehr unpassend empfunden, dass Angehörige des Bundesheeres, die vereidigt sind auf die Republik, jemanden aus dem Adelsstand so ansprechen, wo es bei uns den Adelsstand de facto nicht mehr geben kann."
Hundert Jahre nach dem Verbot scheint es, als habe man in Österreich auch offiziell immer weniger Berührungsängste mit Adelsprädikaten. Als Ende des vorigen Jahres ein ehemals Adliger in Niederösterreich eine Bluttat beging, schrieben zahlreiche Medien "Graf Tono" habe den Dreifachmord gestanden. Und den Ehrenschutz des diesjährigen Kaiserballs in Korneuburg hat laut offizieller Einladung "SKKH Karl von Habsburg" übernommen. SKKH steht für Seine kaiserlich-königliche Hoheit. Der derzeitige Chef des Hauses, Karl Habsburg, Sohn von Otto, hatte einst seiner Auserwählten einen Heiratsantrag just in der Wiener Kapuzinergruft gemacht hat. Umgeben von den Prunksarkophagen seiner Vorfahren hatte er sie gefragt, ob sie einmal hier bestattet sein wolle.

Manche verabschieden sich auch vom Adelsgestus

Die Schauspielerin Johanna Orsini-Rosenberg gehört zu jenen, die sich nicht in Adelskreisen bewegen:
"Ich komme aus einem sehr freigeistigen künstlerischen Haushalt. Daher spielt das für mich überhaupt keine Rolle. Aber ich kann nicht leugnen, dass ich Großeltern habe, eine Familiengeschichte, die einfach da ist, mit der ich mich aber erst später, als Erwachsene, mehr auseinander gesetzt habe. Oder auch mit dem Schauspiel habe ich plötzlich gemerkt, dass ich eine gewisse Sprache oder Töne beherrsche, die andere vielleicht nicht so beherrschen."
Mitunter bekomme sie Post, in der sie mit Adelstitel angesprochen werde. Das halte sie aber für absurd, sagt Orsini-Rosenberg. Ihr Name hat bisher unterschiedliche Reaktionen ausgelöst.
"Dann haben mir Leute auch gesagt: Mit dem Namen kannst keine Karriere machen, weil das eben zu geprägt ist. Das habe ich schon erlebt, dass man nicht ernst genommen wird. In Italien ist es auch lustig, wenn man in ein Hotel geht und Orsini heißt, da klingeln natürlich irgendwelche Glocken, obwohl wir gar keine echten Orsinis sind. Ich glaube, Orsini ist in Italien ein ganz hohes Adelsgeschlecht, das sich auch sehr viel darauf einbildet. Meine Großmutter hat nur erzählt, dass die echten italienischen Orsinis die Orsini-Rosenbergs auf diversen Festen immer gemieden haben."
Feste, die sie selbst meidet.

Renaissance des Adels in den 1930er-Jahren

Im vorigen Jahrhundert erlebte der Adel in Österreich eine kurze Renaissance, in der Zeit des katholisch-autoritären Ständestaates zwischen 1934 und 1938, bis zum Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland. Der Historiker Hannes Leidinger spricht von einer Re-Aristokratisierung, weil damals die beiden Gesetze von 1919 aufgehoben wurden. In der Führung der paramilitärischen Organisationen fanden sich viele Adlige.
"Heimwehrführer spielen eine große Rolle, Starhemberg zum Beispiel. Aber auch viele andere können da genannt werden, die dann auch sehr wohl zwischen Deutschnationalismus, österreichisch-faschistischeren Gedanken, aber auch legitimistischem, also durchaus monarchistischem Gedankengut changieren. In Summe kehren sie zurück."
Die Rechtsüberleitung nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die beiden Gesetze von 1919 allerdings wieder in Kraft. Viele Aristokraten seien Mitte des vorigen Jahrhunderts autoritären Feindbildern erlegen und verführbar gewesen.
"So gesehen war dieses Zusammengehen von größeren Gruppen der Aristokratie mit diesem autoritären Staat der 1930er-Jahre auch kein Zufall, wie es ebenso kein Zufall war, dass es an Annäherungen von Aristokraten an den Nationalsozialismus nicht gefehlt hat. Aber das gilt für alle, die Aristokraten sind hier nicht anders als die österreichische Bevölkerung. Der Grundbefund der Volksunkultur bleibt."

Im österreichischen Adel gab es auch vereinzelt Widerstand

Denn es gibt auch da Gegenbeispiele: Johannes Trauttmansdorff nennt seine Eltern, die als Angehörige einer Widerstandsgruppe mit elf anderen noch im April 1945 in Sankt Pölten von den Nazis hingerichtet wurden.
"Das Schöne an der Gruppe war, dass Bauern dabei waren, Kommunisten, Sozialisten - also eine breit gestreute Gruppe. Das einzige, was sie vereint hat, war die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus."
Trauttmansdorff war elf Jahre alt, als seine Eltern ermordet wurden.
"Zunächst sind wir verwildert. Am Schlossteich hatten die Russen eine ganze Anzahl an Türblättern auf den Teich geschmissen. Jeder Lausbub von uns hat sich dann so eine Türe angeeignet und wir sind mit Stangen herumgefahren. Auch die Bilder sind zum Teil in den Teich geworfen worden. Die Russen haben mit Mauerbrocken, aber auch Pistolen darauf geschossen. Da sind wir Lausbuben eben herum gestakt. In dem Moment, da sich einer einem Bild genähert hat, haben die Russen aufgehört zu schießen, haben uns die Bilder ohne weiteres heraus fischen lassen. Die hier hatte zum Beispiel ein Pistolenloch im Mund. Da haben wir uns den Scherz gemacht eine Zigarette hineinzustecken. Das ist wieder vorbildlich restauriert worden."

Das historische Bewustssein wird gepflegt

Genauso wie das Benehmen des verwilderten Jungen. Denn der einstige Adel in Österreich hält nach wie vor bestimmte Werte hoch, sagt Felix Montecuccoli:
"Ich habe mich bemüht, meinen Kindern ein Bewusstsein für historisches Erbe, aber auch für historische Zusammenhänge weiterzugeben. Ganz besonders als Bewirtschafter von Waldflächen, von Forst, leben wir immer aus der Geschichte heraus. Weil: Ich lebe heute von den Entscheidungen und Leistungen meines Urgroßvaters und die Entscheidungen, die ich heute treffe, und meine Leistungen im Wald werden meinem Enkel und Urenkel zugutekommen."
Geschichte und Familie sind, allen historischen Umwälzungen zum Trotz, ungebrochen die Grundwerte, die in den Familien des alten Adels gepflegt werden. Hinzu kommt die Religion, in Österreich ist es die katholische. Aber auch da ist vieles im Wandel, sagt Johannes Trauttmansdorf.
"Wenn ich das bei meinen eigenen Nachkommen betrachte, nimmt das eigentlich von Generation zu Generation ab. Ein Urenkelkind von mir ist zum Beispiel nicht mehr getauft worden. Vor 30 Jahren wäre das noch eine Sensation gewesen wäre, aber heute ist es eigentlich selbstverständlich."

Vergangenheiten, die nicht vergehen

Eines ist unverändert: Man bleibt gerne unter sich, heiratet in den eigenen Kreisen, ist untereinander per Du und legt Wert auf den Zusammenhalt innerhalb der größeren Familie. Nichts Besonderes, meint Felix Montecuccoli.
"Ich glaube, wenn man von außen drauf schaut, kann man durchaus den Eindruck haben, dass es ein Verhaltenskodex ist. Von innen betrachtet, ist es der normale Umgang miteinander, wie wir erzogen sind. Dass man sich höflich und respektvoll begegnet, den Älteren, den Damen gegenüber."
Hundert Jahre ist es her, dass die Republik Österreich die Vorrechte des Adels abgeschafft hat. Der Adel sollte sich nicht mehr vom Volk unterscheiden. Aber es gibt Vergangenheiten, die vergehen nicht so einfach.
(leicht bearbeitete Onlineversion, thg.)
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