Ökoszene

Nachhaltigkeit als Aufgabe für die Gesellschaft

Eine Windkraftanlage in Alsleben in Sachsen-Anhalt
Nur Ökostrom reicht nicht, meint Fred Luks. © picture alliance / dpa / Revierfoto
Von Harald Welzer · 03.11.2014
Nachhaltigkeit alleine reicht nicht, um die Welt zu retten. Es bedarf auch Freiheit und Geeignetheit, argumentiert der Ökonom Fred Luks in "Öko-Populismus". Damit führt er das Thema zurück in die Mitte der Gesellschaft.
Grünen- und Ökobashing ist gerade in. Selbst nachhaltige Unternehmer möchten nicht als "Ökos" betrachtet werden, grüne Minister betonen, dass sie Fleisch essen und Bücher, die einen "Ökofimmel" feststellen oder, wie der dänische Statistiker Björn Lomborg, die Apokalypse erst mal vertagen, gehen ganz gut.
Naja, die Botschaft, dass unsere Wirtschaftsweise die Zukunft konsumiert, ist ja auch nicht mehr gerade nagelneu, und Selbstgefälligkeit und Moralismus gehen einem auch nicht nur beim Bundespräsidenten auf die Nerven, sondern mehr noch bei der gewohnheitsmäßig schlechtgelaunten Führungsmannschaft der Grünen. In letzter Zeit erscheinen aber zum Glück auch Bücher, die das Anliegen einer starken Nachhaltigkeit bei gleichzeitiger Kritik der Ökoszene vortragen – die "Grünen Lügen" des Nachhaltigkeitspioniers Friedrich Schmidt-Bleeck, im Frühsommer 2014 erschienen, ist so eins, das gerade erschienene "Ökopopulismus" des an der Wiener Wirtschaftsuniversität lehrenden Fred Luks ein anderes.
Neben Nachhaltigkeit benötigt es Freiheit und Geeignetheit
Luks, der sich selbst sicherlich der Nachhaltigkeitsszene zurechnen würde, kritisiert in diesem Buch zu Recht jede Einfachheit, die suggeriert, dass mit bewussterem Konsum und mehr erneuerbaren Energien die wesentlichen Probleme schon gelöst seien. Ihm scheinen neben der Nachhaltigkeit zwei andere Kriterien für eine gute gesellschaftliche Praxis essentiell: Freiheit und Geeignetheit. Freiheit ist für ihn, was es aufrechtzuerhalten gilt, und zweifellos braucht man nachhaltigere Wirtschafts- und Lebensformen, wenn man eine freiheitliche Gesellschaft will. Mit "Geeignetheit" meint Luks, dass Vorschläge zu einer nachhaltigeren Praxis auch anschlussfähig an die vorhandenen wirtschaftlichen Bedingungen und Infrastrukturen sein müssen. Bei diesen beiden Erweiterungen der Nachhaltigkeitsperspektive kann man Luks durchaus zustimmen – er führt damit, und das ist der große Vorzug seines Buches - das Thema aus der ökotechnokratischen Sackgasse und reformuliert es als gesellschaftspolitisches Thema.
Dabei ist es wohltuend, dass Luks erstens flott schreibt und zweitens Dimensionen anspricht, die andernorts ausgespart bleiben: zum Beispiel, dass man um das Faktum nicht herumkommt, dass viele Konsumangebote nicht nur schlecht für die Umwelt, sondern gleichzeitig auch emotional höchst begehrenswert sind. Einem Autofan wird man den Aston Martin nicht mit Verweis auf den fortschreitenden Klimawandel ausreden können – daher ist die Frage nach der Lebensqualität, ja, sogar nach der Ästhetik der Lebenspraxis eine, die im Ökodiskurs nicht ausgespart werden darf, sondern zentral gestellt werden muss. Man muss dieses gute Argument nicht unbedingt damit unterfüttern, dass man wie Luks einen 12-Zylinder-Sportwagen ausleiht und damit durch die Gegend kachelt, nur um festzustellen, dass der Konsumismus stark verführen kann – wie der Autor, um im Bild zu bleiben, überhaupt manchmal zuviel Gas gibt.
Beim Lesen geht einem besonders auf die Nerven, dass Luks wie in einem Lexikon ständig auf die anderen Kapitel in seinem eigenen Buch verweist, als gäbe es dort Gültigkeiten zu finden, die man gar nicht oft genug lesen kann. Aber abgesehen davon liefert Luks viele brauchbare Ideen und Hinweise, wie man der Verführung des vereinfachenden Arguments und des grünen Pharisäertums entrinnen kann und Nachhaltigkeit wieder als Aufgabe verstehen kann, die nicht nur die Technik transformiert, sondern die Gesellschaft.

Fred Luks: "Öko-Populismus. Warum einfache Lösungen, Unwissen und Meinungsterror unsere Zukunft bedrohen"
Metropolis Marburg, 2014
240 Seiten, 19,80 Euro