Ökonomisierung der Geisteswelt

Moderation: Gabi Wuttke · 28.10.2013
Als "akademischen Kapitalismus" bezeichnet Soziologe Richard Münch die Entwicklung der globalen Hochschullandschaft. Die Unis würden wie Unternehmen agieren - mit all dem ökonomischen Druck. Ratings und Evaluationen setzten sie zudem unter Druck, wirtschaftlich zu handeln.
Gabi Wuttke: Forschungsrating im Mittelpunkt der Empfehlungen des Wissenschaftsrats, der ab heute in Mainz tagt. Ökonomisierung, Nutzen-Maximierung, das sind für den Soziologen Richard Münch die Stichwörter für seine Kritik, denn Bildung und Wissenschaft stehen für den Bamberger Professor unter dem Regime von Pisa, McKinsey und Co. Einen schönen guten Morgen, Herr Münch!

Richard Münch: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Was ist für Sie akademischer Kapitalismus?

Münch: Es handelt sich dabei um eine Entwicklung, aus Universitäten quasi Unternehmen zu machen, die auf einem Markt operieren, miteinander im Wettbewerb stehen, insbesondere um die besten Forscher und Forscherinnen, um Drittmittel, mit denen sie ihre Forschung finanzieren können, und auch in Zukunft in zunehmendem Maße um Studierende.

Wuttke: Wenn der Wissenschaftsrat nun Bund und Ländern empfehlen will, genauer auf die Arbeit der Fachbereiche zu schauen, anstatt eine ganze Universität unter die Lupe zu nehmen, geht er dann für Sie den Weg Qualität vor Quantität?

Münch: Man muss sagen, der Weg ist nicht vollkommen falsch. Es ist schon richtig, nicht auf ganze Universitäten zu schauen, sondern auf einzelne Fachbereiche, aber man muss dabei berücksichtigen, es wird trotzdem versucht, etwas zu vermessen, was sehr schwer zu vermessen ist. Und durch die Vermessung auch verändert wird, weil die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darauf reagieren. Und das muss nicht immer so sein, dass das im Sinne von hochwertiger Wissenschaft ist.

Wuttke: Was genau verschlechtert sich denn durch diese Vermessung?

"Das ist so eine Art Zentralverwaltungswirtschaft, die dabei entsteht"
Münch: Es ist so, dass natürlich eine solche auch qualitative Betrachtung wissenschaftlicher Leistungen nicht umhinkommt, mit irgendwelchen Daten zu arbeiten, eben auch die Zahl von Veröffentlichungen in Fachzeitschriften beispielsweise oder die eingeworbenen Drittmittel. Und dabei wird dann der Blick einseitig auf einzelne Aspekte der Forschung gelenkt, und anderes wird dabei an den Rand gedrängt, dass das dann also nicht mehr gemacht wird, weil es keine Punkte bringt. Das ist so eine Art Zentralverwaltungswirtschaft, die dabei entsteht.

Wuttke: Was geht denn verloren durch die Dinge, die an den Rand gedrängt werden?

Münch: Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel. Ich selber habe an dem Forschungsrating, muss man ja sagen, Soziologie teilgenommen. Da wurden insgesamt folgende Kriterien berücksichtigt: die Forschungsqualität, die Effizienz, der Impact, also der Einfluss auf ein Fachgebiet, der Wissenstransfer in die Praxis und die Wissensvermittlung in die Öffentlichkeit. Jetzt kann man sagen, dass im wissenschaftlichen Kontext Qualität dominiert, und das war insbesondere die Zahl von Publikationen in Fachzeitschriften. Und wer jetzt beispielsweise eher im Transferbereich tätig war, hat dabei immer schlechter abgeschnitten, ist nach unten gestuft worden, obwohl es sich um zwei Tätigkeiten handelt, die beide wichtig sind. Und zwar wäre es besser, wenn man sagen würde, Grundlagenforschung versus angewandte Forschung. Und dann kann jemand oder ein Fachbereich, der angewandte Forschung betreibt, ähnlich gut abschneiden.

Wuttke: Sie sagen, der Wissenschaftsrat hat jetzt einen respektablen Ansatz, aber das Gelbe vom Ei ist das für Sie trotzdem nicht. Man muss aber festhalten, der Wissenschaftsrat hat doch seinen Kurs insofern verlassen, als er mehr Autonomie für Professoren fordert und eben weniger Evaluation, oder?

Münch: Das ist insofern schon richtig, weil der Wissenschaftsrat jetzt eben auch beobachtet hat, dass gewissermaßen die Wissenschaft in zunehmendem Maße zugedeckt wird durch immer weitere neue Evaluationen, und man möchte mit dem Forschungsrating in bestimmter Weise auch Ruhe schaffen, das heißt, nicht mehr so viel ausgesetzt sein externen Rankings, wie das Ranking des Zentrums für Hochschulentwicklung, das sehr umstritten ist, und mehr aus der Wissenschaft selbst heraus eine Leistungsbewertung, die multidimensional ist, nicht eindimensional. Aber wie ich eben gesagt habe, gibt es da noch Verbesserungsmöglichkeiten.

Wuttke: Wie mächtig zum Beispiel McKinsey ist, das wissen alle, die in größeren bis großen Unternehmen arbeiten. Sie haben gerade das Zentrum für Hochschulentwicklung angesprochen. Das ist ja eine Erfindung der Bertelsmann-Stiftung. Wie steht es denn um diese Stiftung? Denn wenn da eine Studie veröffentlicht wird, dann sind Medien und Bundesbildungsministerium sofort auf Trab. Haben die zu viel Macht? Die auch?

"In der Zwischenzeit gibt es Debatten darüber, ob das in Ordnung ist"
Münch: Ich würde schon sagen, ja. Denn es handelt sich um eine Institution, die natürlich also mit – sagen wir mal, mit guten Intentionen in die Entwicklung der Gesellschaft eingreifen möchte, aber das geschieht sehr wenig in einem öffentlichen Diskurs darüber, was da gemacht wird. Sondern es geschieht häufig also einfach in direkter Zusammenarbeit – beispielsweise das Hochschulranking des Zentrums für Hochschulentwicklung der Bertelsmann-Stiftung arbeitet mit der Hochschulrektorenkonferenz zusammen. In der Zwischenzeit gibt es heftige Debatten darüber, ob das in Ordnung ist. Es gibt eine Reihe von Fachgesellschaften, wie auch meine, die Soziologie oder auch die Chemie, die Erziehungswissenschaft, die Geschichte, die empfohlen haben, aus diesem Ranking auszusteigen.

Wuttke: Ist das alles dem Rückzug des Staates geschuldet?

Münch: Auf jeden Fall kann man das sagen. Das entspricht einem globalen Trend, dass der Staat nicht mehr die Verantwortung übernimmt für die Bildung und Forschung im Sinne eines Kollektivgutes, das der Finanzierung durch Steuern bedarf, sondern man verlegt das in die jeweiligen Bereiche hinein, meint, einen Wettbewerb gestalten zu können, in dem sich dann die einzelnen Hochschulen selbst behaupten müssen, indem sie durch ihre Leistungen dann auch attraktiv werden für Drittmittelinvestitionen.

Wuttke: Kritisiert der Soziologe Richard Münch im Deutschlandradio Kultur. Besten Dank, Herr Münch!

Münch: Ja, bitteschön!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.



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