Ökonomin zur Akzeptanz von Umverteilung

Steuergerechtigkeit könnte ein sexy Wahlkampfthema sein

29:37 Minuten
Schauspieler bei einer Protestaktion zum Thema Steuergerechtigkeit und Krisenfinanzierung
Soziale Gerechtigkeit und steuerliche Umverteilung könnten im anlaufenden Wahlkampf wieder eine stärkere Rolle spielen, sagt Ökonomin Lisa Windsteiger. © Imago / SEPA.Media / Barbara Loschan
Lisa Windsteiger im Gespräch mit Annette Riedel · 26.06.2021
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Die Ökonomin Lisa Windsteiger erwartet, dass Steuergerechtigkeit im anstehenden Wahlkampf ein Thema wird. Obwohl die Parteien damit nicht unbedingt bei denjenigen Wählern punkten, die von mehr Umverteilung am meisten profitieren würden.
Menschen mit geringerem Einkommen unterschätzten oft, wie stark sie von Umverteilung über Steuern profitieren könnten, sagt die Umverteilungsforscherin Lisa Windsteiger vom Max-Planck-Institut für Steuerrecht. Sie neigen dazu, ihre Einkommen im Vergleich zu Besserverdienern zu überschätzen. Umgekehrt meinen einkommensstarke Menschen nicht selten, dass sie nur über Durchschnittseinkommen verfügen.
Als wie gerecht oder ungerecht die individuelle Steuerlast empfunden wird, hänge nicht unbedingt von der tatsächlichen Einkommenshöhe ab, vielmehr davon, "wie ich mich selbst im Vergleich zum Rest der Bevölkerung einschätze", meint die Forscherin. Reichere Menschen empfänden die Steuerlast nicht selten als ungerecht, weil sie sich als Durchschnittsverdiener sähen.

Schere zwischen Arm und Reich wieder Thema

Je mehr sich jemand in einer "Blase" befände, in der sich Kontakte weitgehend auf Menschen mit einem ähnlichen sozialen Hintergrund und Bildungsniveau beschränken, desto "verzerrter" sei der Blick auf die gesamte Gesellschaft. Der "Segregation" sozialer Milieus müsse die Politik etwas entgegensetzen, auch mit Bildungsanstrengungen und in der Wohnungspolitik.
Finanzielle Ungleichheiten hätten sich in der Pandemie verstärkt und seien sichtbarer geworden. Allerdings käme es weniger auf das tatsächliche Auseinandergehen der Schere zwischen Arm und Reich an als vielmehr darauf, "wie die Wahrnehmung davon ist".
Die Wissenschaftlerin erwartet, dass soziale Gerechtigkeit und steuerliche Umverteilung im anlaufenden Wahlkampf diesmal durchaus wieder eine stärkere Rolle spielen könnten als bei der letzten Bundestagswahl. Das Thema Steuergerechtigkeit sei keineswegs "unsexy, sondern sehr interessant". Die Parteien sollten nicht davor zurückschrecken, offensiv "diese Themen anzusprechen".

Das Thema Flüchtlinge dominiert nicht mehr alles

Im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 habe dieses "sehr emotionale" Thema in den Wahlkämpfen andere Themen teilweise verdrängt. Jetzt würden Umverteilungsthemen nicht zuletzt deshalb wieder stärker in den Vordergrund rücken, weil die im Zuge der Pandemie aufgehäuften Staatsschulden finanziert werden müssten.
Wenn "Flüchtlinge" und Migration auch medial nicht mehr alles dominierten, könnte sich das negativ auf den Zulauf zur AfD auswirken, meint Windsteiger. Wenn eine solidarische Lastenverteilung bei der Bewältigung der Coronapandemie stärker in den Fokus rücke, könnte sich auch etwa die Debatte um eine Vermögenssteuer oder eine Millionärsabgabe beleben.

Globale Mindeststeuer "wichtiger Schritt" für Steuergerechtigkeit

Lisa Windsteiger begrüßt die Einigung der Industrieländer der G7, eine globale Mindeststeuer einführen zu wollen, als einen "wichtigen Schritt in Richtung Steuergerechtigkeit" auf internationaler Ebene. Wenn aggressive Steuervermeidung von multinationalen Konzernen begrenzt würde, wäre das "wirklich historisch".
Dies gelte in besonderem Maße für Digitalkonzerne, denen es durch Gewinnverschiebungen in Steueroasen leichter als anderen Unternehmen fiele, ihre Steuerlast zu minimieren. In der Coronakrise hätten gerade die Digitalkonzerne besonders stark profitiert. "Die Steuereinnahmen, die daraus resultieren, sind eher überschaubar."
Dass in der EU Anfang des Monats beschlossen wurde, dass Großkonzerne künftig offenlegen müssten, auf welche Länder sich ihre Gewinne, Umsätze und Steuern verteilten, könnte den Druck auf sie erhöhen, Steuervermeidungspraktiken einzuschränken. Denn manche Unternehmen – auch nicht-digitale – würden damit "an den Pranger" gestellt.

Die Ökonomin Lisa Windsteiger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen. Ihre Arbeitsbereiche sind Mikroökonomik, Politische Ökonomie und Finanzwissenschaft. Sie forscht u.a. zur Wahrnehmung von Einkommens- und Vermögensungleichheiten in Deutschland und der Einstellung zu Umverteilungsfragen. Dabei liegt ihr Interesse beispielsweise auf den Zusammenhängen zwischen dem öffentlichen Diskurs zum Thema Flüchtlinge und Migranten und der Haltung in Teilen der Bevölkerung zur Finanzierung des Sozialstaates. Windsteiger hat an der London School of Economics and Political Science promoviert.

(AnRi)
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