Ökonom über Facebooks geplantes Digital-Geld Libra

"Warum sollten wir Angst vor einer privaten Währung haben?"

29:23 Minuten
Nahaufnahmen von zwei Smartphones. Auf einem ist das Logo von libra zu erkennen.
Ohne Smartphone keine digitale Währung. © imago images / Rafael Classen
Moderation: Annette Riedel · 24.08.2019
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Facebooks Digital-Währung Libra könnte das gegenwärtig globale Geldsystem gründlich durcheinander schütteln, glaubt der Ökonom Cyrus de la Rubia. Für den Internetgiganten bringt Libra mehr Macht, mehr Gewinne. Das ruft Kritiker auf den Plan.
Mit einer Digitalwährung bekämen weltweit Millionen Menschen ohne Bankkonten Zugang zum bargeldlosen Zahlungsverkehr. So preist Facebook sein für 2020 geplantes Projekt einer digitalen Währung an.
An den humanitären Gründen des Konzerns werden von vielen Seiten Zweifel angemeldet. Diese könnten bestenfalls "ein Nebeneffekt" sein, meint der Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, Cyrus de la Rubia. Tatsächlich gehe es dem Internetgiganten in erster Linie um die Erweiterung des Kreises seiner Nutzer.
Datenschützer geben zu Bedenken, dass Facebook durch die Digitalwährung Zugriff auf Daten über den Finanzstatus seiner Nutzer und deren Finanztransaktionen bekäme. Das Unternehmen versichert, die Libra nicht ohne Genehmigung einführen zu wollen, Datenschutz zu gewährleisten und die neue Krypto-Währung dezentral zu managen.
Trotzdem sehen Kritiker unter anderem die Gefahr, dass die Zentralbanken nach der Einführung von Libra weiter an geldpolitischem Handlungsspielraum verlieren würden.

Dr. Cyrus de la Rubia ist seit 2012 Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, die bis zu ihrer Privatisierung Ende 2018 HSH Nordbank hieß. Seit 2005 ist de la Rubia im Bereich Volkswirtschaft und Research der Bank tätig. Zuvor arbeitete er für die Dresdner Bank Lateinamerika, zuletzt als Leiter des Bereichs Volkswirtschaft. Von 1996 bis 2000 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie der Universität Potsdam, wo er auch promovierte. De la Rubia studierte Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Kiel und im argentinischen Córdoba.

Das Interview im Wortlaut:

Deutschlandfunk Kultur: Mit Libra, Herr de la Rubia, sollen Menschen sich in Sekundenschnelle weltweit unkompliziert Geld zusenden können und weltweit auch bargeldlos bezahlen können – ohne Kreditkarte, ohne Bankkonto. Die einen sagen zu diesen Facebook-Plänen "prima, mit der Digitaldevise wird vor allem grenzübergreifender Zahlungsverkehr wesentlich einfacher und günstiger". Die anderen sehen es, wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, so: "Nur ein Dummkopf würde Facebook seine Finanzen anvertrauen." Würden Sie?
Cyrus de la Rubia: Ich würde Facebook auch nicht meine Finanzen anvertrauen. Aber das Libra-Konzept basiert nicht auf einem reinen Facebook-Ansatz, sondern Facebook sammelt um sich herum sozusagen ganz viele Spieler - und zwar Wirtschaftsunternehmen, Zahlungsanbieter, aber auch gemeinnützige Organisationen. Die Idee ist, dass letztendlich mindestens hundert Unternehmen dezentral diese Libra-Währung steuern.
Deutschlandfunk Kultur: Jetzt schwört Facebook Stein und Bein, dass die Facebook-Tochter Calibra - das wäre dann so eine Art Geldbörse, wo man sein Libra parkt, wenn man es so nennen will - dass die keine Kontoinformationen und Finanzdaten der Nutzer ohne Zustimmung an den Mutterkonzern weitergeben. Auf der anderen Seite wird es aber bestimmte Anwendungen geben, die man ohne diese Zustimmung gar nicht durchführen kann. Also werden Daten Richtung Facebook wandern. Da beißt die Maus keinen Faden ab.
de la Rubia: Das wird man sehen. Die Nutzer haben die Möglichkeit, Calibra als Wallet, also als digitales Portemonnaie zu nehmen. Es gibt aber auch Wettbewerber, die sind auch vorgesehen, die ihrerseits Wallets anbieten. Insofern hat der Nutzer auch die Möglichkeit, auf andere digitale Portemonnaies auszuweichen, wo dann das Misstrauen gegenüber Facebook vielleicht nicht ganz so gerechtfertigt ist.

Nur ein Player von vielen

Deutschlandfunk Kultur: Facebook hat in den USA gerade ein Milliarden-Bußgeld kassiert, weil sie eben nicht sachgerecht mit den Daten ihrer Nutzer umgegangen sind. Das mag einen doch schon misstrauisch machen.
de la Rubia: Ich würde auch misstrauisch sein. Das ist überhaupt keine Frage. Man muss einfach sehen, das Konzept ist so, dass am Ende Facebook tatsächlich nicht mehr als ein Prozent der Stimmen in der Libra-Assoziation hat. Visa, Ebay, ganz viele andere Unternehmen, Mastercard, Paypal usw. haben auch jeweils ein Prozent der Stimmen. Wenn es so kommt, wie Facebook es angekündigt hat - ab 2020, die erste Hälfte 2020 ist der sehr ehrgeizige Termin - dann ist Facebook ein Player unter vielen. So ist es zumindest auf dem Papier erstmal festgelegt. Dann wird man beobachten müssen, ob Facebook da seine Versprechen einhält. Das ist ja tatsächlich eine Akzeptanzproblematik. Ich glaube, Facebook würde sich ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie diese Planung über den Haufen werfen.
Deutschlandfunk Kultur: Bevor wir noch ein bisschen mehr ins Detail gehen, was die Chancen und Risiken und das Potenzial dieser Krypto-Währung angeht, muss man vielleicht kurz möglichst einfach erklären, wie das Ganze funktionieren soll. – Also, wie komme ich an virtuelles Geld?
de la Rubia: Es gibt ein paar Elemente, die tatsächlich erläutert werden müssen. Das erste ist, dass Libra relativ wertstabil sein soll, einfach deswegen, weil es gedeckt wird mit normalen Währungen – fünfzig Prozent Dollar und dann noch fünfzig Prozent andere stabile Währungen wie Euro, Pfund, Yen. Das sorgt dafür, dass die Preisschwankungen von Libra zwar nicht eliminiert werden, aber sie werden minimiert und sind deutlich geringer natürlich als bei Bitcoin etwa oder anderen Kryptowährungen.
Deutschlandfunk Kultur: Wo wir ja extreme Schwankungen erlebt haben. Aber zunächst erstmal muss ich ja Libra kriegen. Wie und wo?
de la Rubia: Libra wird letztlich von der Libra-Assoziation an Händler herausgegeben, die einen Vertrag mit dieser Libra-Assoziation haben, die von den hundert Mitgliedern gesteuert wird. Von dort kann die Libra erworben werden. Und zwar zahle ich als Händler, ich könnte es auch Zwischenhändler nennen, beispielsweise eine Million Euro ein und bekomme Libra im Gegenwert von einer Million Euro. Dann kann ich als Händler diese Libra wiederum verteilen an andere Menschen. Ich kann auch als normaler Nutzer bei Ebay beispielsweise ein Gut verkaufen gegen Libra. Und jemand, der schon Libra hat, überweist mit die Libra und dann bin ich schon in diesem Ökosystem drin.

Netzwerkeffekt für Verbreitung nutzen

Deutschlandfunk Kultur: Wenn es irgendwann so weit kommt, das Ganze soll ja aber doch angedockt sein beispielsweise an Facebook oder WhatsApp.
de la Rubia: Das ist ganz klar, dass Facebook bzw. WhatsApp, was ja zu Facebook gehört, sein Netzwerk auch nutzen wird, um Libra auch zu verbreiten und diesen Netzwerkeffekt auch zu nutzen. Das heißt aber nicht, dass es Bedingung ist, Facebook oder WhatsApp zu haben, um an Libra zu kommen. Sondern es gibt eben diese alternativen Wallets. Insofern kann ich unabhängig von Facebook und WhatsApp auch Libra erwerben und damit Zahlungen durchführen.
Deutschlandfunk Kultur: Was ist jetzt für den Nutzer der Mehrwert gegenüber der Möglichkeit, mobil zu bezahlen? Denn es gibt ja dafür schon mehrere Möglichkeiten, bei uns noch nicht so furchtbar viel, aber zum Beispiel die chinesischen Internetkonzerne Tencent und Alibaba bieten es an. Es gibt den M-Pesa in Kenia oder auch WeChat Pay, auch eine chinesische Variante. Das sind Möglichkeiten, mobil zu bezahlen.
de la Rubia: Das Neue an einer Kryptowährung wie Libra ist, dass es nicht abhängig ist von einem Bankkonto. Wenn Sie Paypal, ApplePay, Visa oder die EC-Karte nehmen, geht es da ja überall auch um mobiles Bezahlen. Das ist richtig. Das ist vom Komfort her wahrscheinlich ähnlich, wie bald auch Libra sein könnte. Nur, ich benötige unbedingt ein Bankkonto, an das es angeknüpft ist. Das brauche ich bei Libra nicht, und zwar deswegen nicht, weil Libra auf einer Blockchain-Technologie basiert.
Deutschlandfunk Kultur: Eine Art elektronisches Kassenbuch, kann man das so nennen?
de la Rubia: Ja, das dezentral, in diesem Fall unter den hundert Mitgliedern, jeweils gespeichert ist. Insofern habe ich kein individuelles Konto bei einer Sparkasse oder bei einer Geschäftsbank, sondern ich kann unabhängig vom Bankensystem diese Zahlungen durchführen.

Bargeldloses Bezahlen ohne eigenes Bankkonto

Deutschlandfunk Kultur: Nun gibt sich Facebook mit dieser Idee als humanitär, als Rebell gegen das existierende Finanzsystem. Sie verweisen mit Recht darauf, dass 1,7 Milliarden Menschen weltweit in der Tat kein eigenes Bankkonto haben und dann in die Finanzgeschäftswelt mit einbezogen werden könnten. Aber abnehmen kann man ihnen das nicht. Denen geht’s darum, mehr Nutzer zu generieren, mehr Werbeeinnahmen zu haben. Und das reale Geld, was die Nutzer sozusagen zur Verwahrung im Gegenwert zur Libra geben, dann ja auch so anzulegen, dass zumindest ein kleiner Zinsgewinn dabei rauskommt.
de la Rubia: Sicher ist Facebook ein gewinnorientiertes Unternehmen und wird alles daransetzen, um mit Hilfe von Libra auch seine Gewinne zu erhöhen. Das ist richtig. Aber das marktwirtschaftliche System funktioniert ja in der Regel so, dass Unternehmen ihre Gewinne maximieren und trotzdem - als erstaunlich positiver Nebeneffekt - auch gesellschaftlicher Nutzen daraus entstehen kann.
Deutschlandfunk Kultur: Aus Versehen.
de la Rubia: Nicht unbedingt aus Versehen, aber auch nicht als Hauptziel. Aber es ist ein entscheidender Nebeneffekt in diesem Fall, dass der Zugang zu Finanzen Menschen gewährt wird, die das in einem normalen Umfeld einfach nicht haben. Und M-Pesa haben Sie als Beispiel genannt…
Deutschlandfunk Kultur: Aus Kenia.
de la Rubia: Da ist es entstanden. Es wird inzwischen auch in Tansania, Indien und anderen Ländern schon verwendet. Da ist in der Tat so etwas wie finanzielle Inklusion entstanden. In Kenia alleine haben sechzig Prozent der erwachsenen Bevölkerung Zugang zu diesem System, was tatsächlich bankunabhängig, allerdings immer noch relativ zentral funktioniert in dem Sinne, dass Telefonunternehmen dort die entscheidenden Spieler sind.
Deutschlandfunk Kultur: Wir haben schon den Unterschied zu anderen Kryptowährungen, die wir schon haben, versucht zu skizzieren. Bitcoin ist vielleicht die bekannteste. Stabil, haben Sie gesagt, wird Libra wahrscheinlich im Gegensatz zu Bitcoin sein. Und Sie sagen auch, dass es dezentral gemanagt werden wird über diese Libra-Assoziation. Im Moment sind da knapp dreißig drin. Aber bis zum Beginn sollen hundert verschiedene Unternehmen daran beteiligt sein.
Trotzdem ist eine Hauptkritik der Bitcoin-Gemeinde, dass es eben nicht klassisch dezentral ist, sondern dass es letztendlich so eine Art neue Bank gibt, eine Art Schattenbank, die da mit diesem Konsortium entsteht, dieser Assoziation, die das ganze managt und genau dem Gedanken von Kryptowährungen entgegensteht.

Viel energieeffizienter als Bitcoin

de la Rubia: Wir haben bei Bitcoin ein großes Problem insofern, als die Skalierbarkeit von Bitcoin sehr gering ist. Das heißt, es können nur eine begrenzte Anzahl von Transaktionen pro Sekunde durchgeführt werden. Tatsächlich sind es nur vier pro Sekunde. Libra möchte auf tausend und mehr kommen. Und das werden sie auch schaffen, weil sie eben dadurch, dass sie eine zwar dezentrale, aber nicht zulassungsfreie Blockchain haben, sondern eben nur eine begrenzte Anzahl von Mitgliedern, die dort teilnehmen können. Diese Mitglieder haben dann einmal die Computerpower, um die Transaktionen schnell durchzuführen. Und es ist nicht notwendig - wie bei Bitcoin - ein sehr aufwendiges kryptographisches Verfahren zu installieren, um Transaktionen zu genehmigen. Sondern das geschieht praktisch nur durch einmal abhaken sozusagen – sehr viel energieeffizienter als die Bitcoin-Variante.
Deutschlandfunk Kultur: Natürlich haben sich viele Bitcoin angeschafft, um mit einem großen schnellen Gewinn zu spekulieren. Aber es war ja auch ein Gedanke dahinter, der eben darauf beruhte, dass man sagt, man will letztendlich die Macht der Banken, der Regierungen, der Monopolisten brechen. Und jetzt sieht es so aus, als ob mit Libra ein alternatives Monopol sozusagen geschaffen wird.
de la Rubia: Ich glaube nicht, dass Libra Bitcoin verdrängen wird. Bei den Menschen, denen eben diese Privatsphäre extrem wichtig ist, und die möglicherweise auch in Ländern leben, wo sie unterdrückt werden und wo sie wirklich Probleme haben, ihr Vermögen irgendwie den gierigen Händen des Staates zu entziehen – ich denke an Venezuela oder Simbabwe oder andere Länder, wo viel Korruption herrscht und die Institutionen nicht funktionieren - ich glaube, da wird Bitcoin sicherlich auch weiterhin existieren. Insofern sehe ich das nicht als eine Konkurrenz, die Bitcoin verdrängt.

Chinesen arbeiten an digitalem Yuan

Deutschlandfunk Kultur: Es ja eigentlich nachgerade fast logisch, dass es in Zeiten der Digitalisierung tatsächlich auch eine digitale Währung geben sollte, mit der man günstig überweisen kann. Ist es vielleicht so, dass andere Player in der Finanzwelt diese Entwicklung eher verschlafen? Also, warum gibt’s zum Beispiel keinen E-Euro, also eine digitale Variante des Euro?
de la Rubia: Darüber machen sich Zentralbanken schon seit mehrere Jahren Gedanken. Es gibt große Forschungsteams, die drauf angesetzt sind. Die chinesische Zentralbank hat jetzt jüngst angekündigt, dass sie kurz davor stehen, einen E-Yuan zu lancieren. Ich glaube, da übertreibt man ein bisschen mit dem "kurz davor", aber dass man daran sehr stark arbeitet, glaube ich auf jeden Fall. In Schweden ist man da auch schon etwas fortgeschrittener. Schweden hat das Problem, dass tatsächlich die Zahlungen, die überhaupt noch in bar geleistet werden, immer mehr abnehmen und viele Händler gar keine Barzahlung mehr annehmen.
Insofern ist das richtig, dass die Zentralbanken sich durchaus Gedanken machen, aber – ich würde Ihnen Recht geben – zu langsam wird da agiert - und zwar einmal auf der Seite der Zentralbanken, dass sie nicht diesen Wettbewerb n annehmen und dann auch selber sagen, "hier, wir haben durchaus eine Alternative zu bieten".
Deutschlandfunk Kultur: Vielleicht bin ich ja ganz furchtbar 20. Jahrhundert, aber mir wäre persönlich das Gefühl angenehmer, wenn ich mit einer digitalen Währung arbeiten würde, dass sie von einer Zentralbank kommt, vorzugsweise der Europäischen Zentralbank und nicht von einem Konzern. Ich meine, da bekommt doch ein Konzern ein Machtinstrument in die Hand, was einen doch nachgerade beunruhigen sollte.

Libra regulieren und nicht verbieten

de la Rubia: Ich glaube, was ganz wichtig ist, ist, dass diese private Währung, sei es Libra oder sei es ein anderes Konstrukt, was eventuell auch nochmal auf den Markt kommt, natürlich bestimmten Regeln unterworfen ist. Gleichzeitig glaube ich nicht, dass es sinnvoll wäre, da einfach ein Verbot auszusprechen und zu sagen: "Wir als Zentralbank oder als Staat wollen unser Emissionsmonopol behalten. Deswegen verbieten wir alles andere." Ich glaube, da würde man sich auch keinen Gefallen tun, weil ganz viele neue Geschäftsmöglichkeiten auch mit dieser privaten Währung verbunden und auch Wohlfahrtseffekte, dass Menschen sehr günstig Geld ins Ausland transferieren können, wenn sie hier als Gastarbeiter beispielsweise sind.
Insofern glaube ich, dass man da eine gute Balance halten muss. Auf der einen Seite regulieren, ja, auf der anderen Seite den Wettbewerb annehmen und selber auch E-basiertes Zentralbankgeld auch schaffen.
Deutschlandfunk Kultur: Regulieren sagen Sie, nicht verbieten. Das sieht man in manchen Kreisen anders. Politiker, Notenbanker, aber auch Bürger, die Bedenken gegen dieses Projekt haben. Zum Beispiel hat Finanzminister Scholz gesagt: "Die Herausgabe einer Währung gehört nicht in die Hände eines Privatunternehmens. Denn sie ist Kernelement staatlicher Souveränität." Und die G7, die wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt, haben gesagt: "Die Welt braucht keine zusätzliche Währung, die sich der demokratischen Kontrolle entzieht." – Das klingt dann doch eher nach Verbieten-Wollen als nach Regulieren-Wollen.
de la Rubia: Ich glaube, dass viele Institutionen ihre Privilegien sozusagen gefährdet sehen. Da ist die reflexartige Reaktion erstmal: "Das wollen wir nicht. Wir sind bisher sehr, sehr gut gefahren mit dem, was wir haben. Und wir wollen nicht, dass Private sich da einmischen." Ich glaube nicht, dass es letztendlich ein erfolgversprechender Ansatz ist. Es wird immer - nehmen wir beispielsweise die Schweiz - Länder geben, die da offener sind, die letztendlich mit uns im Wettbewerb stehen. Da ist es doch sehr fraglich, ob ein Verbot nicht dazu führt, dass wir im Wettbewerb zurückfallen.
Deutschlandfunk Kultur: Libra soll ja auch aus der Schweiz gemanagt werden. Jedenfalls soll die Assoziation, über die wir schon geredet haben, dort ihren Sitz haben. Zur Kritik an dem Projekt gleich nochmal ein Wort - aber wenn wir gerade dabei sind: wie soll das mit der Zulassung funktionieren? Die muss ja im Grunde weltweit sein, also auch Regulierung, Vorgaben an Transparenz oder Strukturen in so einer Assoziation. Oder kann das dann nach Schweizer Muster funktionieren?
de la Rubia: Letztendlich wird vermutlich jeder Staat darüber entscheiden, ob Zahlungen in Libra auf seinem Staatsgebiet dann möglich sind. China beispielsweise lehnt Libra ab.
Deutschlandfunk Kultur: Die haben schon gesagt, sie würden sie nicht akzeptieren.
de la Rubia: Ganz genau. Und entsprechend wird beispielsweise auch der Yuan vermutlich oder ziemlich sicher nicht im Währungskorb aufgenommen werden, der die Libra deckt. Und Zahlungen – zumindest in der Calibra-Wallet – werden auch nicht Bürgern in China erlaubt werden.
Letztendlich muss tatsächlich Calibra mit jeder einzelnen Regulierungsbehörde sprechen und da eine Zulassung erwirken.
Deutschlandfunk Kultur: Also die Assoziation, die Libra managen wird.
de la Rubia: Richtig, ja. Die müssen mit allen Regulierungsbehörden sprechen. Das ist natürlich ein sehr aufwendiges Verfahren, aber wenn man wirklich globalen Anspruch hat und global sein möchte, dann führt daran kein Weg vorbei.

Es könnte eine dritte Weltwährung entstehen

Deutschlandfunk Kultur: Könnte es denn zu einer der wichtigsten globalen Währungen werden? Hat es das Potenzial?
de la Rubia: Denkbar ist das. Insbesondere bei kleineren Zahlungen kann ich mir das vorstellen, dass Libra gerade in einkommensschwächeren Regionen ein beliebtes Zahlungsmittel wird, weil eben die Transaktionskosten deutlich niedriger sind, als das bei herkömmlichen Zahlungssystemen ist. Nach Angaben der Weltbank ist eine Überweisung mit Gebühren im Durchschnitt sieben Prozent verbunden. Das heißt, wenn ich hundert Euro überweise, gehen sieben Euro an die zwischengeschalteten Zahlungsanbieter. Bei Libra werden Null-Transaktionskosten angestrebt, aber lassen Sie es 0,5 Prozent sein. Dann ist das immer noch eine erhebliche Einsparung. Und das betrifft eben viele Menschen mit geringem Einkommen, wo das wirklich auch einen großen Impact hat. Insofern glaube ich, dass das auch sehr wohlfahrtsfördernd sein kann.
Deutschlandfunk Kultur: Was bedeutet das für das internationale Finanzsystem? Ist da wirklich am Horizont das, was manche schon als "globale ökonomische Revolution" bezeichnen, zu sehen?
de la Rubia: Also, in einem ersten Schritt ist Libra zu fünfzig Prozent durch den Dollar gedeckt.
Deutschlandfunk Kultur: In einem ersten Schritt. Vielleicht löst sie sich davon auch irgendwann.
de la Rubia: Das ist die Frage, aber in einem ersten Schritt sind diese fünfzig Prozent festgelegt. Das wird eine ganze Weile dauern, bis man sich davon löst, weil man erstmal Glaubwürdigkeit aufbauen muss. In dieser Zeit ist eher von einer größeren Dollar-Dominanz auszugehen, weil auch die Libra, die in der Eurozone gehandelt wird, ja mit fünfzig Prozent Dollar gedeckt ist und insofern alle Eurozahlungen, die damit substituiert werden, stärker in Dollar vollzogen werden.
Wenn man einen Schritt weitergeht, wie Sie sagen, dass man sich wirklich von dieser Deckung löst und sozusagen ein eigenes Ökosystem aufbaut, dann ist durchaus denkbar, dass da zumindest eine dritte große Weltwährung entsteht, die natürlich auch parallel zum Dollar und zum Euro existieren kann.
Deutschlandfunk Kultur: Gemanagt von Unternehmen. Irgendwie wird mir dabei schon immer ein bisschen schummrig.
de la Rubia: Es ist immer die Frage der Perspektive. Wir leben in einem Land, wo die Institutionen relativ gut funktionieren. Warum sollen wir da Angst haben vor einer privaten Währung, wenn wir doch alle die Möglichkeit haben, auch weiterhin die staatliche Währung zu benutzen.
Andererseits, wenn man in Ländern lebt, deren Institutionen nicht funktionieren, warum soll man da Libra verbieten und praktisch letztendlich die korrupten Regierungen dort unterstützen und sagen, "ihr könnt weiter euer Monopol behalten und die Bürger ausnehmen", wenn doch eigentlich eine Alternative da ist. Die ist zwar privat, aber privat ist ja nicht per se schlecht – auch wenn’s ums Geld geht.

Steuern immer nur in Euro zahlen

Deutschlandfunk Kultur: Sie haben schon gesagt, man sollte Libra nicht stoppen. Man sollte das Potenzial nutzen. Man sollte und muss es auch regulieren. Finanzminister Scholz hat gesagt: "Der Euro ist uns bleibt das einzige gesetzliche Zahlungsmittel im Euroraum." Welche Handhabe hat jetzt eine Regierung wie die Bundesregierung zu regulieren, wenn sie nicht verbietet? Kann sie sagen, "wir regulieren die Höhe der Beträge, die in Libra gehandelt werden können"? Kann sie sagen, "es dürfen nur Privatpersonen mit Libra bezahlen, beispielsweise"? Kann sie sagen, "wir stellen Anforderungen an demokratische Mitbestimmung in der Assoziation, die das ganze managt"? Was für eine Handhabe haben die Regierenden und was sollten sie tun?
de la Rubia: Der Staat hat zum einen eine ganz einfache Handhabe, indem er sagt: "Steuern werden bei uns in der Landeswährung bezahlt. Wir akzeptieren keine anderen Zahlungsmittel." Da die meisten Bürger Steuern zahlen, ist jeder Bürger letztendlich gezwungen, zumindest einen bestimmten Betrag in die Landeswährung wieder zu tauschen. Auch wenn er vorher in Libra gehandelt hat, muss er letztendlich für die Steuerzahlung dann Euro wieder erwerben. Damit hat der Staat schon mal eine relativ große Kontrolle darüber, über sein Monopol und darüber, dass die Leute tatsächlich auch Euro nutzen und der Euro auch einen Wert hat. Weil Steuern in Euro bezahlt werden müssen. Das ist zum einen ein Hebel.
Der andere Punkt, der ja sehr stark diskutiert wird, ist die Frage, wie weit Geldwäsche mit Libra erleichtert werden könnte. Calibra sieht vor, dass jeder Nutzer einen sogenannten "Know-Your-Customer-Prozess" durchführt. Das heißt also, jeder Nutzer muss sich identifizieren und nachweisen, dass er keinen illegalen Tätigkeiten nachgeht.
Deutschlandfunk Kultur: Teil des Anti-Geldwäschegesetzes, was es ja auf europäischer Ebene gibt.

Gefahr der Geldwäsche lässt sich begrenzen

de la Rubia: Ganz genau. Jetzt kann man Folgendes machen: Man kann sagen: okay, Calibra erfüllt diese Voraussetzungen. Dann gibt es vielleicht noch eine Reihe von anderen Wallets, die diese Voraussetzungen entsprechend den Regulatorien auch erfüllen. Was machen wir jetzt mit Wallets, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen? Wenn ich also von einem Calibra-Wallet auf ein Wallet in Nigeria was überweise und das ist ein No-Name-Wallet - da könnte man mit Höchstbeträgen, glaube ich, am effizientesten agieren, dass man sagt: "Okay, Überweisung auf die Wallets, die nicht auf dieser Liste stehen, die die Know-Your-Costumer-Regeln befolgen, die dürfen beispielsweise höchstens 500 Euro Äquivalent betragen. Das ist wahrscheinlich effizienter, als wenn man derartige Überweisungen komplett ausschließt oder ganze Länder auch herausnimmt.
Deutschlandfunk Kultur: Ein Problem, das Kenner der Bankenwelt immer wieder benennen, ist, dass die Zentralbanken über eine Kryptowährung dieses Ausmaßes, dieser möglichen Verbreitung massiv an Einfluss, an geldpolitischer Gestaltungsmöglichkeit verlieren. Ist das eine Gefahr oder ist das ein Gewinn, weil es da natürlich auch immer wieder Manipulationen von Währungen auf dem Umweg über Zentralbanken gibt?
de la Rubia: Diese Problematik, dass man Währungen hat, die im Wettbewerb zur eigenen Währung stehen, ist keine neue Problematik. Das haben viele Länder, die traditionell instabile Währungen haben. Nehmen wir die Ukraine, neben wir Argentinien - da findet ohnehin schon seit Jahren eine Art von "Dollarisierung" oder "Euroisierung" statt. Das heißt, die Bürger weichen aus auf stabile Währungen. Und in diesen Ländern verliert die Notenbank in der Tat den Einfluss, kann die Wirtschaft nicht so steuern, wie sie das eigentlich möchte.
Das kann durchaus auch in der Eurozone passieren, insbesondere angesichts der negativen Zinsen, die wir derzeit in der Eurozone haben. Also eine zehnjährige Bundesanleihe - da bekommt man kein Geld, sondern muss pro Jahr 0,7 Prozent zahlen, um das Privileg zu haben, diese Anleihe zu halten. Da könnte natürlich sein, dass viele Anleger sagen: "Na gut, da weiche ich doch lieber auf Libra aus und halte das Geld zwar so oder mit null Zinsen und stehe aber dann besser da als mit dem Euro."
Das hängt sicherlich auch davon ab, für wie sicher die Bürger Libra ansehen. Da muss natürlich sehr viel Vertrauen aufgebaut werden.

Deutsche wollen möglichst viel in bar erledigen

Deutschlandfunk Kultur: Es gibt eine Umfrage, eine aktuelle aus dem Juli, dass 72 Prozent der Bürger in Deutschland das sehr skeptisch sehen.
de la Rubia: Das wundert mich nicht. Deutschland ist ohnehin ein Land, was sehr stark zur Bargeldhaltung neigt, was möglichst viele Transaktionen in bar durchführt und gerne auch ein Bündel Scheine zu Hause unter der Matratze hält. Insofern, glaube ich, ist es nicht unbedingt repräsentativ für den Globus. Und da Libra ja einen globalen Anspruch hat, müsste man das vielleicht ein bisschen relativieren.
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben gesagt, was das für Zentralbanken der einzelnen Staaten bedeuten kann. Die Europäische Zentralbank, die für die Niedrigzins- oder Negativzinspolitik in der Eurozone verantwortlich ist, hat ja als höchstes edelstes Mandat, die Preisstabilität zu garantieren. Kann dieses Mandat in irgendeiner Form berührt werden, wenn es diese Kryptowährung irgendwann gibt und sie eine gewisse Verbreitung findet?
de la Rubia: Ja sicher. Die Notenbank versucht ja durch Zinserhöhung oder Zinssenkung - je nachdem, wie der Konjunkturzyklus gerade ist - die Konjunktur zu beeinflussen und letztendlich damit das Preisniveau und die Inflation zu beeinflussen. Wenn aber ein Großteil der Transaktionen tatsächlich in Libra stattfindet, dann ist diese Einflussmöglichkeit durchaus erheblich verringert. Wobei, man muss in der heutigen Welt sagen: Wer traut der EZB überhaupt noch zu, die Inflation zu steuern? Das ist ja ein globales Phänomen. Jetzt wird gerade in den USA beim Zentralbanktreffen in Jackson Hole auch darüber diskutiert, welche neuen Konzepte es denn gibt, damit Notenbanken tatsächlich wieder in die Lage versetzt werden, die Preise zu steuern. Das ist also unabhängig von Libra ohnehin ein Problem.

Neue EZB-Chefin Lagarde wird politischer handeln

Deutschlandfunk Kultur: Das gibt mir das Stichwort, um von Ihnen noch einen Satz zu der neuen Chefin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde einzufordern. Im November tritt sie ihr Amt an. Sie ist Juristin. Sie war Politikerin. Sie war Chefin des Internationalen Währungsfonds. Sie ist keine gelernte Ökonomin. – Was erwarten wir von ihr?
de la Rubia: Ich glaube, von Christine Lagarde können wir eine wesentlich politischer agierende Notenbankpräsidentin erwarten.
Deutschlandfunk Kultur: Ist das gut oder schlecht?
de la Rubia: Ich glaube, es ist gut, weil "politischer" heißt für mich nicht "politisch abhängiger", sondern sie wird möglicherweise viel offensiver als Mario Draghi das gemacht hat, auf die Regierung zugehen und ihnen - nicht unbedingt in aller Öffentlichkeit - aber ihnen letztendlich in mehr oder weniger privaten Gesprächen sagen: "Passt auf. Die Notenbank hat nicht mehr die Mittel, um die Wirtschaft zu steuern bzw. um die Inflation wieder nach oben zu bekommen und die Wirtschaft anzukurbeln. Ihr seid dran! Die Regierungen müssen mit Fiskalpolitik, mit Strukturreformen endlich agieren, damit die Wirtschaft wieder in Schwung kommt."
Das kann sie mit einer viel größeren Autorität vertreten, als das Mario Draghi gemacht hat. Mario Draghi hat in jeder Stellungnahme durchaus auch die Regierungen in die Pflicht genommen. Aber Christine Lagarde als IWF-Chefin weiß ganz genau, wovon sie redet. Da ging es immer darum, dass Länder Strukturreformen durchführen müssen, dass sie ihre Wirtschaft umkrempeln müssen. Und da hat Geldpolitik immer nur eine Rolle gespielt, aber nicht die entscheidende Rolle. Insofern gehe ich mal davon aus, dass sie diesen viel umfassenderen Ansatz auch wählt.
Deutschlandfunk Kultur: Ganz konkret: Sie könnte nach Rom gehen und sagen, "okay, wir kaufen - wir, die EZB – wir kaufen weiter italienische Staatsanleihen, damit die Rendite da in nicht in unfinanzierbare Höhe schießt. Aber dafür erwarten wir, EZB, auch, dass ihr - italienische Regierung - a, b, c, d, e, f, g macht.
de la Rubia: So wird sie es bestimmt nicht machen. Sondern sie wird das einfach thematisieren, den politischen Handlungsbedarf viel stärker in den Pressekonferenzen in den Vordergrund rücken und letztendlich mit ihrer Autorität versuchen, die Regierungen in die Pflicht zu nehmen.
Wenn man dieses so macht, wie Sie das jetzt gerade vorschlagen, ich glaube, das wäre zu plump. Das wäre letztendlich kontraproduktiv.
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