Weltneuheiten in Rotterdam

Park und Kuhstall lernen schwimmen

Modellzeichnungen vom "Recycled Park": Seit dem 4. Juli 2018 schwimmt er im Rotterdamer Hafen.
Modellzeichnungen vom "Recycled Park": Seit dem 4. Juli 2018 schwimmt er im Rotterdamer Hafen. © Recycled Island Foundation
Von Klaus Englert · 04.07.2018
Im Rotterdamer Hafen schwimmt seit Neuestem ein recycelter Park: eine Insel, gefertigt aus Plastikmüll, der aus dem Wasser gefischt wurde. Demnächst startet nebenan die "Floating Farm" - ein Kuhstall, der auf Kreislaufwirtschaft setzt. Gelungene Vorzeigeprojekte oder unnötige Spielereien?
Floris Alkemade steht im Rotterdamer Stadtviertel Katendrecht, am Rande des Rheinhafens. Er ist der Reichsbaumeister der Niederlande. Ein besonderes Amt, in dem er sich als unabhängiger Berater der Regierung in alle architektonischen Entwicklungen des Landes einmischen kann und viele selbst steuert. Zentral in Alkemades Arbeit ist derzeit das Rotterdamer Hafenareal. Hier sei etwas Bedeutendes im Gange.
"Rotterdam und der Hafen gehören eng zusammen. Nachdem der Hafen in die Nordsee verlegt worden war, blieb die Stadt zurück und die alten Hafenanlagen wurden nicht mehr genutzt. Seither läuft ein faszinierender Wandel."

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Floris Alkemade, der früher als Partner in Rem Koolhaas' Architektur-Kaderschmiede "Office for Metropolitan Architecture" tätig war, ist davon überzeugt, dass der Wandel überall am Hafen sichtbar ist. Ganz Rotterdam werde so erneuert:
"Dieser Wandel ist beeindruckend. Anfangs dachten wir daran, in dem Gebiet Wohnungen hochzuziehen. Dann kam uns die Idee, hier wieder Produktionsstandorte anzusiedeln. Wir wollen keine neue Monokultur. Momentan bildet sich hier eine neue Stadt heraus. Produktion, Konsum und Wohnen finden dank neuer nachhaltiger Technologie zusammen. Dabei entstand ein völlig neuer Typ städtischen Wohnens."
Ein prominentes Beispiel ist die "Fenix Food Factory" im Viertel Katendrecht. Hier verkaufen Kooperativen ihre Waren in einer ehemaligen Hafen-Lagerhalle. Die wirkt wie ein überdachter Marktplatz, wo alles Mögliche zwischen einheimischem Käse und arabischen Köstlichkeiten angeboten wird. Auch ein Restaurant mit Fischspezialitäten gehört dazu. Der Ort am alten Hafenpier ist ein beliebter Treffpunkt, der sich mittlerweile in den ganzen Niederlanden herumgesprochen hat. Bereits in den Morgenstunden überrascht die quirlige Atmosphäre. Solche Initiativen hat Reichsbaumeister Floris Alkemade im Kopf, wenn er die Potenziale des Hafenareals denkt.
Im alten Rotterdamer Hafen wird es jetzt grün. Bäume schwimmen schon auf kleinen Inseln.
Im alten Rotterdamer Hafen wird es jetzt grün.© Klaus Englert
"Hier können Leute, mit guten Ideen, aber wenig Geld, etwas bewegen. Das gibt es nicht so häufig. Normalerweise werden diese Gruppen durch die Gentrifizierung verdrängt, weil alles teurer und luxuriöser wird. In Katendrecht gibt es eine eigentümliche Mischung aus Start-ups. Die Stadt braucht solche Viertel, wo die Leute experimentieren können, manchmal mit großem Erfolg, manchmal mit Scheitern. Und genauso ist es hier. Es gibt Rotterdam diese Frische, wo kein Masterplan von oben greift, wie die Stadt aussehen sollte, es ist mehr ein Spiel der freien Kräfte mit überraschenden Elementen, die so in die Stadt kommen."

Plastemüll aus der Maas als Baumaterial

Ein Beispiel für Innovationen im Rotterdamer Hafen zeigt Floris Alkemade am anderen Ende des Rheinhafens. Dort liegen die "Floating Pavillons" – drei Kuppelbauten, die aussehen wie riesige, transparente Halbkugeln, die auf dem Wasser treiben. Vor den drei Pavillons breiten sich grüne Inseln aus: Kleine, kreisrunde Eilande, auf denen mittlerweile zwei Meter hohe Bäume wachsen.
Verantwortlich dafür ist Ramon Knoester. Er hat die schwimmenden Inseln im Rheinhafen entwickelt. Eines der innovativsten Projekte im Rotterdamer Hafenareal. Innovativ ist das Baumaterial, erzählt Knoester, während einer Schifffahrt auf der Maas:
"Wir arbeiten zusammen mit Dienstleistern im Hafen, Recyling-Firmen, Forschungsinstituten, Designern und Architekten, um den Plastikmüll aus dem Fluss zu fischen, bevor er das Meer erreicht. Und wir wollen wissen, wie sich Plastik am besten recyceln lässt."
Der schwimmende Park (hier eine Modelzeichnung) soll vor allem Tieren und Pflanzen Lebensraum bieten.
Der schwimmende Park (hier eine Modelzeichnung) soll vor allem Tieren und Pflanzen Lebensraum bieten.© Recycled Island Foundation
Gemeinsam mit Mitarbeitern der Hafenverwaltung ließ Knoester an strategischen Punkten an der Maas-Mündung schwimmende Plattformen einsetzen, die den an der Wasseroberfläche treibenden Plastikmüll einsaugen. Daraus entsteht dann das Baumaterial für die bepflanzten Inseln.
Und auch für den "Recycled Park", der sich jetzt ab Juli, wie ein grüner Teppich um die Floating Pavillons legen soll. Knoester erläutert, dass die Parklandschaft nicht primär für Menschen, sondern für Tiere gedacht ist:
"Was wir mit dem 'Recycled Park' vorhaben? Wir wollen die Umwelt unterstützen. Wir setzen viele Pflanzenarten ins Wasser. Einige sind zwar getrennt vom Hafenwasser, sie wachsen auf einem Boden, der nur durch den Regen bewässert wird, aber effektiver für die Umwelt sind die Pflanzen direkt im Wasser. Deshalb haben wir schwimmende Terrassen gebaut. Hier können auch Vögel fressen, es gibt schon ein erstes Nest. Wir haben sogar ein seichtes Flussbett geschaffen. Er kommen schon die ersten kleinen Fische, die hier Nahrung und sichere Zuflucht finden."
Die ersten Abschnitte des "Recycled Park" im alten Rotterdamer Hafen. Secheckige Module liegen im Wasser. Darauf sind Pflanzen.
Die ersten Abschnitte des "Recycled Park" im alten Rotterdamer Hafen.© Klaus Englert
Der Architekt packt selbst mit an, damit rund um die Floating Pavillons eine engmaschige Parklandschaft entsteht.
"Schauen Sie, hier links baut ein anderer Vogel sein Nest. Diesen Morgen haben wir die Pflanzen erst angelegt. Und schon ziehen sie die unterschiedlichsten Tiere an."
Ramon Knoester, der sich anfangs auf die Errichtung von Wohnhäusern spezialisierte, widmet sich seit nunmehr fünf Jahren dem Aufbau des grünen Archipels im Rheinhafen. Er berichtet stolz, Bürgermeister Ahmed Aboutaleb setze sich dafür ein, dass in Rotterdam mehr Grünflächen entstehen, selbst auf dem Wasser. Offenbar dämmerte es der Stadtverwaltung, dass man in den Gebieten südlich der Maas – im Stadtviertel Kop van Zuid und auf der Wilhelminakade - allzu sehr auf spektakuläre Bauprojekte gesetzt hat. Auf der Strecke blieb die lebendige, grüne Stadt. Weil Knoester das nicht reichte, überlegte er, wie sich eine schwimmende Parklandschaft als nachhaltiges Projekt errichten lässt.
"Das ist ein wichtiger Punkt dieses Projektes, dass wir all unser Plastik aus dem Fluss holen, als Baumaterial für alle Inseln des 'Floating Parks'. So stoppen wir die Plastikverschmutzung in den offenen Gewässern."
Rund 140 Quadratmeter ist der Recycled Park nun groß - er besteht aus vielen sechseckigen Plastik-Modulen, die zusammengesteckt werden und so erscheinen wie Bienenwaben. Knoester hat sie mit Biologen der Universität Wageningen hergestellt.
Schon vor dem offiziellen Start am 4. Juli hat sich auf dem Recycled Park eine überraschende Artenvielfalt aus Algen, Fischen, Vögel und Insekten entwickelt. Die Stadtverwaltung verspricht sich davon eine bessere Wasserqualität und grüne Uferzonen. Ramon Knoester ist stolz darauf, dass sein Park-Projekt bislang weltweit einzigartig ist. Noch. Einige Städte haben schon angefragt:
"Viele niederländische Städte haben bei uns angefragt. Wir verhandeln mit Amsterdam. Wir verfolgen ein Projekt in Antwerpen, in Brüssel und in Frankreich. Seit Kurzem sind wir auch in Indonesien, da ist der Plastikmüll noch ein viel größeres Problem."

Schwimmender Kuhstall soll Kreislaufwirtschaft erproben

Von den "Floating Islands" im Rheinhafen geht es mit dem Wassertaxi Richtung Westen, zum Merwehafen. Dort findet gerade eine Weltpremiere statt. Denn in dem einstigen Hafenbecken legte dieser Tage die erste "Floating Farm" an, die zuvor in Zaandam zusammengesetzt wurde. Allerdings handelt es sich erst um das Fundament. In den nächsten Monaten soll die gesamte "Floating Farm" fertiggestellt sein.
Peter van Wingerden hat sie entworfen – eine Sandwich-Struktur aus drei übereinander gelegten grünen Plattformen, die Platz genug für 40 Kühe bietet. Ebenso wie sein Kollege Ramon Knoester denkt van Wingerden an eine Kreislaufwirtschaft. Beispielsweise soll Regenwasser gesammelt und als Trinkwasser für Kühe aufbereitet werden. Der aufgefangene Urin wird zur Düngung der Pflanzen im Untergeschoss verwendet. Und die wiederum dienen als Nahrung für die Kühe. Alles um eine Frage zu beantworten:
"Können wir Lebensmittel produzieren in einer signifikanten Größenordnung innerhalb der Stadt? Dadurch sparen wir uns das Umherfahren des Essens und machen es erreichbar für Fußgänger und Fahrradfahrer. Dafür haben wir Raum innerhalb der Stadt gesucht und auf dem Wasser gefunden. Wir bieten mehrere Arten der Lebensmittelproduktion an. Angefangen haben wir mit Molkereiprodukten, jetzt bieten wir Eier und Gemüse an. Das ist ein Kreislaufsystem in der Stadt."
Peter van Wingerden ist kein Architekt, sondern Unternehmer. Er möchte die holländische Metropole zur Pilotstadt der "Floating Farms" machen, er will gewährleisten, dass landwirtschaftliche Produktion näher an die Verbraucher heranrückt. Kein anderes System könne das besser, meint auch der holländische Agrarwissenschaftler Carel de Vries: Die ausgetüftelten Plattformen sparten Ackerflächen ein und reduzierten die CO²-Emissionen.
Mit diesen Argumenten ist Peter van Wingerden seit einigen Jahren als Handelsreisender für die "Floating Farms" unterwegs. Vor allem in dicht bevölkerten, asiatischen Städten, die fast regelmäßig hohe Wasserverschmutzung und abgesenkten Grundwasserspiegel aufweisen, stößt der Holländer auf reges Interesse. Peter van Wingerden stellt in Aussicht: Wenn sich die erste Rotterdamer Floating Farm als wirtschaftlich erfolgreich herausstellen sollte, könnten bald auch 200 Kühe auf der schwimmenden Plattform weiden.

Zukunft: schwimmende Farm aus recyceltem Material?

Eine Glashütte unweit der künftigen "Floating Farm". Hierhin eingeladen hat der Designer und Architekt Daan Roosegaarde – für ein Symposium zum Thema "Wasser und zirkuläre Wirtschaftsformen". Mit dabei ist Henk Ovink, derzeit Berater der US-amerikanischen Regierung in Wasserfragen und früher Leitender Direktor für Raumplanung und Wasser der Niederlande.
"Wir haben eine lange Tradition, mit dem Wasser zu leben und zu planen, für Sicherheit und Wohlstand."
Bevor Henk Ovink ins nächste Flugzeug einsteigt, um als oberster niederländischer Wasserexperte wieder einmal eine andere Regierung zu beraten, ruft er eine bewährte niederländische Tradition in Erinnerung:
"Unser Motto lautet: Nichts als gegeben voraussetzen - jährlich, ja sogar täglich sich neu erfinden. Unsere technische Innovationsfähigkeit bedeutet: Sich auf die Natur einlassen, mit den Menschen zusammenarbeiten, im ständigen Kontakt mit dem Wasser sein. So kommen wir zu Lösungen, die flexibler und passender sind. Und weniger starr."
Ramon Knoester nahm Ovinks Gesprächsfaden auf und stellte ein neues Projekt für den Rotterdamer Hafen in Aussicht:
"Der nächste Schritt könnte bedeuten, dass wir unsere Projekte zusammenführen und von unseren Innovationen lernen. Unsere schwimmende Parklandschaft aus Plastik – das ist ein Low-Tech-Projekt. Bevor Peter seine nächste schwimmende Farm errichtet, möchte ich ihn gerne fragen: 'Welches Baumaterial wirst Du dabei benutzen? Vielleicht recyceltes Material?' Wir müssen unsere Innovationen zusammenbringen, so schaffen wir größere Schritte nach vorne."

Wirbel um Windrad als touristische Ikone Rotterdams

Floris Alkemade, der Reichsbauminister der Niederlande, ist auch bei der Konferenz der Wasser-Denker. Er möchte das Hafenareal in ein riesiges Experimentallabor für Architektur in Zeiten des Klimawandels verwandeln. Alkemade bezweifelt, ob Rotterdam weiterhin auf spektakuläre Architektur setzen sollte. Er kritisiert, dass die Stadtverwaltung mit einem Mega-Projekt liebäugelt, mit dem sie bis zur Rotterdamer Expo 2025 Aufsehen erregen will. Die Rede ist vom "Dutch Windwheel" am Maasufer. Vom hiesigen Team Doepel Strijkers. Sie wollen die touristische Ikone Rotterdams schaffen. Und ein Monument der Nachhaltigkeit. Der Südafrikaner Duzan Doepel erklärt:
"Wir haben eine doppelte Ringstruktur für alle Komponenten entworfen. Der innere Ring ist als Touristen-Attraktion gedacht, der äußere Ring für Hotels, Wohnungen und Geschäften. Energie erhält das Gebäude aus Wind und Sonne. Um Wind und Sonnenstrahlen in Energie umzuwandeln, besitzt es eine Oberfläche von 15.000 m². Der äußere Ring, der eine Fläche von 45.000 m² aufweist, erzeugt durch gespeicherte Energie Wärme, Kälte und natürliche Belüftung. Unser Ziel ist ein Plusenergiehaus, dessen Energieproduktion dreimal höher ist als der –Verbrauch. Damit versorgen wir die gesamte Nachbarschaft mit Energie."
"Dutch Windwheel" erzeugt zwar viel medialen Wirbel. Doch bis zur Fertigstellung fließt noch viel Wasser die Maas hinab, und keiner weiß, ob das Gebilde tatsächlich – wie von Duzan Doepel geplant - bis zur Rotterdamer Expo 2025 fertig gestellt sein wird.
Derweil unterstützt Floris Alkemade die kleineren und größeren Initiativen, die das Image der Rotterdamer Öko-City festigen. Er vertraut dem Rotterdamer Experimentallabor, das keineswegs nur auf technische Machbarkeit setzt:
"Das ist die gute Sache. Wir erzielen mehr Nachhaltigkeit, weil wir nichts zerstören. Wenn wir verschiedene Lösungen zusammenführen, erzeugen wir mehr Nachhaltigkeit. Ich bin optimistisch, wenn es geniale Leute gibt, die immer wieder Prinzipien überdenken. Davon zeugen in besonderem Maße 'Floating Farms' und 'Recycled Park'. Das ist nicht einfach eine Frage von Technik, sondern der Kultur. Wir haben viel zu lange Wasser als etwas Selbstverständliches angesehen, mit dem man nach Belieben umgehen kann. Ich setze auf einen kulturellen Wandel, durch den wir Wasser wieder wertzuschätzen lernen."
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