Öffentliche Intimsphäre

Von Christian Gampert · 31.10.2012
Gibt es das Private heute überhaupt noch? Die Frankfurter Schirn geht dem Thema der schwindenden Privatsphäre und der "Öffentlichkeit des Intimen" nach - zum großen Teil mit Bildern aus dem Netz.
Gibt es das Private heute denn überhaupt noch? Die Frankfurter Ausstellung stellt sie anhand von künstlerischen Positionen, die zum großen Teil mit Bildern aus dem Netz arbeiten - mit Fotos und Filmen also, von denen man oft gar nicht weiß, wer sie da eingestellt hat.

Der britische Künstler Mark Wallinger zum Beispiel bespielt in Frankfurt einen ganzen Saal mit großformatigen Fotos von Schlafenden in öffentlichen Verkehrsmitteln. Sie liegen, hängen, fleezen da in ihren Sitzen, in skurrilen Posen, manche ganz offensichtlich schnarchend, andere kindlich dem Traum hingegeben. Sie sehen nicht wirklich vorteilhaft aus, sondern ertappt, entblößt in einem eigentlich sehr intimen Moment – der freilich an einem öffentlichen Ort, in einem öffentlichen Verkehrsmittel stattfindet.

Der Witz ist nun, dass Wallinger diese Fotos mitnichten selbst gemacht hat - sie stehen bereits im Netz. Wallinger bedient sich dieser Fotos, er bearbeitet sie, er stellt sie zu Ensembles zusammen - und gibt den Betroffenen auf diese Weise einen Teil ihrer Würde zurück: die Bilder bekommen auch etwas Träumerisches, und die Personen haben nun etwas Verletzliches, Zartes - also das, was das Netz ihnen vorenthält.

Andere Künstler suchen nach sozialen Mustern: die Selbstdarstellungen junger Mädchen, die sich im Netz präsentieren, folgen auf seltsame Weise den Vorgaben der Pin-up-Industrie, und jene Frauen, die sich - in Online-Dating-Portalen - naturverbunden lächelnd neben einen Baum stellen, stehen alle in ähnlicher Position.

"Post-Privacy" heißt der neue Begriff für die immer stärker werdende Öffentlichkeit des Privaten. Für manche scheint das ein Gewinn zu sein, für andere ein Verlust – an Intimität.