Obstbauversuchsstation Müncheberg

Reiche Ernte, ungewisse Zukunft

Hilmar Schwärzel, der Leiter Obstbauversuchsstation Müncheberg, betrachtet seine Apfelbäume.
Hilmar Schwärzel, der Leiter Obstbauversuchsstation Müncheberg, betrachtet seine Apfelbäume. © Ernst-Ludwig von Aster
Von Ernst-Ludwig von Aster · 25.09.2018
Die Obstbauversuchsstation im brandenburgischen Müncheberg hütet Obstsorten, die es in keinem Supermarkt gibt. Selbstpflücker können hier Äpfel und anderes Obst ernten. Wie die alten Sorten erhalten werden, erklärt vor Ort Stationsleiter Hilmar Schwärzel.
Selbstpflücker: "Herr Doktor, darf ich mal ganz kurz stören, der Hasenkopf, das ist hier, wo die 13 ist?"
Hilmar Schwärzel: "Der Hasenkopf an sich ist hier schon mal runter."
Der Rentner verzieht das Gesicht. Der Doktor schüttelt den Kopf. Zu spät für den Hasenkopf. In diesem Jahr.
Selbstpflücker: "Und der Red Delicious, wo steht denn der?"
Hilmar Schwärzel: "Der steht in der 38 in der Reihe 10, das ist das große Quartier mit den dicken Bäumen. Sie kommen am besten hinterher."
Dr. Hilmar Schwärzel geht vorweg. Richtung Quartier 38. Der Rentner mit einem Bekannten und Bollerwagen hinterher. Immer an den Apfelbäumen entlang. Reihe für Reihe, Quartier für Quartier. Vorbei an "Newton Wonder", "Elan" "Baumanns-Renette".
"Wir haben hier den ältesten Teil, der ist gepflanzt im Jahre 84. Und dann kommen wir hier in diesen Bereich rein, dort haben wir Bäume, die zwischen 94 und 98 veredelt und auch gepflanzt wurden. Wir haben hier auf zirka 3000 Bäumen rund 1500 Sorten."
Und Schwärzel kennt sie alle. Seit mehr als 30 Jahren stapft der Gartenbau-Ingenieur über das Gelände der Obstbauversuchsstation im brandenburgischen Müncheberg. Für Apfelfreunde ein Paradies. Für Kleingärtner. Und Wissenschaftler.

Der Apfel als Klimagewinnler

"Zum Beispiel stehen wir hier bei der Thüringer Schafsnase. Und da müssen wir eindeutig sagen, dieser Apfel liebt ein wärmeres Klima, als dass, was wir ihm in den vergangenen Jahren haben bieten können. Er blüht eigentlich richtig auf."
Apfelbäume in der Obstversuchsstation Müncheberg: Die Thüringer Schafsnase gehört zu den Gewinnern des Klimawandels.
Apfelbäume in der Obstversuchsstation Müncheberg: Die Thüringer Schafsnase gehört zu den Gewinnern des Klimawandels.© Ernst-Ludwig von Aster
Dick und rot präsentiert sich die "Thüringer Schafsnase", eine alte Apfel-Sorte. Während rundherum auf den brandenburgischen Feldern die Landwirte über Dürre und Ernteausfälle klagen, erntet Schwärzel auf seinen 30 Hektar so viel wie lange nicht mehr:
"Wir haben in diesem Jahr eine Ertragserwartung, die liegt in etwa bei 120-170 Prozent gegenüber normal. Also es ist eine sehr reiche Obsternte da."
Der Apfel als Klimagewinnler. Nicht alle Sorten, aber die meisten. Die Äpfel aus den britischen Küstengebieten etwa, die Sorte Cox und ihre Verwandten, machten schlapp. Die anderen aber, vor allem die alten Sorten, blühten auf:
"Das heißt, sie stammen aus ihrer Stammesgeschichte ja aus dem zentralasiatischen Bereich. Und dort gab es dann in den letzten 5000 Jahren solche Witterungserscheinungen, wie wir sie hier durchlaufen, das heißt, es ist für diese Bäume eine günstige Entwicklung gewesen."

Alte Sorten mit "Gedächtnis"

Das Klimagedächtnis der alten Sorten. Sie haben sich überdurchschnittlich gut entwickelt, diagnostiziert der Apfel-Doktor. Der Rentner steht daneben, lauscht interessiert, nickt zustimmend.
"Ist ja wohl einmalig, die alten Sorten: Goldparmäne, Hasenkopp, Red Delicious, das sind Äpfel, wo man sagen kann, die schmecken, alles andere ist Schall und Rauch. Ich decke mich ja jedes Jahr hier ein."
Draußen steht sein Auto, mit dem "Klaufix", wie er lachend erzählt. Einem Anhänger aus DDR-Zeiten. Mit dem wird er heute für die ganze Verwandtschaft Äpfel transportieren. So wie jedes Jahr, wenn die Obstbauversuchsstation die Selbsternter einlädt. Im kühlen, dunklen Keller halten manchen Sorten dann bis Ende März. Dr. Schwärzel stoppt vor Quartier 38, Reihe 10.
Selbstpflücker: "Das sind vom Prinzip her die alten Ost-Weihnachtsäpfel."
Hilmar Schwärzel: "Das ist richtig, nach 73 wurde es ja zugelassen. Es steht ihnen frei, was sie ernten wollen, über Geschmack lässt sich nicht streiten. Was dem einen schmeckt, schmeckt dem anderen nicht so. Aber wenn ihnen das schmeckt, sind sie hier goldrichtig."
Sagt Schwärzel grinsend. Man merkt ihm an, dass der Golden Delicious nicht zu seinen Favoriten gehört. Wenig Säure, dicke Schale. Das aber macht ihn gut lagerbar. Die Obstbauversuchsstation und die Obstfreunde, das ist seit Jahren eine Symbiose. Zu Erhaltung der alten Äpfel

Die Versuchsstation als lebendige Datenbank

"Die Menschen, die heute leben, wollen die Sorte sehen und wir wollen eine Erhaltung durch Nutzung machen. Das heißt nichts anderes, wir geben in jedem Jahr aus diesem Sortengarten etwa 150-200 Sortenproben als Reiser ab, und die fließen wieder zurück in den ursprünglichen Bereich, das heißt in die Haus- und Siedlergärten, in Streuobstprogramme."
Die "Reiser", das sind einjährige Triebe der Apfelbäume, die dann in Gärten auf alten Obstbaumstämmen anwachsen. Und so ihre genetisches Potential sortenrein erhalten. Eine Vermehrung in der Breite, mit der Obstbauversuchsstation im Zentrum. Als Hüterin des genetischen Erbes.
"Dass man sagt: Was haben wir hier eigentlich für ein Erbe in der Hand, wir haben die Antworten auf den Klimawandel archiviert in einer lebendigen Datenbank, das muss man verstehen. Wer das nicht versteht, der sagt: 'Die Scheißäppel, die fallen jetzt unter die Bäume, es ist eigentlich nur Ärger, nur Müll und Drum und Dran".

Der traditionelle Gartenbau leidet unter Kostendruck

Jetzt liegt ein wenig Empörung in der Stimme. In den Zeiten, wo viel über Gentechnik, CRISPR und Cas debattiert wird, gilt der traditionelle Gartenbau, bei dem jede Sorte individuell beschnitten und gepflegt werden muss, vielen Politikern als rückständig und personalintensiv. Weniger als Zukunfts- denn als Kostenfaktor. Auch in Müncheberg wurde in den letzten Jahren immer wieder Personal reduziert, trotz Klimawandel. Forschung ist so kaum noch möglich.
"Wer in Zukunft diese Biodiversität in der Agrarlandschaft in irgendeiner Form erhalten will, der braucht Blüten- und fruchttragende Hölzer, das schaffen wir nicht mit den modernen Sorten. Wir brauchen Sorten, die aus einer anderen Zeitgeschichte überlebt haben, die mit ganz anderen Extremen klargekommen sind, die dann für unsere solitären Insekten und alles was daran hängt, eine Nahrungsquelle bieten, einen Siedlungsraum bieten und auch einen Schutz geben."
Weiter geht es, durch die Reihen. Wieder bleibt Hilmar Schwärzel stehen. Natürlich vor einem Apfelbaum. Prall, rot hängt der "Danziger Kant" an den Zweigen.
"Und es ist ein Stück Vermächtnis, wenn wir heute Bäume pflanzen, wir werden sie nicht mehr als fruchtende Bäume sehen. Weil ganz einfach die eigene biologische Uhr abgelaufen ist. Aber wir wissen, dass die, die nach uns kommen sich an Blüten und Früchten erfreuen werden."
Weitsichtig. Zukunftsbejahend. Traditionsbewahrend. Generationsübergreifend. Alles möglich - dank Apfelbaum.
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