Oberdreckskerl Richard

Von Natascha Pflaumbaum · 03.02.2010
Regisseur Matthias Fontheim erzählt Shakespeares Richard III. in erster Linie über drei zentrale Requisiten: Schlamm, Theaterblut und Regen. Alles gibt es literweise auf der Bühne, alles vermischt sich mit den Menschen zu einem ekligen, konturlosen Brei.
Natürlich ist das plakativ, wenn so prominente Adlige, Königsanwärter gar, wadentief durch den nassen Schlamm waten, sich den Dreck in die Augen schmieren, sich einsuhlen, anschreien, anspucken und Wein ins Gesicht schütten. Natürlich fliegt die Phantasie des Betrachters sofort darauf herein, sie folgt den von Matthias Fontheim ausgelegten Spuren brav, allerdings auch sehr gebannt (wenn sie sich nicht gleich schon angeekelt abwendet): Diese Leute haben Dreck am Stecken, ihre Machtspiele gleichen infantilen Sandkastenspielen, ihre Neurose liegt offen.

Matthias Fontheim bescheinigt diesen Aristokraten in seiner Mainzer Inszenierung eine tiefe Störung in der frühkindlichen analen Phase. An dieser kollektiven Störung arbeiten sich nun alle ab. Das zeigen seine drei Stunden Theater im kotähnlichen Schlamm "Muttererde". Therapie – ausgeschlossen!

Fontheim erzählt Shakespeares Richard III. in erster Linie über den Raum, den er baut, und über die drei zentralen Requisiten: Schlamm, Theaterblut und Regen. Alles gibt es literweise auf der Bühne, alles vermischt sich mit den Menschen zu einem ekligen, konturlosen Brei. Der Dreck, den jeder am Ende mit sich trägt, ist nicht nur Stigma, sondern auch Camouflage. Gleich mehrere Schichten tragen diese Leute mit sich herum. So auffällig Dreck ist: diese Leute verstecken sich dahinter. Richard ist der Oberdreckskerl – gespielt von einer Frau (Katharina Knap), darum aber nicht weniger machtbesessen, nicht weniger Inkarnation von Erniedrigung und Intrige.

Das Versprechen, ein Bösewicht zu werden, wird rückhaltlos eingelöst, bei Fontheim so drastisch, dass man am Ende nur die zahlreichen blutgetränkten Morde im Gedächtnis behält und nicht so sehr die ganze Geschichte, der man auch zuhören können muss. Das geht aber nicht immer, weil diese Aufgebrachten auf der Bühne in ihrem Brausen zu schnell daherreden, anscheinend auch mit Absicht über bestimmte Dinge hinwegreden; die wichtigsten Texte allerdings, die die Geschichte vorantreiben, bekommt man mit.

Und das Theaterblut, das schon auf der mit weißen Plastikgartenstühlen und einem langen weißen Tisch ausstaffierten Bühne für jeden Mord parat steht, fließt viel zu rot, um übersehen zu werden, und wird aus 1,5-l-PET-Flaschen in großen Bögen verschüttet. Weil die Schauspieler nicht von der Bühne abgehen, sondern im Parkett Platz nehmen, ihrem eigenen Tun zuschauen, es moderieren, kommentieren, sich hin und wieder abtrocknen und auch umziehen, kleben an ihnen alle Hinterlassenschaften ihres dreistündigen Tuns. Nur selten trägt man die Konsequenzen seines eigenen Handels so drastisch auf der Haut!

Dass Fontheim die Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum auflöst, schafft noch stärkeren Ekel. Natürlich ist das aufdringlich, man befürchtet Mitmachtheater, Exaltationen am falschen Ort und hohe Reinigungskosten als mögliche Konsequenz. Doch aufgezwungene Selbsterfahrung wäre zu viel und auch zu kitschig. Dazu ist das Spiel des Mainzer Ensembles schon orgiastisch genug. Zweifellos: ein auffälliger Theaterabend.