O je, die Deutschen stinken!

Yasemin und Nesrim Samdreli im Gespräch mit Frank Meyer · 06.03.2011
Die deutsch-türkische Migrationsgeschichte muss nicht immer als Katastrophe daherkommen. Yasemin und Nesrin Samdereli behandeln das Thema mit Humor und grotesker Komik.
Frage: Die deutsch-türkischen Schwestern Yasemin und Nesrin Samdereli sind ein gutes Gespann. Für das Fernsehen haben sie gemeinsam die Multikulti-Liebeskomödie "Alles getürkt" gedreht und an der Serie "Türkisch für Anfänger" mitgearbeitet. Jetzt haben die beiden ihren ersten Kinofilm gemacht, "Almanya – Willkommen in Deutschland" heißt der.

Besonders interessant in ihrem Film ist, da wird nicht mit möglichst vielen Vorurteilen aufs Migrantenmilieu geguckt, sondern umgekehrt, die Deutschen kriegen diesmal eine ordentliche Ladung Klischees ab. Eben alle sind im Schützenverein, fanatisch, ordentlich, regelmäßige Schweinefleischesser und so weiter. Deshalb habe ich die beiden zuerst gefragt: Warum hatten Sie denn Lust, den Deutschen diese Klischees mal so um die Ohren zu hauen?

Antwort: Ich glaube, das ergibt sich auch fast aus Ihrer Frage, nämlich weil wir auch diese Form der Behandlung satt hatten, also dass es wirklich alles immer in einem Drama erzählt werden muss, dass nur die negativsten Beispiele genannt werden, dass wir uns da überhaupt nicht repräsentiert gefühlt haben und es auch schade fanden, weil wir dachten, es ist so viel Lustiges in dieser Konfrontation und diesem Aufeinanderprallen, und gerade so die erste Begegnung zwischen vielen Gastarbeitern und Deutschen war eigentlich wahnsinnig komisch. Und das hat uns total inspiriert, jetzt wirklich daraus einen großen Film zu machen oder einen langen Film zu machen.

Frage: Sie haben ja da auch aus Ihrer Familiengeschichte geschöpft für diesen Film, was gab es da an komischen Konstellationen, auch gerade in dieser frühen Gastarbeiterzeit?

Antwort: Was ich halt spannend fand, war, was sie da erzählten. Man muss halt, das kann man sich gar nicht mehr vorstellen, weil wir sind jetzt in so einem Informationszeitalter. Man googelt alles, man weiß sofort Bescheid über die Kulturen, und damals war das alles so Hörensagen. Man wusste nicht genau, was Deutschland ist, und das subjektive Empfinden haben wir auch sehr stark ausgedrückt. Also zum Beispiel meine Eltern, es kam mir unglaublich grau vor, und klar, wenn man aus einem Land kommt, wo ganz viel die Sonne scheint, wenn man plötzlich in Deutschland landet, kommt es einem natürlich sehr grau vor. Und dann meinten sie, es war menschenleer und dann gab es gar kein Gemüse. Also auch wiederum, klar, in der Türkei ist die Vielfalt oder war die Vielfalt damals schon größer.

Und solche Sachen haben wir verarbeitet in der Hinsicht, dass es natürlich dann Szenen gibt, zum Beispiel eine auch, wo es dann heißt: Ich hab gehört, die Deutschen sollen so dreckig sein. Also keine Hamam-Kultur, nächste Schlussfolgerung: Wo waschen die sich denn, wenn es da keine Hamams gibt, die müssen ja alle dreckig sein. So haben wir natürlich viele Sachen verarbeitet, die uns erzählt wurden, was die Leute so empfunden haben, was sie beschäftigt hat.

Frage: Sie haben auch etwas eingebaut, wo es um das Sprachempfinden geht. Man ist ja da so in den 60er-Jahren erst mal, da, wo der Film losgeht, der eine Million und erste Gastarbeiter ist so der Hauptheld oder der Stammvater dieser Familie Mitte der 60er-Jahre, und dann kommt man da nach Deutschland aus der Türkei und hört diese Sprache, diese deutsche Sprache. Und dafür haben Sie sich eine Kunstsprache ausgedacht, Jibberisch heißt die. Was ist das für eine Sprache?

Antwort: Es ist Kauderwelsch, also man versteht einfach die Deutschen nicht, und das soll man auch nicht, klar, weil wir wollten immer, dass man sich mit unseren Figuren identifiziert. Und da war klar, die müssen eigentlich dann die meiste Zeit auch Deutsch reden, damit es diese Sprachbarriere einfach nicht gibt. Und wenn natürlich unsere türkischen Hauptdarsteller Deutsch reden, dann mussten die Deutschen ja was anderes reden, und mit etwas am besten, was man nicht versteht. Weil das ist ja genau das subjektive Empfinden, was ja auch jeder kennt: Man geht irgendwohin in ein Land, und plötzlich versteht man Bahnhof, also gar nichts, und denkt sich, okay, ich weiß, die Leute erzählen mir irgendetwas, ich weiß zwar nicht was, aber man versucht dann drauf zu kommen, was sie wohl einem erzählen.

Antwort: Wobei wir schon bei der Phonetik bei dieser Kunstsprache darauf geachtet haben, dass es ans Deutsche angelehnt ist. Viele denken auch oder es gab tatsächlich auch diese Anmerkung: Spricht man im Ruhrgebiet diesen Dialekt? Nein, nein, kein Dialekt, das ist wirklich total erfunden frei, aber wir haben versucht, das im Klang so ein bisschen an das Deutsche auch anzulehnen. Und manchmal hat man das Gefühl, man versteht ein paar Worte, und so ergibt sich so ein komisches "He, so ein bisschen versteh ich, aber eigentlich doch nicht, also was ist das?".

Frage: Wo wir gerade bei den Klischees sind, wenn Sie von Ihrer eigenen Kindheit da im Ruhrgebiet eben erzählen, dann taucht da auf, dass Sie irgendwie Funkenmariechen waren und im katholischen Gottesdienst inbrünstig mitgesungen haben, also es klingt eigentlich, als hätten Sie eine ganz klischeehafte deutsche Kindheit im Ruhrgebiet verbracht?

Antwort: Immer natürlich mit dem Status, dass man dann auffiel und es lustig war irgendwann. Das hat man am Anfang als Kind noch nicht so ganz realisiert, aber ja, also letzten Endes war es so, dass man eigentlich versuchte, es gar nicht zu thematisieren. Bei mir in der Schule war ich einzige Nichtchristin sozusagen, muslimisches Kind, und sie haben einfach überhaupt kein Thema draus gemacht, und hieß so, ja, mit in den Gottesdienst, Fürbitten lesen sowieso, also morgens wurde immer gebetet, das Vaterunser. Und meine Eltern, also meine Mutter fand das überhaupt nicht so dramatisch und dachte, ja, macht nichts, weil die Schule hatte einen sehr guten Ruf. Und so haben wir das dann alles mit gelebt und ohne das groß zu hinterfragen.

Frage: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit der Regisseurin Yasemin Samdereli und der Drehbuchautorin Nesrin Samdereli. Morgen wird ihr Film "Almanya – Willkommen in Deutschland" bei der Berlinale uraufgeführt. Sie haben vorhin gesagt, Sie wollten jetzt mal einen anderen Blick richten, auch die Migrationsgeschichte nicht als Katastrophe, als Drama erzählen, wobei es ja in letzter Zeit auch einige andere Filme gab, die so auch die grotesken Seiten angeschaut haben der ganzen Migrationsproblematik. Was ist Ihr Eindruck, was hat sich da verändert, dass solche Filme heute möglich werden, also dass Sie auch selbst sich getraut haben, so diesen Blick einzunehmen?

Antwort: Wir haben uns eigentlich schon sehr lange getraut, es war nur schwierig sozusagen, auch alle Partner dafür zu finden, die sozusagen auch den Mut hatten zu sagen, es muss kein Drama sein, wir erzählen jetzt keinen Ehrenmord, und trotzdem hat diese Geschichte eine Berechtigung, vielleicht gerade deswegen.

Frage: Wer sind da diese skeptischen Partner, sind das die berühmten Fernsehredaktionen?

Antwort: Ja, das ist natürlich viel im Bereich Fernsehredaktion. Es war leider so, dass wir bis zum Dreh keinen Sender dazu hatten und die Produktion das sozusagen anders gestemmt hat, was auch immer daran, dass sie erst mal dachten, okay, ist das überhaupt für unser Zielpublikum, trifft das das, also sie konnten es auch nicht so ganz einordnen. Und das war wahnsinnig schwierig und schade eigentlich, weil es hat uns mit sozusagen die wie vielen Jahre auch gebraucht, dann das trotzdem hinzukriegen ohne den Sender.

Frage: Auf der anderen Seite gab es ja, als Sie jetzt vielleicht in der Schlussphase waren, also im vergangenen Jahr gab es ja die berühmte Sarrazin-Debatte, wo ganz andere, ja wenig komische Stimmen in der Diskussion über Integration in unserem Land aufkamen. Wie hat das auf Sie gewirkt während der Arbeit an diesem Film?

Antwort: Ja, das war einfach ein bisschen so ein Schock natürlich, in dieser Härte die Debatte so mitzubekommen. Wir waren natürlich mitten in unserem Film in der Postproduktion, und wir hätten auch, wenn wir vorher, sozusagen in einem früheren Stadium gewesen wären, hätten wir nicht darauf sozusagen Bezug genommen, weil das einfach auf so einem Niveau stattfand, wo man dachte, das ist jetzt wirklich ärgerlich eher.

Wir haben es mitbekommen, haben uns halt nur gefragt, was macht das aus der Landschaft, also ist es gut, ist es schlecht, werden die Leute danach nur noch genervt sein und sagen, ah, nicht schon wieder, ich kann's nicht mehr hören, oder eben werden die sagen, eigentlich schön, dass es jetzt mal endlich eine Komödie gibt, wo man miteinander übereinander lachen kann und nicht immer nur ganz dramatische, schlimme Sachen erzählt werden.

Frage: Und diese früheren Filme, das ist ja wirklich eine Tradition des deutsch-türkischen Films, wenn man so will, dass das Ganze eben, wie Sie vorhin sagten, als Drama erzählt wird, dass auf die schlimmen, die problematischen Seiten geschaut wird, Ehrenmorde und so weiter. Würden Sie sagen, dass diese Art des filmischen Erzählens da auch solche Vorurteile befestigt hat, so geht es eben zu in türkischen Familien in Deutschland?

Antwort: Die kommen aber ganz auf die Jahrzehnte an, da hat sich ja dann wiederum auch in dem, dass es Drama wurde, auch viel verändert. Ich glaube, so ein Film von Hark Bohm, "Yasemin", war noch ganz anders erzählt als zum Beispiel "Die Fremde" jetzt von der Feo Aladag. Ich glaube, da ist auch so eine inhaltliche Weiterentwicklung und eine andere Qualität da, weil man mittlerweile doch ein bisschen weiter ist. Leider immer noch scheinbar so, dass man wahnsinnig viel erklären muss, was mich immer ein bisschen wundert, trotzdem ist die Tendenz da immer, dieses Thema – also das Thema an sich –, sobald man irgendwie Migration irgendwie drin hat, wird es immer dramatisch und kritisch und wenig Grund zum Lachen. Ich weiß nicht, warum man sich da eigentlich so schwertut mit.

Antwort: Wir stehen ja auch nicht alleine da. Es muss ja auch okay sein, zu sagen, aber es gibt auch andere Beispiele. Es gibt auch den Vater, der nicht gleich die Waffe zieht und sagt, wie konntest du nur.

Frage: Wenn die Tochter schwanger wird zum Beispiel.

Antwort: Ja, ja, genau, oder wenn sie denn sagt, ich will jetzt irgendeinen Beruf machen, der, ich weiß nicht, mutig ist oder so.

Frage: Wobei Ihr Film glaube ich auch also eben nicht nur diese Komödie ist, sondern auch vielleicht so etwas wie ein Plädoyer, auch die Lebensleistung dieser Menschen anzuerkennen, die da vor über 40 Jahren nach Deutschland gekommen sind und von denen es ja lange Zeit so in der Mehrheitsstimmung hieß, hoffentlich gehen die mal bald wieder zurück.

Antwort: Genau. Das war uns auch sehr wichtig. Ich denke, das funktioniert beides auch sehr gut. Ich glaube, der Tonus, mit dem auch unser Film endet, ist eigentlich ein sehr positiv-versöhnlicher und schon auch daran erinnernder: Leute, vergesst es nicht, es hat alles einen Grund, warum auch wir hier sind. Wir haben uns nicht eingeschlichen und es ist alles so gewünscht gewesen irgendwie, und jetzt muss man gemeinsam auch schauen, dass wir ein gutes Leben hinkriegen.

Frage: Morgen gibt es eben die Welturaufführung hier bei der Berlinale im Wettbewerbsprogramm. Der Film kommt erfreulicherweise aber auch in die Kinos in Deutschland, am 10. März, und zwar, ich glaube als erster Film auf Deutsch und Türkisch. Warum haben Sie sich dafür entschieden, den eben auch auf Türkisch rauszubringen?

Antwort: Die Idee war sehr, sehr schön und kam von dem Produzenten, die dann einfach gesagt haben: Viele wirklich aus der Generation, aus der ersten Generation, sprechen ja leider wirklich nicht sehr gut Deutsch und gucken, klar, lieber Filme auf Türkisch. Und dann war die Überlegung, dadurch, dass bei uns eigentlich meistens Deutsch gesprochen wird, können wir, warum nicht, eine türkische Fassung zeigen. Das wäre witzig, das ist toll, und dann haben die das auch gemacht. Und das ist ganz schön mutig.

Frage: Dann wünsche ich viel Erfolg mit dem Film!

Antwort: Vielen Dank!