Nur symbolische Empörung

Moderation: Matthias Hanselmann · 12.12.2005
Der Journalist Henryk M. Broder hat nach der Forderung des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, Israel nach Europa zu verlegen, die Reaktionen Europas scharf kritisiert. Zwar habe es eine Art der symbolischen Empörung gegeben, aber Sanktionen und der Abbruch diplomatischer Beziehungen seien auch von deutscher Seite nicht einmal angedroht worden, sagte Broder.
Hanselmann: Sprechen wir erst einmal über den Vorschlag des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, Israel nach Europa zu verlagern. Was halten Sie davon?

Broder: Nun gut, das ist eine Lachnummer von Iran aus betrachtet. Von Israel aus betrachtet ist das natürlich keine Lachnummer. Aber nur kurz zur Korrektur des Kollegen Avidan, so groß waren übrigens die Schlagzeilen in Israel nicht. Ich war selbst erstaunt, dass diese Geschichte nur auf Seite zwei und drei auftauchte, während auf den Seiten eins der Konflikt zwischen Likud und Kadima abgehandelt wurde. Man weiß in Israel, was man vom Iran zu erwarten hat. Und es ist keine große Überraschung, was im Iran gesagt wird. Andererseits, wie Avidan richtig sagte, wird die Bedrohung sehr ernst genommen. Es ist vollkommen klar, dass die Iraner nicht nur rumscherzen und nicht nur ausprobieren, wie weit sie gehen können. Das ist ja die zweite Äußerung dieser Art. Er hat ja vor ein paar Wochen auf einer Konferenz, die den symbolischen, programmatischen Namen hatte "The World without Zionism", eine Welt ohne Zionismus, schon einen anderen Luftballon gestartet, nämlich Israel soll von der Landkarte ausradiert, getilgt werden. So gesehen ist natürlich der Vorschlag, wenn Sie so wollen, Israel nach Europa zu verlegen, etwas humanitärer. Mich erinnert das an die Pläne der Nazis, die allerdings in umgekehrter Reihenfolge vorgegangen sind. Zuerst wollten die Nazis die Juden nach Madagaskar auslagern. Und als das nicht geklappt hat, haben sie erst die Endlösung beschlossen. Also, in Israel weckt das schon sehr unangenehme Erinnerungen. Es wird ernst genommen. Aber es wird auch so verstanden, dass die Iraner einfach schauen, wie weit sie gehen können, wie weit sie diese Pläne Europa und der Welt anbieten können, ohne dass es zu einer richtigen Empörung in Europa kommt.

Hanselmann: Herr Broder, war denn das, was ich gelesen habe von Ihnen unter der Überschrift "Gebt den Juden Schleswig-Holstein" – war das die reine Satire, weil Sie äußerten sich da jetzt doch ganz anders als in diesem Artikel?

Broder: Ob das Satire oder ernsthaft war, das müssen Sie entscheiden und die Leser entscheiden. Ich nehme mir gelegentlich die Freiheit, die Absurdität auf die Spitze zu treiben, weil ich finde, man muss die Dinge wirklich von den Beinen auf den Kopf stellen, damit die wirklich richtig aussehen. Ich habe mir erlaubt, den Vorschlag des iranischen Staatspräsidenten konsequent weiterzudrehen. Und da bin ich natürlich in Schleswig-Holstein gelandet. Ob das Satire war oder nicht, ist vollkommen irrelevant. Entscheidend ist, wie in Europa darauf reagiert wurde. Es gab eine Art von symbolischer Empörung, die schon ganz okay war. Aber es ist nicht mehr passiert, als dass die Botschafter Irans vorgeladen worden sind und dass man ihnen gesagt hat, so, so, so geht es nicht. Es hat nicht mal die Drohung von Sanktionen gegeben, nicht einmal die Ankündigung des Abbruchs diplomatischer Beziehungen immerhin angesichts der Ankündigung eines Völkermordes. Sehr bezeichnend war die Reaktion der Bundeskanzlerin Merkel. Sie hat von einem absurden Gedanken, einem inakzeptablen Gedanken gesprochen. Sie fand den Vorschlag des iranischen Staatspräsidenten inakzeptabel. Ich meine, inakzeptabel ist in dieser Beziehung gar kein Begriff. Inakzeptabel sind die Forderungen der Gewerkschaften – oder auch nicht. Da hätte ein klärendes Wort wirklich gut getan. Und dann sind schon beim ersten Vorschlag, was ich sehr betrüblich finde, allerlei Apologetiker auf den Plan getreten, wenn Sie so wollen die bekannten Verdächtigen. Udo Steinbach, der Direktor des Orientinstituts in Hamburg, hat gesagt, der iranische Staatspräsident sei politisch unerfahren, er habe sich im Ton vergriffen. Peter Scholl-Latour, der große Experte für ganz Arabien hat gesagt, jetzt ist der Iran in Gefahr, weil jetzt werden die Israelis zuschlagen, bevor der Iran zuschlagen kann. Ich meine, Sie müssen sich jetzt vorstellen, da ist der Iran, und ein paar Kilometer weiter, paar Flugminuten weiter ist Israel, und man kann einfach nicht eine solche Drohung hinnehmen, ohne sich zu überlegen, wie man darauf reagieren wird. Reagiert man präventiv, schreit die Welt auf. Wartet man ab, bis es passiert ist, wird die Welt fragen: Wieso haben sich die Guten wieder abschlachten lassen. Also, das sind die beiden Optionen, die man in Israel sieht.

Hanselmann: Sie waren gerade im Land, sind vor kurzem zurückgekehrt. Wie ist denn die Stimmung unter den Menschen, die Sie so getroffen haben? Wie redet man darüber? Sind die Ängste wirklich groß vor dieser Bedrohung oder sieht man das eher gelassener?

Broder: Es gibt eine seltsame Mischung, das, was man in Israel die gelassene Hysterie nennt. Also, erstens einmal war die Stimmung in Israel selten so gut wie jetzt. Das Land boomt. Man merkt einfach, was für ein frischer Wind da eingezogen ist durch die Rückgabe von Gaza. Und es wird jetzt völlig offen und ohne jede Hemmung darüber gesprochen, welche Gebiete demnächst zurückgegeben werden sollen. Man will die Last loswerden, diese Last der Besatzung loswerden, und wenn es sein muss, auch vollkommen einseitig, falls die Palästinenser sich nicht darauf einigen können, wie sie mit Israel verhandeln sollen. Andererseits steigt hinter dem Horizont die viel größere Bedrohung auf. Die Palästinenser bedrohen Israel ja nicht existenziell. Es ist eine Bedrohung, wenn Sie so wollen, ich will das nicht runterspielen, es ist eine Bedrohung des Terrors, wie man sie auch hier erlebt. Es droht die Gefahr, dass ein Bus in die Luft fliegt. Es droht die Gefahr, dass Menschen in einer Disko umgebracht werden. Das ist alles schrecklich, aber nicht Existenz entscheidend. Was der Iran jetzt anstellt, ist einfach Existenz entscheidend. Es ist die größere Gefahr. Und was vollkommen klar ist in Israel, es ist eine Situation, die nicht verhandelbar ist. Mit den Palästinensern kann und muss man verhandeln. Und die sind auch in einer historischen Position, die berechtigt ist. Sie wollen, dass die Besatzung aufhört. Dagegen kann man eigentlich nichts einwenden. Der Iran ist eine vollkommen andere Situation. Man hat es mit Fanatikern zu tun, die gegen die eigenen Interessen handeln - das ist das absolut Entscheidende - gegen die eigenen Interessen. Der Iran merkt nicht oder es ist ihm vollkommen egal, dass er sich dabei selber schadet. Bis jetzt hat man immer in Israel geglaubt, die Nähe zu den Palästinensern sei eine Art Existenz- und Überlebensgarantie. Niemand wird eine Atombombe auf Tel Aviv schmeißen, weil die nächsten Palästinensersiedlungen zehn Autominuten entfernt sind. Also waren die Palästinenser quasi die Überlebensgarantie für die Israeli. Und daran glaubt man nicht mehr. Man glaubt, dass die Iraner, wenn es darauf ankommt, auch die Palästinenser opfern werden, um ihr Ziel zu erreichen, Israel von der Landkarte auszuradieren. Und das ist eine vollkommen andere Situation, die man in Europa trotz aller anständigen Empörung einfach in ihrem ganzen Ausmaß nicht begriffen hat.

Hanselmann: Herr Broder, wie schlägt sich eigentlich das iranisch-israelische Verhältnis, das Sie so umfassend eben beschrieben haben, in der israelischen Kultur nieder? Man ist in Israel theaterbegeistert. Gerade wieder in "Theater heute" ist zu lesen, die Menschen strömen regelrecht in die Theater. Wird dort so etwas thematisiert wie die iranische Bedrohung?

Broder: Nein, im Moment nicht. Das braucht wahrscheinlich seine Zeit. Es wird natürlich thematisiert in den Zeitungen, es wird thematisiert in den Nachrichten, es wird aktuell thematisiert. Im Übrigen wird daran erinnert, dass es einmal sehr gute iranisch-israelische Beziehungen gegeben hat, zu Zeiten des Schahs. Und es gibt eine große iranische Gemeinde in Israel, die wirklich mit guten Erinnerungen noch besetzt ist an die gute alte Zeit in Teheran, also iranische Juden, die nach Israel gekommen sind. Und es wird sehr klar differenziert zwischen dem, was die Regierung anstellt, und dem, was im Lande passiert. Also es gibt genug Kenntnisse über den Iran. Man weiß, dass dort ein ganzes Volk von einer regierenden Bande gefangen genommen worden ist. Man vergleicht auch die Situation mit Deutschland '33, zurzeit des Dritten Reiches, als die Nazis in Deutschland sich durchgesetzt haben. Man versucht einfach zu unterscheiden. Aber das ändert nichts daran, dass man die Gefahr wahrnimmt, die viel größer ist als alles, was man bisher an Gefahr erlebt hat und was alles sozusagen im Rahmen des Konventionellen sich bewegt. Also man glaubt schon, und davon bin auch ich überzeugt, dass die Iraner einfach schauen, wie weit sie gehen können. Es ist auch ein Szenario absolut denkbar, dass die Iraner demnächst auffordern werden, Europa soll sich von Israel distanzieren und soll Israel sozusagen fallen lassen. Und wenn Europa das nicht tut, treten Konsequenzen ein.

Hanselmann: Man darf dann auch gespannt sein, wie sich die Bundesregierung verhalten wird.

Broder: Naja, man darf schon gespannt sein. Man darf nur nicht zuviel erwarten nach dem, finde ich, leicht blamablen Auftakt vor ein paar Tagen.

Hanselmann: Vielen Dank, Henryk M. Broder!
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