"Nur die Fussspur durchzieht noch den Sand der Mark"

Von Ingrid von Saldern · 18.12.2009
Im märkischen Bad Freienwalde geboren, studiert Hans Keilson Medizin in Berlin und veröffentlicht Anfang 1933 mit dem Roman "Das Leben geht weiter" einen Abgesang auf die Weimarer Republik. Die ging kurz darauf unter, Keilson bekam als Jude Publikationsverobt und emigrierte nach Holland, wo er sich um jüdische Waisenkinder kümmerte. Nach dem Krieg avancierte er zu einem bekannten Psychoanalytiker.
Hans Keilson: "Steuern zahl ich in Holland auf fetter Klei."
Denn seit 1936 lebt und arbeitet Hans Keilson in der Nähe von Amsterdam, wo er am 12. Dezember bei klarem Verstand und einigermaßen guter Gesundheit seinen Hundertsten Geburtstag feiert. Die ersten Jahre allerdings war es nichts mit "Steuern zahlen in Holland": Nach der Flucht aus Deutschland lebte er im Untergrund.
Hans Keilson: "Nur die Fussspur durchzieht noch den Sand der Mark". "

In Bad Freienwalde an der Oder geboren, wuchs Hans Keilson als Sohn eines Textilhändlers in der liberalen Atmosphäre seines bürgerlichen Elternhauses auf. Jüdisch-sein:

Hans Keilson: ""Das war die Stimmung bei uns zu Hause, eine gottesdienende Einstellung meiner Eltern. Mein Vater hatte ein Geschäft, kein großes, aber guten Kontakt mit allen Leuten. Wir gingen in die Synagoge, hielten unsere Feiertage und die Leute gratulierten uns."

Er lernte Geige und Trompete spielen, was ihm zugutekam, als er, gleich nach dem Erscheinen seines ersten Buches, Publikationsverbot bekam, und, kurz nach dem Abschluss seines Medizinstudiums in Berlin, Berufsverbot als Arzt – weil er Jude war. So verdiente Hans Keilson sein Brot als Musik- und Sportlehrer an jüdischen Schulen, bis ihn seine erste Frau, eine scharfsichtige Graphologin, drängte, zu fliehen. Sie war nicht die Einzige:

Hans Keilson: "Meinen ersten Roman hab ich bei S. Fischer publizieren können, mein erster Lektor war Oskar Loehrke, der mir schon sagte 34/35: Machen Sie, dass Sie rauskommen, ich befürchte das Schlimmste. Wörtlich."

In Holland arbeitete Hans Keilson im Untergrund mit jüdischen Kindern für die Organisation "Le Ezrat Ha'Jeled" – dem Kind zur Hilfe – und liess sich nach dem Krieg zum Psychiater und Psychotherapeuten ausbilden. Seine Arbeit mit jüdischen Waisenkindern, deren Eltern den Holocaust nicht überlebt hatten, führte zu völlig neuen Erkenntnissen in der Traumaforschung, fast siebzig war er, als seine Dissertation über die "sequentielle Traumatisierung" erschien – ein Grundlagenwerk zum Verständnis schwerer Traumatisierungen. Für ihn selbst war es die – späte – Möglichkeit, für seine Eltern, die in Auschwitz ermordet wurden, den Kaddish zu sagen.

"Also, meine eigene Traumatisierung, die hab ich erst in meiner psychoanalytischen Behandlung, also meiner Psychoanalyse erlebt. Ich war einigermaßen doch sozial angepasst."

Wie seine therapeutische Arbeit sind seine Erzählungen, Essays, Gedichte geprägt von scharfer Analyse und einer Grundhaltung der Versöhnlichkeit. "Komödie in Moll", "In der Fremde zuhause", "Gedenk und vergiss" - die Titel zeigen, dass Hans Keilson Widersprüchliches zusammendenken kann. Auch wenn er viel schrieb und dafür mehrfach geehrt wurde: Sein Leben lang galt der Satz, den sein Vater ihm 1943 zum Abschied sagte: "Vergiss niemals, dass du Arzt bist".

"Sprachwurzellos" heißt zwar ein Buch Hans Keilsons, aber er schrieb nie in einer anderen Sprache als der seiner Wurzeln – so auch das 1947 entstandene Gedicht "Schizoid":

Steuern zahl ich in holland
Auf fetter klei
nur
die fußspur durchzieht noch
den sand der mark
und mein herz
trauert um jerusalem