Nüsse mit Sahne

22.12.2013
Höchst originell ist das Programm des vorweihnachtlichen Konzerts, das der finnische Dirigent Mikko Franck beim Estnischen Nationalen Sinfonieorchester leitet. Ein festliches "Muss" ist natürlich Peter Tschaikowskys "Nussknacker-Suite", die den Abend in der Estonia-Konzerthalle in Tallinn eröffnet. Doch das übrige Programm ist dann doch erstaunlich ungewöhnlich. Auf das überbordend schwelgerische erste Klavierkonzert des schwedischen Komponisten Wilhelm Stenhammar folgt ein selten zu hörendes Stück von Richard Strauss - eine Suite aus seinem Ballett "Schlagobers".
Richard Strauss hat nicht nur Opern und Sinfonische Dichtungen geschrieben, sondern auch Ballettmusik. Und in diesem Werk vom Beginn der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts geht es dann - passend zum Datum dieses Talliner Konzerts - ebenso märchenhaft kulinarisch zu wie in Tschaikowskys Nussknacker-Tanztheater.
Der Inhalt dieses Balletts: Ein Jugendlicher feiert seine Firmung in einer Wiener Konditorei - mit Freunden selbstverständlich. Er nimmt so viel von den Torten, Pralinen und Mehlspeisen, dass er, völlig übersättigt, Alpträume bekommt. Darin erwachen die leckeren Konditorwaren zum Leben: Prinzessin Praliné, Prinzessin Teeblüte, Prinz Kaffee, Don Zuckero, Mademoiselle Marianne Chartreuse, Ladislaw Slivowitz, Boris Wutki und so weiter heißen die Protagonisten.
Ein umstrittenes riesiges Ausstattungsballett inmitten von Nachkriegshunger und Aufbauschwierigkeiten in Österreich und dem Rest Europas hatte Strauss da komponiert. Ganz bewusst wohl, denn er wollte nach eigenen Worten freudvolle Musik und kostümreichen Pomp gegen die Tragik der damaligen Zeit setzen.
Heute läuft uns vielleicht einfach nur noch das Wasser im Munde zusammen bei dieser Musik, zumal wir die politischen Anspielungen nicht mehr verstehen, wenn es in dem Ballett darum geht, wer nun die schöne Mademoiselle Chartreuse zur Gattin bekommt, Ladislaw Slivowitz oder Boris Wutki. Urpsrünglich sollte es nach Richard Strauss' Planung eigentlich Michael Schnaps sein, der deutsche Michel, der die hochprozentige Französin erobert.
Dass es dann doch zwei slawische Spirituosen wurden, lag wohl daran, dass der Komponist, der auch für das Libretto, mithin also für die gesamte Geschichte verantwortlich zeichnete, so kurz nach dem unbeliebten Versailler Vertrag seinem Wiener Publikum keine allzu völkerfreundschaftlichen Signale zumuten wollte.
Im Tallinner Konzertsaal gibt es eine sichere historische und räumliche Entfernung - so lässt sich im hohen europäischen Nordosten die schwedische, russische und österreichische Musik in diesem Konzert mit dem finnischen Dirigenten Mikko Franck und dem Spitzenorchester des baltischen Landes einfach nur genießen.
Estonia-Konzerthalle Tallinn
Aufzeichnung vom 19.12.2013
Wilhelm Stenhammar
Klavierkonzert Nr. 1 in b-Moll op. 1

ca. 20:55 Uhr Konzertpause mit Nachrichten

Richard Strauss
Suite aus dem Ballett "Schlagobers" op. 70
Peter TschaikowskyNussknacker-Suite op. 71a
Per Tengstrand, Klavier
Estnisches Nationales Sinfonieorchester
Leitung: Mikko Franck