NSU-Prozess

Verwischte Spuren

Die Angeklagte Beate Zschäpe sitzt am 01.08.2017 im Verhandlungssaal im Oberlandesgericht München zwischen ihren Anwälten Hermann Borchert (l) und Mathias Grasel.
Beate Zschäpe im NSU-Prozess © dpa-Bildfunk / Peter Kneffel
von Tobias Krone · 16.09.2017
Der NSU-Prozess nähert sich dem Ende. Die Hinterbliebenen wollten Aufklärung, bekommen diese aber zumindest nicht in vollem Umfang. Auch weil Gericht und Bundesanwälte manches beharrlich ausklammern, meint Tobias Krone.
Der Kleinkrieg auf der NSU-Anklägerbank, er ist nicht neu. Aber manchmal sind beide Parteien doch für Überraschungen gut. Denn so zugeknöpft sich die Bundesanwaltschaft immer gab, ist sie gar nicht. Siehe da, plötzlich stützen sich die Bundesanwälte auf Indizien, die diese anfangs eigentlich gar nicht vor Gericht gelten lassen wollten.
Dem notorischen Spürsinn des Hinterbliebenen-Anwalts Yavuz Narin zum Beispiel hat sie ein wichtiges Argument zu verdanken, um zu untermauern, dass Zschäpe ein denkendes Mitglied der Gruppe war. Dies lässt sich aus einem Beobachtungsprotokoll des sächsischen Verfassungsschutzes schließen, das Narin gefunden hatte.
Dem zufolge trafen sich Uwe Mundlos und Beate Zschäpe mit einem mutmaßlich führenden Kopf des verbotenen Neonazi-Netzwerks Blood & Honor in Berlin. Während der Zeugenvernehmungen hatten die Bundesanwälte es noch als "Szenevoyeurismus" abgetan, dass da einer auch rechts und links des Trios suchte. Nun aber war das Dokument auch den Staatsanwälten wichtig genug, um zu beweisen, dass Zschäpe nicht die passive WG-Mutti war, als die sie sich in ihrer schriftlichen Stellungnahme selbst darstellte.

Es hätte mehr aufzuklären gegeben

Die indirekte Anerkennung dürfte Yavuz Narin eine dezente Genugtuung sein. Doch für ein echtes Erfolgserlebnis sorgt dieser Prozess nicht mehr. Es hätte viel aufzuklären gegeben. Viel mehr als das, was da noch übrig geblieben ist: Beate Zschäpe, plus den beiden Helfern, die wohl für die Tatwaffe verantwortlich waren, plus den beiden Helfern, die das Trio mit Bahncards, Reisepässen und angemieteten Wohnmobilen versorgten. Sie werden wohl mit teils hohen Strafen büßen müssen für das, was sie mutmaßlich getan haben. Aber kann es wirklich sein, dass nur sie hinter all dem steckten?
Immerhin waren da einem untergetauchten Neonazi-Trio aus der Provinz in verschiedenen Großstädten der Republik jeweils am helllichten Tage zehn Morde gelungen, auch die mehrfachen Raubüberfälle klappten reibungslos. Gefasst wurde niemand. Das "Triumvirat", wie Bundesanwalt Herbert Diemer den NSU am Dienstag nannte, es muss schon ziemlich genial gewesen sein in seiner Planung der Taten. Oder ziemlich gut informiert. Aber letztere These verfolgt die Bundesanwaltschaft schon lange nicht mehr. Ein kapitaler Fehler.

Verfassungsschutz-Rolle ausgeklammert

Der Verfassungsschutz wusste vermutlich früh Bescheid über die untergetauchten Terroristen. Doch was in seinen Akten zum NSU stand, werden wir nie erfahren. Sie wurden geschreddert, noch bevor die Ermittler sie einsehen konnten. Spätestens in einem solchen Moment der Geschichte stellt sich ein Geheimdienst selbst in Frage. Die Bundesanwälte und das Gericht klammerten die Rolle, die der Verfassungsschutz gespielt hat, beharrlich aus. Auch wenn der V-Mann Tino Brandt mehrmals mit dem untergetauchten Neonazi-Trio telefonierte, auch wenn der V-Mann-Führer Andreas Temme in einem Kasseler Internet-Café chattete, während neben ihm der Betreiber des Internet-Cafés Halit Yozgat erschossen wurde. Was wusste der Geheimdienst? Hätten die Terroranschläge verhindert werden können? Immerhin, vor Gericht verhörte man die Männer vom Verfassungsschutz. Doch viel mehr als eine riesige Gedächtnislücke offenbarten sie nicht.
So bleibt ein Gefühl der Machtlosigkeit. Machtlos verfolgten die Ankläger, wie Zeugen immer an den entscheidenden Stellen mit Erinnerungslücken kämpften. Den Hinweisen auf das gigantische Geflecht von Helfern, Unterstützern und Mitwissern, das die Mordserie des NSU erst möglich machte, gingen die Ermittler nie ernsthaft nach. Zum Beispiel, dass der Verfassungsschutz in Hessen schon 1999 von einer Organisation namens "National Sozialistische Untergrundkämpfer Deutschland" gewusst haben soll. Die Bundesanwaltschaft lehnte den Antrag des Anwalts ab, das Landesamt für Verfassungsschutz sperrte vorsorglich einige Akten für die kommenden 120 Jahre in den Tresor. Die letzten Spuren werden jetzt verwischt.

Hinterbliebene wollten Aufklärung

Kann man so naiv sein wie die Bundesanwälte, und hinter den Morden des Trios kein wohlorganisiertes Netzwerk an mehreren Orten Deutschlands vermuten? Ein Netzwerk, das mehr Schuldige umfasst als die fünf auf der Anklagebank. Auf sie indes warten hohe Strafen – und auf den Prozess ein klangloses Ende. Denn um Strafen geht es den Hinterbliebenen nicht allein. Nur Aufklärung hätte ihnen Gerechtigkeit verschafft. Und dieser Gesellschaft ein echtes Aufatmen.
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