NSU-Mord in Kassel

Abhörprotokolle belasten hessischen Verfassungsschutz

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, CDU
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, CDU: Er soll als Zeuge beim NSU-Prozess in München aussagen. © dpa / pa / Dedert
Von Ludger Fittkau  · 23.02.2015
Der Mord an Halit Yozgat im Jahr 2006 in Kassel wird dem NSU zur Last gelegt. Als der Mann erschossen wurde, war auch der hessische Verfassungsschützers Andreas Temme am Tatort. Neue Recherchen legen nahe, dass Temme Kenntnisse über das Mordgeschehen hatte. Und die Frage steht im Raum: Was wusste das Landesinnenministerium?
Ein Autorenteam um Stefan Aust hat in der "Welt am Sonntag" bisher nicht bekannte Tonbandmitschnitte polizeilicher Ermittlungen zum NSU-Mord an Halit Yozgat 2006 in Kassel veröffentlicht. Dabei geht es um die Rolle des Kasseler Verfassungsschützers Andreas Temme, der sich zum Zeitpunkt des Mordes seinem Bekunden nach zufällig in dem Internet-Café befand, in dem das Verbrechen geschah, das dem NSU zur Last gelegt wird. Die "WamS"- Recherchen legen nun nahe, dass der hessische Verfassungsschützer möglicherweise mehr von dem Mordgeschehen wusste, als er bisher sagte.
Bisher hatte Temme immer angegeben, er sei zum Zeitpunkt der Tat privat in dem Internet-Café gewesen und habe von dem Mord an Halit Yozgat nichts mitbekommen. Die Polizei hatte das Telefon des Verfassungsschützers jedoch nach der Tat abgehört, weil er zunächst als Verdächtiger galt. Der "Welt"-Autor Stefan Aust und sein Rechercheteam berichten nun über bisher unveröffentlichte Details aus den Abhörbändern der Polizei. Diese legen nahe, der Verfassungsschützer habe doch mehr gewusst als er bisher zugab.
Stefan Aust: "Es gibt jedenfalls erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass der Verfassungsschützer Andreas Temme, der zur Tatzeit für elf Minuten in diesem Internet-Café gewesen ist, eine Ahnung davon hatte, dass da was passiert. Jedenfalls kann man das Ablesen aus einem Telefonat, das er geführt mit dem Sicherheitsbeauftragten des Verfassungsschutzes."
War der Mann dienstlich am Tatort?
In diesem Telefonat soll der Sicherheitsbeamte wörtlich zu Temme gesagt haben: "Ich sag ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren."
Im laufenden Münchener NSU-Prozess ist dieses Zitat nun in neue Beweisanträge eingeflossen, die Hamburger Nebenkläger-Anwälte vorgelegt haben. Die Anwälte haben die gesamten Telefongespräche ausgewertet, die Temme zwischen April und September 2006 geführt hatte und die von der Polizei mitgeschnitten worden waren. Die Anwälte behaupten nun in ihrem neuen Beweisantrag, dass Temme "konkrete Kenntnisse von der geplanten Tat, der Tatzeit, dem Tatopfer und den Tätern hatte".
"Wenn es tatsächlich so ist, dann steht natürlich im Raum, ob nicht der damalige Verfassungsschützer doch dienstlich am Tatort war. Dann steht des Weiteren im Raum ob er möglicherweise – und das wäre natürlich ein ziemlicher Hammer – das muss man einfach sagen, vor der Tat schon wusste, dass dort etwas geschehen soll. Das müssen wir jetzt zügig aufklären, weil das bringt natürlich nochmal ganz anderes Gewicht in die Situation."
Sagt Nancy Faeser, hessische SPD-Generalsekretärin. Faeser ist gleichzeitig Obfrau der Sozialdemokraten im Untersuchungsausschuss des Wiesbadener Landtages, der sich zur Zeit mit dem NSU-Mord an Halit Yozgat in Kassel auseinandersetzt.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Joachim Gauck und der Ismail Yozgat, Vater von Halil Yozgat, der in Kassel einem NSU-Mordanschlag zum Opfer fiel. (Bild: esco Denzel/Bundespresseamt)© Jesco Denzel/Bundespresseamt
Die "Welt am Sonntag", so Faeser, entwerfe das Bild eines hessischen Verfassungsschutzes, "der nicht nur etwas über die NSU-Morde gewusst und seine Erkenntnisse der Öffentlichkeit und den Ermittlungsbehörden gegenüber bewusst verschwiegen hat". Der Verfassungsschutz habe darüber hinaus "überhaupt kein Aufklärungsinteresse gezeigt, als die Mordserie bekannt wurde", so Faeser. Und wenn dies auch noch von der politischen Spitze mitgetragen worden sein soll, dann wäre es "das Schlimmste, was ich bisher in Hessen erlebt habe", sagt die hessische SPD-Generalsekretärin.
Ministerpräsident Bouffier soll als Zeuge vorgeladen werden
Der hessische Verfassungsschutzminister Peter Beuth (CDU) war heute Morgen für Stellungnahme zu den Veröffentlichungen der "Welt am Sonntag" nicht zu erreichen.
Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) soll nun auf Antrag der Nebenklage-Vertreter als Zeuge beim NSU-Prozess in München vorgeladen werden. Bouffier war während des NSU-Mordes 2006 in Kassel noch Innenminister in Hessen. Im Beweisantrag für den Münchener NSU- Prozess heißt es, der CDU-Politiker sei wohl spätestens am 12. Juli 2006 über den Tatverdacht gegen Temme informiert worden.
Das geht aus einem Schreiben der Staatsanwaltschaft Kassel hervor. In einer Innenausschuss-Sitzung des Wiesbadener Landtags behauptete Bouffier jedoch, dass er "von dem gegen Temme bestehenden Tatverdacht erst aus der Zeitung erfahren habe". Der NSU-Untersuchungsausschuss in Hessen will bis zum Sommer aufklären, ob Bouffier seinerzeit als Innenminister die Ermittlungen der Polizei zur Rolle des Verfassungsschutzes beim Kasseler NSU-Mord behindert hat.
Mehr zum Thema