NSU-2.0-Drohmails aus Hessen

Zu lange auf dem rechten Auge blind

08:26 Minuten
Roland Ullmann auf einer Pressekonferenz.
Der neue hessische Polizeipräsident: Richard Ullmann. © picture alliance / dpa / Arne Dedert
Von Ludger Fittkau · 17.07.2020
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In der Affäre um rechtsextreme Drohmails hat der hessische Innenminister Peter Beuth einen neuen Polizeipräsidenten vorgestellt: Richard Ullmann soll das Vertrauen in die Polizei wiederherstellen. Ohne Ermittlungserfolge ist das jedoch nicht möglich.
Hessen hat nach der Affäre um Drohmails und Abfragen von Polizeicomputern einen neuen Landespolizeipräsidenten: Richard Ullmann wurde von Innenminister Peter Beuth (CDU) in Wiesbaden vorgestellt.
Ullmann ist seit 47 Jahren im Polizeidienst und will die Ermittlungen in der NSU-2.0-Drohmailserie gegen prominente Frauen zur Chefsache machen. Ein zentraler Begriff bei seiner Vorstellung lautete "Reset" (Zurücksetzen).
Das ist durchaus technisch gemeint. Es bezieht sich auf die Zugänge zu den hessischen Polizeicomputern, auf denen die Daten von Personen abgefragt wurden, die später bedroht wurden.

Neue Zugangsdaten für alle

Die Drohmails basieren auf Daten, die von zwei Computern in Wiesbaden und Frankfurt am Main entwendet wurden. Bisher war es in vielen Polizeidienststellen offenbar so, dass sich morgens eine Person einloggte und daraufhin verschiedene Menschen mit diesem Log-in die Computer nutzen konnten. Deswegen konnten sich auch die bisher verdächtigten Personen leicht herausreden und sagen, sie hätten damit nichts zu tun.
Jeder Polizist soll jetzt neue Zugangsdaten erhalten und sich schriftlich zu deren Geheimhaltung verpflichten. Bei der Abfrage von Personendaten müsse der Benutzer künftig auch sein Passwort nach drei Minuten erneut eingeben, kündigte Ullmann an.

Eine Kommission soll aufarbeiten, was schiefläuft

Außerdem sollen Experten die Arbeit der Polizei überprüfen. Dafür soll eine Kommission eingerichtet werden, deren Leitung zwar eine unabhängige Persönlichkeit des öffentlichen Lebens erhalten soll. Doch auch Vertreter des Landespolizeipräsidenten oder Polizeigewerkschaften sollen hinzukommen.
Die Kommission soll aufarbeiten, was in Hessen schiefläuft und wie rechte Netzwerke in der Polizei aufgelöst werden können, sofern es sie gibt. Dass es sie gibt, dafür spricht im Moment einiges.

Ruf nach Aufklärung wird lauter

Ein Befreiungsschlag für Innenminister Peter Beuth sind der neue Polizeipräsident und die angekündigten Maßnahmen jedoch nicht. Die Opposition bezeichnet den Wechsel des Landespolizeipräsidenten als "Bauernopfer".
Beuth steht weiterhin unter Druck, weil es seit zwei Jahren keinen Ermittlungserfolg gibt. Er weiß zudem, dass etwas passieren muss, und sagte: "Der Ruf nach Aufklärung wird täglich lauter."
Dieser Ruf geht mittlerweile weit über Hessen hinaus. Schließlich gibt es auch schon Drohfälle in Berlin und anderen Bundesländern.

Rechtsradikale Strukturen in Nordhessen

Das Problem mit dem Rechtsextremismus in Hessen geht weit über die Drohmails hinaus: Der Anschlag in Hanau, der Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke und die Frage, ob der hessische Verfassungsschutz den mutmaßlichen Täter aus dem Radar verloren hat.
Und dann ist da auch noch ein ehemaliger Mitarbeiter des Verfassungsschutzes: Andreas Temme. Er soll 2006 zufällig am Tatort gewesen sein, als der NSU in Kassel Halit Yozgat ermordet hatte.
Wer nach Ursachen dafür sucht, findet vor allem eine historische Erklärung: Lange Zeit war die Landespolitik auf dem rechten Auge weitgehend blind und hat nicht genug getan.
Das gilt vor allem für die rechtsradikalen Strukturen in Nordhessen. Dort gibt es seit 20 bis 30 Jahren gewaltbereite Netzwerke von Neonazis. Hinzukommen rechte Strukturen im ländlichen Raum, die dort schon über Generationen bestehen.
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