NS-Zeit

Zu Freiwild geworden

Von Stefan May · 13.12.2013
Friedrich Torbergs Roman beschreibt das Leben eines jüdischen Dramatikers im Wien der 30er-Jahre. Während seiner Flucht 1938/39 geschrieben, gibt er Einblick in die beklemmenden Tage um den Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland.
Spätsommer 1937 in Salzburg: Der Bühnenautor Martin Hoffmann ist frisch verliebt in die Wiener Schauspielerin Carola Hell, die hier während der Festspiele auftritt. Die beiden verlieben sich nicht nur, es wird die große Liebe. Sie kehren zurück nach Wien und ziehen in eine gemeinsame Wohnung am Stadtrand.
Seit drei Jahren wird Österreich als christlich-sozialer Ständestaat autoritär regiert. Selten kommt es in diesen Tagen und Wochen zu Irritationen, doch werden sie häufiger. Die beiden Verliebten kümmern die politischen Entwicklungen wenig, wenngleich Hoffmann Jude, seine Freundin "arisch" ist.
Mitunter kommen Martin Hoffmann Bedenken, etwa wenn Bundeskanzler Schuschnigg zu Adolf Hitler nach Berchtesgaden zitiert wird. Immer wieder scheint sich die Situation aber zu erholen, Österreich wieder Tritt zu finden, ein Auf und Ab, das schließlich auch bis in das Privatleben des Liebespaares dringt.
Carola Hell, bisher an allem Politischen völlig desinteressiert, wird erst für die Vorgänge rund um sie sensibilisiert, als sie während eines Gastspiels in Berlin aufgrund ihrer Beziehung vorübergehend festgenommen wird.
Torbergs Roman ist weitgehend ein innerer Monolog des Martin Hoffmann, der immer wieder Entscheidungen zur Flucht hinauszögert, weil sich auch immer wieder die Lage zu normalisieren scheint: Sein neues Theaterstück wird nach wochenlanger Schreibhemmung endlich fertig und soll mit seiner Carola als Hauptdarstellerin im Theater an der Josefstadt herauskommen.
Ausweglosigkeit wird von einem Tag auf den anderen spürbar
Die seitenlange Beschreibung der Gedankengänge macht den Roman im ersten Teil etwas langatmig. Er gewinnt allerdings gegen Ende an Fahrt, als sich die Ereignisse zu überschlagen beginnen: Ansetzung und Absetzung einer Volksabstimmung, Einmarsch der Hitler-Truppen.
Das große Verdienst des Buches, das Torberg während seiner Flucht 1938/39 geschrieben, aber zu Lebzeiten nie veröffentlicht hat, ist die Beschreibung jener beklemmenden Tage um den Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland aus jüdischer Sicht: Die Ausweglosigkeit von einem Tag auf den anderen wird spürbar, das Bewusstsein zu Freiwild geworden zu sein, willkommenes Opfer in einer Revolution der "Türlschnapper", wie Torberg es nennt. Es ist der rücksichtslose Jubel der zur Macht aufgestiegenen Deklassierten, der andere ausschließt. Viel Trauer und Enttäuschung des Autors, seine geliebte Heimat verloren zu haben, schwingen mit.
Die Liebesgeschichte zwischen Martin und Carola erinnert ein wenig an Tucholskys "Rheinsberg". Allerdings bedient sich Torberg einer etwas betulichen, leicht antiquierten Sprache mit vielen verniedlichenden Austriazismen, die vielleicht unbewusst Abgrenzung zum damaligen Deutschland schaffen soll. "Selbst Berlin enträt der eingeschworenen Liebhaber nicht", schreibt Torberg beispielsweise. Er, der bei der Herausgabe des Werks von Herzmanovsky-Orlando massiv in dessen Texte eingegriffen hat, sollte deshalb wohl nicht viel dagegen haben, den Text von "Auch das war Wien" zu verschlanken und behutsam zu modernisieren.
Schade nur, dass jener Autor, der Verfolgung selbst erlebt und in diesem letztlich doch packenden Roman niedergeschrieben hat, nach dem Krieg gemeinsam mit seinem Kollegen Hans Weigl und anderen zu einer Gruppe aus dem Exil zurückgekehrter österreichischer Literaten gehörte, die als "Kommunisten-Fresser" schreibenden Kollegen das Leben schwer machten. So etwa war Torberg maßgeblich am in Österreich durchgesetzten Brecht-Boykott beteiligt.

Friedrich Torberg: "Auch das war Wien"
Milena Verlag, Wien 2013
346 Seiten, 24,90 Euro

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