NRW

Verkehrspolitische Mahnmale

Die 700 Meter lange Leverkusener Rheinbrücke überspannt den Rhein auf der A1 zwischen Leverkusen-Wiesdorf und Köln-Merkenich. Die 1965 in den Dienst gestellt Brücke ist die meistbefahrene in Nordrhein-Westfalen und muss abgerissen werden.
Die 700 Meter lange Leverkusener Rheinbrücke überspannt den Rhein auf der A1 zwischen Leverkusen-Wiesdorf und Köln-Merkenich muss abgerissen werden. © picture alliance / Horst Ossinger
Thorsten Poppe und Barbara Schmidt-Mattern · 20.08.2014
Die Leverkusener Brücke ist die meist befahrene Autobahnbrücke der Republik - und so marode, dass schwere LKWs Fahrverbot haben. Der "Pannentunnel", eine Lärmschutzmaßnahme an der A1 auf Höhe von Köln-Lövenich, hat sich als komplette Fehlplanung entpuppt.
Die Leverkusener Brücke (Audio)
Täglich donnern zwischen dem linken und rechten Rheinufer mehr als 120.000 Fahrzeuge über die Autobahnbrücke Leverkusen. Keines darf hier mehr schneller als 60 km/h fahren, schwere LKWs haben Fahrverbot. Denn die Brücke ist nach fast 50 Jahren mittlerweile so marode, dass die Verkehrsplaner die Gewichts- und Geschwindigkeitsbegrenzung zur Sicherheit einführen mussten. Kleinere Sanierungsarbeiten wurden zwar immer wieder durchgeführt, doch heute ist das komplette Bauwerk marode - wie Christoph Jansen von der zuständige Behörde "Straßen NRW" erklärt:
"Wir haben Ende 2012 die ersten massiven Schäden in der Rheinbrücke feststellen müssen, wo wir halt Risse im Bauwerk entdeckt haben, die die Tragfähigkeit beeinträchtigen. Da muss man halt einfach feststellen: Das Material, was wir damals als die Brücke gebaut worden ist in den 60er-Jahren verwendeten, halt nicht so die Qualität aufweist, die man vielleicht heute vorfinden würde. Hinzu kommt, dass man heutzutage auch eine ganz andere Last auf das Bauwerk aufbringt. Und dieser hohe LKW-Anteil verursacht natürlich einen ganz anderen Schaden, als dass früher mal irgendwann von den Ingenieuren geplant worden ist."
Eine Katastrophe für eine der meist befahrenen Brücken der Republik. Die Leverkusener Brücke gilt als verkehrstechnisches Nadelöhr. Sie heißt zwar nach dem ungeliebten Nachbarn, gehört aber dennoch zum Kölner Stadtgebiet, und ist damit deren achte Rheinquerung weit im Norden. Von hier aus ist der Dom nicht zu sehen, sondern nur die Fabriktürme von Ford gegenüber denen von Bayer in Leverkusen.
Fast 40 Kilometer Umweg müssen schon heute LKWs ab 3,5 Tonnen in Kauf nehmen. Das bedeutet noch mehr Stau und enorme Zusatzkosten für die Unternehmer. Und falls dennoch die Brücke genommen wird, erfassen extra aufgestellte Blitzer die großen Sattelzüge. 150 Euro kostet dieses Vergehen. Täglich tappen in die Falle laut Polizei um die 850 LKW
Schaden für die Unternehmen
Der Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Köln Dr. Ulrich Soénius fordert deshalb sofortige Maßnahmen, um den gegenwärtigen Zustand für die Verkehrsteilnehmer und die Kosten für die Unternehmer erträglicher zu gestalten.
"Es muss viel, viel früher angefangen werden, die LKW-Verkehre weg von der Leverkusener Brücke hin zu anderen Wegen insbesondere nach Düsseldorf zu fahren. Wir sind der Überzeugung, dass 'Straßen NRW' schon sehr frühzeitig in Aachen, in Dortmund, in Duisburg, in Koblenz anfangen muss die LKW-Fahrer zu informieren, auch mit Schildern, auch in anderen Sprachen. Wenn aber die Unternehmen weiter im Stau stehen, haben wir ausrechnen lassen, dass am Tag solchen Unternehmen einen Schaden von 1750 Euro entsteht. Das hört sich erst einmal nicht viel an, aber 1750 Euro sind weg, und wenn man das mal hochrechnet, das sind 380.000 Euro, die einem niemand bezahlt."
Aber es kommt noch schlimmer: Eine Überprüfung von 150 Brücken an Autobahnen und Bundesstraßen in NRW ergab, dass fast die Hälfte komplett erneuert werden müssen. Kostenpunkt rund 4,5 Milliarden Euro.
Auch die Leverkusener Brücke wird komplett neu gebaut, wie die Planer im Juni dieses Jahres entschieden. Bis 2020 soll nördlich der jetzigen Querung eine neue Brücke mit 10 Fahrspuren entstehen: Um die 500 Millionen Euro soll sie kosten, und wird eine mehr als große Herausforderung für Projektleiter Christoph Jansen von "Straßen NRW". Nicht nur baulicher Art:
"Der Bau eines so komplexen Bauwerkes innerhalb eines so schwierigen Baugrundes ist sicherlich Neuland, was wir hier betreten. Wir kennen das natürlich von anderen Baumaßnahmen, dass Planungen natürlich sehr kritisch von vielen Stellen gesehen werden. Sicherlich hier in Leverkusen noch einmal besonders kritisch, was natürlich damit zusammenhängt, dass im weiteren Verlauf die Autobahn durch die Stadt führt, und die Anwohner die Befürchtung haben, dass durch den Neubau die Belastungen für die Anwohner noch größer werden."
Bürger fühlen sich nicht ausreichend einbezogen
Die Planer um Christoph Jansen sehen sich bei diesem Projekt erheblichem Misstrauen seitens der Anwohner und Lokalpolitiker ausgesetzt. Denn die fühlen sich beim Bau dieser neuen Landmarke mit weitreichenden baulichen Veränderungen in ihrem Wohnumfeld nicht ausreichend mit einbezogen. Auch seien alternative Bauten wie ein Tunnel unter dem Rhein nicht ordentlich geprüft worden seitens "Straßen NRW", so der Vorwurf der Bürgerinitiative "Tunnel statt Stelze" um Mike Busse-Lepsius:
"Wer der Leverkusener Politik dieses Projekt vorstellt, und dann sagt, dass die Leverkusener Politik höchstens die Farbe der Brücke mit bestimmen darf, der hat natürlich dann schon die Fans nicht mehr auf seiner Seite. Unsere Erfahrungen hier in Nordrhein-Westfalen ist von Anfang an aktiv zu sein, also wirklich die Bürger, die Lokalpolitik müssen wirklich zusammen möglichst viel in möglichst kurzer Zeit in Erfahrung bringen, was wirklich geplant ist. Also es kommt niemand von selbst, und sagt, was er vorhat."
Der Fall der Leverkusener Brücke zeigt vor allem eines: Bei der Sanierung müssen sich die Planer nicht nur den technischen Herausforderungen stellen, sondern bei solchen Landmarken auch die Anwohner frühzeitig mit in die Sanierungs- oder Neubaumaßnahmen einbinden. Sonst droht eben nicht nur wie das Beispiel Leverkusener Brücke zeigt ein Verkehrskollaps. Sondern eine permanente Konfliktsituationen während der langjährigen Planungen und Bauarbeiten mit den Anwohnern.
"Ich bin froh, dass dat Ding da steht!"
Ernst Reinartz, 76 Jahre alt, und Häuslebesitzer in Köln-Junkersdorf, steht zufrieden im Gartenbeet und blickt auf die viereinhalb Meter hohe Lärmschutz-Ummantelung direkt hinter seinem Gartenzaun. Von der sechsspurigen Autobahn 1 ist nur ein leises Brummen zu hören.
"40 Jahre haben wir echt gekämpft, können Sie sich vorstellen, Politiker eingeschaltet usw. und schließlich geholfen hat uns der Petitionsausschuss im Deutschen Bundestag, der dann dem Bundesverkehrsminister Druck gemacht hat …"
Für Ernst Reinartz und die Junkersdorfer ein Sieg auf ganzer Linie. Doch für Steuerzahler und Autofahrer ist die offiziell sogenannte "Schallschutzeinhausung" im Kölner Westen zu einem teuren und zeitraubenden Nervenkrimi geworden. Ganze 20 Jahre haben Heerscharen von Ingenieuren und Handwerken an dem gerade einmal 1,5 Kilometer langen Tunnel herumgedoktert: Umgebaut, erweitert, verbessert, gesperrt – kein Ruhmesblatt für deutsche Verkehrsplanung.
"Die Binder mussten verstärkt werden, die Feuerfestigkeit erhöht, mehr Abflusswasser war von der Feuerwehr gefordert. Es musste also zusätzlich ein Pumpwerk eingebaut werden. Diese Dinge kamen peu à peu dazu …"
Experten wie Roman Sutholt raufen sich die Haare, wenn die Rede auf die "Einhausung" kommt:
"Finanziell gesehen ist das Projekt eine Katastrophe, würde ich sagen …"
"Das Ganze hätte man auch viel billiger haben können"
Der Verkehrsökonom vom ADAC rechnet vor: Mit 200 Millionen Euro sind die ursprünglich viel niedriger kalkulierten Kosten explodiert, ein Fall für den Bundesrechnungshof, da ist sich Sutholt sicher. 2000 Anwohner drum herum haben jetzt zwar ihre Ruhe, aber das Ganze hätte man auch viel billiger haben können, meint der Experte:
"Nach heutigem Stand der Technik würde man nicht mehr einen Tunnel planen, sondern würde Flüsterasphalt verbauen, in Kombination mit einer Lärmschutzwand, und vielleicht einer Geschwindigkeitsbegrenzung, die jetzt auch gilt. Man darf in dem Tunnel jetzt nur 80km/h maximal fahren. Wenn man diese Geschwindigkeitsbegrenzung von Anfang an festgelegt hätte, hätte man nicht so hohen Aufwand treiben müssen."
Selbst Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Michael Groschek, der das Projekt an der Kölner A1 von seinen Amtsvorgängern geerbt hat, lässt kein gutes Haar an dem Tunnel. Die Kritik fällt ihm nicht schwer – es geht ja um ein Projekt des Bundes:
"Ich glaube, diese Baustelle ist wirklich kein Vorbild für künftiges Baustellenmanagement und für künftige Lärmschutzmaßnahmen. Deswegen wird das für mich ein verkehrspolitisches Mahnmal bleiben, um aus Fehlern zu lernen.
Ich muss mich darüber echauffieren …"
Ernst Reinartz, Anwohner des Lärmschutz-Tunnels in Köln-Junkersdorf, direkt in seinem Garten an der Grenze zur sogenannten "Lärmschutz-Einhausung".
Ernst Reinartz, Anwohner des Lärmschutz-Tunnels in Köln-Junkersdorf, direkt in seinem Garten an der Grenze zur sogenannten "Lärmschutz-Einhausung".© Barbara Schmidt-Mattern
Rentner Ernst Reinartz, der jahrzehntelang bei mehrfach wechselnden Bundes- und Landesregierungen für mehr Ruhe gekämpft hat, blinzelt in seinem Garten gegen die helle Sonne und reagiert mit Spott:
"Klar! Heute kann man wunderbar sagen, ja, hätte man doch den geschlossenen Tunnel gebaut, eine Tennishalle da drauf … da hätten wir zwar hier im Garten kein Licht mehr gehabt, aber dat wär ja alles viel billiger geworden. Man kann im Nachhinein nicht einfach so pauschal sagen …"
Auf überteuerte Autobahnbaustellen folgt PKW-Maut
Auch Kritiker wie Roman Sutholt räumen ein, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen – etwa beim Feuer- und Abwasserschutz – sich im Laufe der Jahre zwar verändert hätten, so dass manche Kostensteigerung nicht vorhersehbar war. Aber:
"Es gibt einen Schwestertunnel in Aschaffenburg, der ist in kürzester Zeit realisiert worden, und soweit ich informiert bin, sind auch die Kosten nicht so stark explodiert …"
Sutholt sieht gar einen Zusammenhang zwischen überteuerten Autobahnbaustellen und der umstrittenen PKW-Maut, die die CSU plant:
"Was jetzt hier zu viel …das fehlt an einer anderen Stelle, und man muss gucken, wo man das Geld sonst herkriegt, und dann werden solche Themen wie die PKW-Maut hervorgeholt."
Seit Anfang letzten Jahres ist die A1 im Kölner Westen unter der Lärmschutzeinhausung zwar frei befahrbar, aber die Brandschutzmelder haben zwischenzeitlich schon Chaos ausgelöst wegen eines Autos mit defekter Kühlanlage. Und weil das Glasdach sogenannte "Lichteffekte" verursacht, bleibt es bei Tempo 80. Die offizielle Eröffnungsfeier steht übrigens noch aus. Aber Autobahn-Anwohner Ernst Reinartz ist hoch zufrieden:
"Ja! Kann man sagen. Das war mein Lebenswerk. Wenn man 40 Jahre dafür kämpft, ist das schon ne tolle Sache."
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