NRW-Arbeitsminister warnt vor Lockerung des Kündigungsschutzes
Der Arbeits- und Sozialminister von Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann (CDU), hat die Mittelstandsvereinigung der Union wegen ihrer ablehnenden Haltung gegenüber einer Arbeitslosengeldverlängerung für Ältere gerügt. Eine Lockerung des Kündigungsschutzes lehnte Laumann, auch Bundesvorsitzender der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), ab.
Deutschlandradio Kultur: Morgen Abend tagt der Koalitionsausschuss in Berlin. Anscheinend gibt es erheblichen Klärungsbedarf in vielen Bereichen. Herr Laumann, ist die Zeit gekommen, muss die Kanzlerin endlich mal ein Machtwort sprechen?
Karl-Josef Laumann: Ich glaube, dass die Kanzlerin auch in der Vergangenheit die Richtlinie der Politik bestimmt hat. Natürlich bin ich gespannt, was beim Koalitionsausschuss am Sonntagabend raus kommt, denn wir reden ja immerhin über wichtige Fragen für Hunderttausende von Menschen in diesem Land. Es ist natürlich so, dass auch in der letzten Zeit einiges an Entscheidungen aufgeschoben worden ist. Das hängt nun mal daran, dass man Parteitage von Koalitionspartnern auch respektieren muss und dass man nach Parteitagen eben Klärung herbeiführen muss.
Deutschlandradio Kultur: Herr Ramsauer von der CSU sagt, es solle möglichst wenig herauskommen. Ist das auch eine Watsche von Berlin aus nach Düsseldorf?
Laumann: Wissen Sie, ich bin eigentlich sehr zufrieden. Wenn man bedenkt, dass wir – Rüttgers und ich – den Kampf angefangen haben, um bei Hartz IV in einigen Bereichen nachzujustieren, und wie damals so die Stimmung war, dann ist es doch ein Fortschritt, dass auch die zweite große Volkspartei in Deutschland jetzt auf unseren Kurs eingeschwenkt ist. Deswegen bin ich mir ganz sicher, weil wir ja auch in der CDU klare Parteitagsbeschlüsse haben, dass hier auch eine Lösung gefunden wird, die sehr in die Richtung dessen geht, was wir in NRW seit längerer Zeit fordern.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt haben Sie vielleicht den großen Vorteil, dass Sie im Moment nicht in Berlin sind, sondern in NRW Politik machen können, weil sich die Stimmung in Berlin in den letzten Wochen etwas verändert hat. Zumindest spricht Franz Müntefering am Freitag von einem "Gegacker in der Union", das endlich mal aufhören müsse. Haben Sie das Gefühl, dass nach der Hälfte der gemeinsamen Regierungsarbeit der Großen Koalition so langsam die Luft raus ist?
Laumann: Ich glaube erst einmal, dass es so ist: Desto mehr wir in Berlin auf die Bundestagswahl 2009 zugehen, desto gereizter wird das Klima in der Koalition sein. Denn niemand will ja aus heutiger Sicht diese Große Koalition nach 2009 fortsetzen. Große Koalitionen dürfen ja im Übrigen auch keine dauerhaften Einrichtungen in einem Land sein.
Deutschlandradio Kultur: Der Ton ist anders geworden.
Laumann: Ja gut, aber das ist ja normal, dass sich das jetzt verschärft. Der SPD-Parteitag war ja – denke ich – aus Sicht der SPD auch dafür da, das Profil der SPD mit Blick auf eine kommende Bundestagswahl zu schärfen. Die CDU wird das Gleiche im Dezember für unsere Partei tun. Das heißt, wir werden ja mit sehr unterschiedlichen Politikkonzepten in Teilbereichen auch in den Wahlkampf ziehen. Ich hoffe dennoch, dass die Koalition zu Entscheidungen kommt und dass man diese parteipolitische Frage und die Frage in der Koalition auch ein stückweit voneinander trennt. Denn die Wahrheit ist ja, dass sich die Ergebnisse der Großen Koalition durchaus sehen lassen können. Wir sind nah an ausgeglichenen Haushalten. Wer hätte das mal für möglich gehalten? Die Wirtschaft ist Gott sei Dank angesprungen, was uns natürlich auch bei den Sozialversicherungen und auch beim Staatshaushalt enorm hilft. Dass nächstes Jahr überhaupt eine Rentenerhöhung möglich wird, liegt doch nur daran, dass wir die Arbeitslosenversicherungsbeiträge senken können, weil dadurch die Nettolöhne erhöht worden sind. Ich finde, da wird eigentlich auch viel zu wenig in der Öffentlichkeit drüber geredet, dass dies doch gigantische Entlastungen für Wirtschaft und für Arbeitnehmer sind.
Deutschlandradio Kultur: Aber aus Ihrer Sicht, aus der arbeitsmarktpolitischen Sicht, aus der Sicht der CDA, der Christdemokratischen Arbeitnehmerschaft, laufen doch die Konfliktlinien nicht nur zwischen SPD und CDU als Koalitionsstreit, sondern auch durch die Partei. Mit wem haben Sie derzeit größere Schwierigkeiten, mit der SPD oder mit Ihren eigenen Parteifreunden?
Laumann: Ich bin schon der Meinung, dass doch auch sehr deutlich wird, dass sich die CDU an den Dresdner Parteitagsbeschluss, was die Verlängerung des Arbeitslosengeld I angeht, hält. Denn sowohl die Bundeskanzlerin als unsere Parteivorsitzende sagt, selbstverständlich gibt es jetzt hier eine Lösung, weil der andere Koalitionspartner auf dieses Thema eingeschwenkt ist. Es muss kostenneutral sein. Das haben wir damals ja auch verabredet. Der Generalsekretär Pofalla wird nicht müde, auch diese Position darzustellen. Dass es immer noch den einen oder anderen gibt, der den Dresdner Parteitagsbeschluss nicht gewollt hat, ist wahr. Wenn er jetzt nachkartet, soll er es tun. Gewinnen werden wir, denn Parteitagsbeschlüsse werden von Parteiführungen umgesetzt. Deswegen weiß ich auch, dass sehr viele in der CDU wissen, dass in der CDU die drei Flügel – sozial, konservativ und liberal – zusammengeführt werden müssen. Im Übrigen, für das Grundsatzprogramm ist es ja auch sehr gut gelungen.
Deutschlandradio Kultur: Aber was die anderen verlangen, tut doch weh. Zum Beispiel die Mittelstandsvereinigung sagt: Wenn wir das so machen mit dem Arbeitslosengeld I für Ältere, dann wollen wir auf der anderen Seite einen lockeren Kündigungsschutz.
Laumann: Es ist ja so: Dass die Mittelstandsvereinigung dieses fordert, ist ja ihre Sache. Wenn wir die beiden Landtagswahlen nicht verlieren wollen, sollten wir schön vom Kündigungsschutz wegbleiben. Die Arbeitnehmer in Deutschland haben panische Angst arbeitslos zu werden. Und zwar liegt das daran, weil man in Deutschland eine Arbeitslosenversicherung hat, die den Menschen von heute auf morgen ein Drittel weniger Lohn zahlt, wie man vorher hatte. Schauen Sie sich die normalen Haushalte an. Die haben noch nicht ein Drittel ihres Nettoeinkommens über, wenn sie Miete und alles andere bezahlt haben, was sie bezahlen müssen.
Wenn man mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt haben will, muss man dieses auf der anderen Seite mit Sicherheit verbinden. Man kann nicht beides machen. Man kann nicht das Arbeitsrecht liberalisieren und flexibilisieren und gleichzeitig die Arbeitslosenversicherung ständig verschlechtern, wie es in der Vergangenheit gemacht worden ist. Menschen brauchen, glaube ich, um eine Familie zu gründen, um auch Verantwortung für Familie zu übernehmen, auch ein Stück Sicherheit und Planbarkeit ihres Lebens. Das ist natürlich bei schmaleren Budgets noch viel wichtiger wie bei denjenigen, die ein Einkommen haben, die noch erhebliche Rücklagen bilden können. Aber wir müssen doch sehen, dass Deutschland mittlerweile schon einen Niedriglohnsektor hat und die Menschen schon genug damit zu tun haben, ihre Kosten vom Lohn zu bezahlen. Da sind keine großen Rücklagen. Desto wichtiger ist für diese Menschen eine vernünftige Arbeitslosenversicherung.
Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir noch mal bei dem Arbeitslosengeld, weil da die Diskussion im Moment über die Bezugsdauer für ältere Arbeitnehmer heftig geführt wird. Franz Müntefering musste mit seinen Vorstellungen bei der SPD zurückstecken. Wie sehen konkret die Vorschläge der CDA aus, was ältere Arbeitnehmer angeht?
Laumann: Ich persönlich bin erst einmal der Meinung, dass wir immer, wenn wir über die Leistung einer Arbeitslosenversicherung reden, uns ganz ruhig einfach die Arbeitsmarktlage anschauen müssen. Die Arbeitsmarktlage ist in Deutschland so, dass zurzeit ein Mensch zwischen 50 und 54 im Schnitt 15 Monate, zwischen 55 und 60 19 Monate braucht, um wieder einen Job zu finden. Bei den jüngeren liegen wir bei vier Monaten. Das heißt, wenn du in einem höheren Alter deine Arbeit verlierst, hast du es viel schwerer eine wiederzufinden, als wenn du jünger bist. Ich bin ganz entschieden der Meinung, dass man dieses auch in den Leistungen einer Arbeitslosenversicherung berücksichtigen muss.
Hochinteressant ist auch folgende Situation: Wenn Müntefering immer sagt, es sind 140.000 Ältere, über 50-Jährige in Arbeit gekommen, will ich nur ganz bescheiden mal sagen, dass davon nur 40.000 in Erwerbsarbeit gekommen sind. Die Abgänge in die Nichterwerbstätigkeit waren 67.000. Das heißt, die Ergebnisse der Bundesagentur für Arbeit, Ältere wirklich in einen Job zu vermitteln, sind ganz schmal.
Deutschlandradio Kultur: Sie müssten doch eigentlich sagen, macht Tempo bei den Älteren in der Arbeitsvermittlung!
Laumann: Selbstverständlich können wir Tempo bei den Älteren machen, aber wenn das zurzeit bei den Unternehmen so ist, dass man Ältere nicht einstellt, dann kann die Arbeitsverwaltung Tempo machen wie sie will. Wir haben ja viele Programme, 50 Plus u.ä., wo erhebliche Mittel rein gesteckt werden, um Ältere zu vermitteln, wo es ja auch gute Lohnkostenzuschüsse gibt, um Ältere in Arbeit zu bringen. Trotzdem haben wir die Situation, die ich gerade dargestellt habe. Es ist so, dass viele Unternehmen nach wie vor eine Vorstellung haben, dass man, wenn man einen Jüngeren kriegen kann, den dem Älteren – älter fängt da schon oft bei Mitte 40 an – vorzieht. Und da wir natürlich auch in vielen Bereichen viele qualifizierte jüngere Leute hatten, ist natürlich klar, dass die eher Arbeit gefunden haben.
Nur die Politik darf jetzt eins nicht machen: Wir dürfen nicht den Wunsch der Arbeitgeberverbände, über Zuwanderung von Facharbeitskräften nachgeben, solange Ältere – 45 ist ja nicht ein Begriff von "alt", jedenfalls so wie ich mir das vorstelle nicht – keine Einstellungschancen haben. Ich finde, die Arbeitgeber haben die Verpflichtung, den hier lebenden Menschen auch eine Arbeit zu geben, bevor sie über Lockerungen bei Zuzügen von Facharbeitskräften Anforderungen an die Politik stellen können. Deswegen muss die Politik auch in diesen Bereichen, bis auf wenige Ausnahmen, wenige Spezialisten, zurzeit sehr entschlossen bleiben, dass wir den Aufschwung, den wir haben, auch für die Menschen, die älter sind und in diesem Land leben, für Arbeitsplätze stärker nutzen können.
Deutschlandradio Kultur: Was kann man noch für die älteren Arbeitnehmer tun, damit man sie in Arbeit bringt? Sie haben gesagt, man kann das eine machen, man kann ihnen ein längeres Arbeitslosengeld zahlen und ihnen Zeit bei der Vermittlung lassen. Und man kann natürlich auch etwas für ihre Fortbildung tun.
Laumann: Ich bin ja dafür, dass man eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes durchaus auch an Qualifizierung knüpft, und zwar dann immer am Anfang der Arbeitslosigkeit, nicht am Ende. Wenn heute eine größere Entlassung in einem Betrieb ansteht, dann machen wir in der Regel eine Transfergesellschaft. Eine Transfergesellschaft funktioniert so, dass in der Regel der Arbeitgeber aus Sozialplanmitteln die Sozialversicherungsbeiträge zahlt, die Bundesagentur für Arbeit ein Unterhaltsgeld, das genauso hoch ist wie das Arbeitslosengeld, und die Qualifizierung. Und wir aus den Ländern zahlen in der Regel die Overheadkosten einer solchen Transfergesellschaft. Das ist – ich will nicht sagen – "täglich", aber öfter die Situation, dass wir so etwas organisieren.
Aber das Schöne an Transfergesellschaften ist für die Arbeitnehmer: Solange sie in dieser Transfergesellschaft sind, zählt nicht ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld. Das heißt, immer, wenn die Transfergesellschaft zu Ende ist, fängt das richtige Arbeitslosengeld an auch in den Monatsfristen zu zählen.
Wie sieht es jetzt für Arbeitnehmer aus, die aus Kleinbetrieben entlassen werden? Für die zählt vom ersten Tag an, in der Regel nach zwölf Monaten, bist du bei Hartz IV. Und Hartz IV ist natürlich für Menschen, die gut ausgebildet sind, die leistungsfähig waren, die sich unter Umständen auch etwas zurückgelegt haben, z.B. fürs Alter, eine Katastrophe, weil man ja eben die Rückstellungen fürs Alter auflösen muss, bevor man eine bedarfsabhängige Leistung bekommt. Deswegen, meine ich, ist diese Sache nicht mehr als recht und billig. Was wir für Großbetriebe ohnehin bei Entlassungen in Transfergesellschaften tun, tun wir jetzt auch für kleinere. Und dass die Mittelstandsunion ausgerechnet dagegen ist, wo es jetzt um die Absicherung der Arbeitnehmer auch aus kleineren Betrieben geht? Also, wenn ich als Mittelstandsunion Flexibilisierung des Arbeitsrechtes fordere, ja Leute, das kann ja nicht heißen, wir schmeißen die Leute raus und anschließend sind sie bei Hartz IV. Sondern das muss doch heißen, dass man ihnen auch ein Stück Sicherheit gibt. Deswegen verstehe ich die Position der Mittelstandsunion in dieser Frage überhaupt nicht.
Deutschlandradio Kultur: Was ich auch nicht so ganz verstehe, ist, dass wir im Moment hauptsächlich über Verlängerung von Arbeitslosengeld für ältere Arbeitnehmer reden doch über die eigentlich große Problemgruppe, die Langzeitarbeitslosen, diskutiert im Moment keiner. Diejenigen, egal, ob sie über 50 oder unter 50 sind, die kaum am Existenzminimum mit dem leben können, was sie einnehmen. Setzen wir im Moment die richtigen Themen auf die politische Agenda?
Laumann: Ich bin ja sehr dankbar dafür, dass der Bundestag und auch die Bundesregierung jetzt eingesehen haben, dass für einen kleineren Teil der Langzeitarbeitslosen z.B. der Kombilohn eine Alternative sein könnte. Wir haben das ja in NRW vor einem Jahr eingeführt mit den Möglichkeiten, die man in einem Land hat. Wir haben in NRW mittlerweile 3.300 solche Arbeitsplätze eingerichtet. Das ist sehr mühsam, weil Sie ja zusätzliche Beschäftigung finden müssen, weil Sie ja einer Klientel von Menschen Arbeit geben müssen, wo man sagt, die sind so nicht vermittlungsfähig. Aber es ist jetzt so. Es gibt jetzt seit Oktober ein Programm, 100.000 solcher Jobs in Deutschland zu machen. Das heißt, ein Land wie NRW muss da 20.000 bringen. Deswegen machen wir auch hier wirklich einen Schritt in die richtige Richtung.
Deutschlandradio Kultur: Und die Gewerkschaften finden das in Ordnung?
Laumann: Bei den Gewerkschaften ist das so: Die sind natürlich generell gegen Kombilöhne. Wenn man allerdings mit ihnen darüber redet, dass man es wirklich nicht vom Arbeitsplatz abhängig macht, ob man eine Kombination macht, sondern von dem betreffenden Menschen abhängig macht, das heißt also, dass der Kombilohn natürlich eine Bezuschussung für jemanden sein soll, der sonst keine Chance auf dem Arbeitsmarkt hat. Wir können nicht Leute mit Ausbildungen in den Kombilohn bringen. Ich finde, wer eine Ausbildung hat, muss auch so verdienen, da haben die Gewerkschaften völlig recht, dass man davon leben kann. Aber schauen Sie: Es gibt Menschen, die für eine Behindertenwerkstatt zu qualifiziert sind, aber – weil wir keine einfachen Arbeitsplätze mehr haben – im normalen Arbeitsmarkt nichts mehr finden. Denken Sie mal an Kinder, die aus Förderschulen kommen, das sind in so einem Land wie NRW immerhin 7.000 jedes Jahr, davon kann man vielleicht ein Viertel durch eine Gesellenprüfung bringen, der Rest hat die Talente dafür nicht. Die brauchen eine einfache Arbeit. Wenn man darüber mit den DGB-Gewerkschaften redet, habe ich immer den Eindruck, und ich habe das ja bei uns in NRW getan, dass die sagen, da haben Sie schon recht. Und wenn es auf die Gruppe beschränkt ist, die sonst wirklich nichts findet, dann sind die auch bereit solche Wege mitzugehen.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt ja auch noch eine andere Form der Lohnsubvention, eine indirekte, die zunehmend kritisiert wird. Das sind jene Menschen, die auf einem Arbeitsplatz arbeiten, aber nicht genug verdienen und dazu noch zur Sozialhilfe gehen müssen, wo gesagt wird, der Staat zahlt, dass die Unternehmer niedrig kalkulieren. Ist das hinnehmbar?
Laumann: Nein, das ist grundsätzlich nicht hinnehmbar, denn die Frage ist ja, finde ich, eine ganz andere. Wie kommt man zu einer gerechten Lohnfindung? Wenn es so ist, dass wir Bereiche haben, wo die Gewerkschaften so schwach geworden sind, dass die Unternehmen einseitig Löhne festlegen können, ist das grundsätzlich nicht in Ordnung. Denn wenn man Löhne einseitig festlegen kann, ist das keine gerechte Lohnfindung mehr. Deswegen muss man sich darüber unterhalten, wie man da zu Instrumenten kommt, das wieder besser zu machen.
Die Sozialdemokraten sagen, lass uns den staatlichen Mindestlohn machen, wie das viele andere Länder im übrigen Europa auch gemacht haben. Und wir sagen, und das ist auch meine Meinung: Zur sozialen Marktwirtschaft gehören Tarifvertragsvertragsparteien. Deswegen muss man eine Renaissance der Tarifverträge wollen. Die Große Koalition hat gesagt, dass bis März nächsten Jahres Tarifbranchen – wenn sie sich einigen – die Aufnahme in die Allgemeinverbindlichkeit machen können und dass es dann auch gemacht wird. Dazu sollte man jetzt auch ohne Wenn und Aber stehen.
Ich möchte gerne noch einmal Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften die Chance geben, diese Frage selber zu lösen. Denn das Setzen von Löhnen durch die Politik ist, glaube ich, deswegen schwierig, weil das meist nicht sachlich ist. Die PDS wird immer einen höheren Mindestlohn fordern wie die SPD. Die SPD wird immer einen höheren fordern wie die CDU, so wie ich mir das Parteienspektrum bei uns in Deutschland vorstellen kann. Und das hat ja mit der Frage, ob eine Branche nun auch solche Löhne rechtfertigen kann, nichts zu tun. Deswegen gehe ich in NRW auch den Weg, auch abgesprochen mit meinem Ministerpräsidenten, Herrn Rüttgers, dass wir überall da, wo es geht, als Land Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären. Es gibt keinen Minister in Deutschland, der so viele Tarifverträge für so viele Menschen im letzten Vierteljahr für allgemeinverbindlich erklärt hat wie ich. In NRW ist das gesamte Wachgewerbe durch einen Tarifvertrag allgemeinverbindlich erklärt, dass sich alle in der Branche dran halten müssen. Im Übrigen möchte ich sagen, dass wir dort über 7,50 Euro liegen. Wir haben in NRW, das müssen Sie sich mal vorstellen, den gigantischen Bereich der Hotellerie und der Gastronomie für allgemeinverbindlich erklärt. Da haben wir natürlich auch viele niedrige Löhne. Und da haben wir uns auch auf etwas verständigt, was bei 7,50 Euro plus liegt. Ich bin sehr daran, es bei den Bäckern und den Friseuren hinzukriegen. Wenn das noch gelingen würde, hätten wir in NRW für alle Branchen, die für niedrige Löhne anfällig sind, mit den Tarifvertragsparteien zusammen eine Lösung im unteren Lohnbereich gefunden.
Deutschlandradio Kultur: Wie machen Sie es denn bei den Briefzustellern? Da gibt es Vereinbarungen. Die Union sagt mittlerweile, nee, so wollen wir das nicht mehr haben. Es ist Thema am Sonntagabend in den Koalitionsgesprächen. Was empfehlen Sie?
Laumann: Bei den Briefzustellern sehe ich persönlich die Lage so, dass die privaten Briefzustelldienste auf lange Zeit auch überhaupt keine Tarifverträge haben wollten. Das heißt, sie haben gedacht, sie kommen dran vorbei und können machen, was sie wollen. Jetzt haben natürlich die Gewerkschaften einen Tarifvertrag mit dem größten, mit der Post gemacht. Und jetzt sagen sie, na ja, wir müssen mit dabei sein. Jetzt ist natürlich noch Folgendes passiert, dass es keine Gewerkschaft gibt, die zurzeit einen Tarifvertrag mit den Privaten machen will. Denn Gott sei Dank halten in dieser Frage die christlichen Gewerkschaften und die DGB-Gewerkschaften zusammen und sagen, nein, das ist der Tarifvertrag, so dass also auch die Rechnung der Privaten nicht aufgegangen ist. Und – auch wenn es ein wichtiges Unternehmen ist – wenn nur ein Unternehmen an dieser Festlegung des Tarifvertrages beteiligt war, aber andere, auch große, überhaupt nicht, dann kann dieser Tarifvertrag, wenn man ehrlich ist, nicht eine innerlich bindende Wirkung haben. Das können Sie vielleicht mit dem Knüppel des Gesetzes, wenn Sie dann lediglich die 50 Prozent auf die Waage bringen. Das kann ich ja gar nicht beurteilen.
Deswegen würde ich sehr raten: Wenn ich das in Berlin machen müsste, ich würde alle Leute an den Tisch holen und sagen, lasst uns mal vernünftig drüber unterhalten, dass wir zu einer vernünftigen Lohnregelung in dieser Branche kommen. Ich äußere mich nicht zu der Höhe von Löhnen, die Tarifvertragsparteien festgelegt haben. Wenn ich sage, Tarifvertragsparteien sollen es tun, dann muss man als Politiker da auch nicht immer rein gackern, wenn es um die Frage der Höhe der Löhne geht. Das Problem würde man am besten lösen, wenn die Politik eine moderierende Rolle übernehmen würde, dass man vernünftig zwischen den DGB-Gewerkschaften, also ver.di in diesem Punkt, und den großen Arbeitgeberverbänden, die ja jetzt auf der anderen Seite auch entstanden sind, eine Lösung in diesem Tarifkonflikt sucht, und zwar mit allen Arbeitgeberverbänden zusammen, damit man auch einen Tarifvertrag kriegt, der akzeptiert ist.
Deutschlandradio Kultur: Aber das Besondere an diesem Fall ist doch bei den Postdiensten, dass hier Konkurrenz über reine Lohnkonkurrenz gemacht wird. Das heißt, der private Zusteller radelt dem Postler hinterher, verdient aber viel weniger und muss am Ende Sozialhilfe beantragen. Das ist das Bild, so wie es scharf in der Öffentlichkeit steht. Und wenn eine Branche einen anderen nur über die Kosten auf dem Rücken seiner Arbeitnehmer herausfordert, dann ist das doch etwas ganz anderes als in einer anderen Branche, wo es auch um Innovation, geht, wo es um neue Dienste und neue Techniken geht.
Laumann: Da gebe ich Ihnen ja völlig recht, dass das eben in Teilen dieser Branche eben nicht gewährleistet ist. Auf der anderen Seite kann man aber auch nicht sagen, in der Branche muss jetzt über den Tarifvertrag ein Anbieter geschützt werden, dass er seine hohen Marktanteile, die er aus Zeiten eines Monopols bekommen hat, einfach immer behalten kann. Aber der Wettbewerb ist aus Arbeitnehmersicht eben nur dann akzeptabel, wenn er nicht über die Löhne passiert.
Deutschlandradio Kultur: In dem Zusammenhang forderte gestern der DGB, dass das Mindestarbeitsbedingungsgesetz von 1952 aktiviert werden soll, damit diese Verfahren beschleunigt werden können, wenn wir über Mindestlöhne diskutieren. Macht es Sinn, mit diesen Instrumenten neu zu arbeiten? Oder wollen Sie es einfach, wie Sie sagen, in so einem Runden-Tisch-Gespräch lösen?
Laumann: Man sollte diese Verhandlungen führen. Das Gesetz, was Sie angesprochen haben, haben wir nie gebraucht. Dieses Gesetz muss natürlich reformiert werden, wenn man es zukünftig gebrauchen will. Darüber gibt es ja auch in der Großen Koalition Vereinbarungen, dass das gemacht werden soll. Und ich sage das hier ganz klar: Die Arbeitgeberverbände haben sich ja auch in der Frage, was Allgemeinverbindlichkeit von Mindestlöhnen angeht, im letzten Jahr in Deutschland bewegt. Mir ist völlig klar, dass nicht ein Verband, egal wie der heißt, alles torpedieren können darf, wie das in der Vergangenheit ging. Schön ist es, wenn sie es sachlich machen, wie sie es jetzt zurzeit wieder tun, aber ich finde, am Ende muss man auch, wenn einer aus fundamentalistischen Gründen sagt, wir wollen über eine Frage überhaupt nicht miteinander reden, so finde ich, muss man auch ein Instrument haben – da gebe ich dem DGB recht –, dass man es dann auch gegen die entscheiden kann.
Deutschlandradio Kultur: Wenn die Zahlen stimmen, sind es über 300.000 Vollzeitbeschäftigte in NRW, die bei Löhnen um 7,50 Euro pro Stunde arbeiten. Da tickt ja eigentlich eine Zeitbombe. Wenn diese Leute das 20, 30, 40 Lebensjahre machen und dann irgendwann Rente bekommen, werden diese Renten so niedrig sein, dass sie wahrscheinlich zum Sozialamt gehen müssen. Wie kann man aus diesem Teufelskreis ausscheren?
Laumann: Wenn man sich den Arbeitsmarkt in Deutschland anschaut und damit natürlich auch in NRW, dann gibt es verschiedene Veränderungen, die gewaltig sind. Aber eine ist eben, dass Deutschland mittlerweile wieder einen Niedriglohnbereich hat. Darauf muss sich Sozialpolitik einstellen. Wenn jemand 7,50 Euro verdient, dann braucht er ungefähr 47 Jahre, um eine Rente nach der jetzigen Rentenformel zu haben, die oberhalb von 600 Euro liegt. Dann darf er noch nicht mal einen Tag arbeitslos werden. Das macht deutlich, dass da eine Frage auf uns zukommt, dass Menschen im Niedriglohnbereich später auch Altersarmut haben werden. Zurzeit ist das ja in der Öffentlichkeit überhaupt kein Thema, weil die jetzt Alten fast alle eine Rente oberhalb der Armutsgrenze haben. Altersarmut ist Gott sei Dank bei uns kein großes Thema in der Gesellschaft. Deswegen muss man sich in dieser Frage übers Rentenmodell unterhalten.
Deutschlandradio Kultur: Ist es so, dass es kostenneutral ausgehen muss, oder ist schon heute absehbar, dass man sagen muss, nein, da muss Vater Staat irgendwann ran, wir können das gar nicht alles lösen?
Laumann: Wir können das ja nicht den Jungen aufbürden, wir können es auch nicht umverteilen. Man muss dann schauen, wie man das macht. Schauen Sie, wir haben früher in der Rentenversicherung eine Regelung gehabt, dass man für Menschen, die sehr viele Jahre gearbeitet und unterdurchschnittlich verdient hatten, die Renten aufgestockt hat. Das war die sogenannte "Rente nach Mindesteinkommen", die bis 1992 gegolten hat und von der natürlich jetzt die Älteren, die jetzt in Rente sind und wenig verdient haben, profitieren. Ich persönlich bin der Meinung, wenn man jetzt wieder einen Niedriglohnbereich hat, genauso wie wir den ja in den 50er und 60er Jahren auch hatten, dann muss die Politik darauf reagieren und darf dieses nicht ignorieren. Die Politik hat darauf ja auch reagiert, indem sie die Riesterrente in der Förderung für kleine Einkommen besonders gut ausgestaltet hat. Das heißt, der Wille ist ja da. Das Problem ist nur, dass all das, was wir bis jetzt wissen, in diesen Einkommensbereichen liegt, wo Riesterrente nicht stattfindet, weil der Eigenanteil gar nicht aufgebracht wird. Deswegen ist es doch richtig darüber nachzudenken, ob man dann diesen Teil der Sicherung nicht in das Rentenrecht reinbringt. Von daher, meine ich, ist das mit gutem Willen zu machen und würde auch nicht bedeuten, dass man dadurch das Koordinatensystem der Bundesrepublik Deutschland verändert.
Deutschlandradio Kultur: Aber Geld kosten würde es schon?
Laumann: Ja gut, Geld kostet es auch, wenn sie heute alle Riesterrente machen würden, was sie rein theoretisch könnten. Außerdem würde es auch Geld kosten, wenn die zu wenig Rente haben. Dann werden sie nämlich alle in der kommunalen Grundsicherung sein. Dann werden es halt die kommunalen Haushalte finanzieren. Wir haben ja auch ein bestimmtes Bild vom Bürger. Wir wollen doch nicht, dass der Bürger, der ein Leben lang geleistet hat, am Ende seines Lebens abhängig vom Staat ist. Das Bürgerbild der CDU ist immer, dass der Bürger dem Staat in gleicher Augenhöhe gegenübertritt. Und natürlich ist ein Mensch, der eine Leistung erhält, die durch Beiträge begründet ist, eher auf der gleichen Augenhöhe mit dem Staat. Wenn ein Staat sagt: Was fährst du für ein Auto, wie groß ist deine Wohnung? Wenn das alles aus unserer Sicht ist, dann geben wir dir Geld.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben noch zwei Jahre in der Großen Koalition in Berlin Zeit. Was würden Sie sich wünschen, was Sie gemeinsam mit Franz Müntefering als CDA noch durchsetzen können, wenn man das kurz formulieren kann?
Laumann: Ich will ja nichts gemeinsam mit Franz Müntefering durchsetzen, sondern NRW will durchaus Anstöße geben. Wir müssen sehen, dass wir weiter dran bleiben, dass wir innovativ sind, dass wir von der Struktur her gut aufgestellt sind. Wir brauchen weiterhin eine Zunahme der Arbeitsplätze. Der Staat muss bescheidener werden, aber er darf dabei auf der anderen Seite nicht vergessen, dass es auch Leute gibt, die vorübergehend den Staat brauchen, weil sie in einer schweren Lebenssituation sind.
Und dann gibt es den Punkt, der mich richtig umtreibt: Wie kommen Kinder aus Haushalten, die ärmer sind, in unserem Schulsystem klar? Können die Kinder von z.B. Hartz-IV-Eltern im vollen Umfang an den Angeboten von Ganztagsschulen teilnehmen? Ich glaube, dass wir alles daran setzen müssen, dass die Kinder auch aus ärmeren Familien eine umfassende Teilhabe am Bildungssystem in Deutschland haben. Die Wahrheit ist: Nur über eine gute Ausbildung kann man den Teufelskreis durchdringen. Menschen, die eine akademische Ausbildung haben, sind nur zu 4 Prozent arbeitslos. Bei Leuten, die eine Ausbildung haben, die wir Gesellenbrief, Facharbeiterbrief nennen, liegt die Arbeitslosigkeit zurzeit unter 8 Prozent. Und bei Menschen, die keine Ausbildung haben, liegt sie zwischen 23, 24, 25 Prozent. Das heißt, fast jeder Vierte ist arbeitslos. Da haben wir im Übrigen auch immer das Problem, dass die immer wieder arbeitslos werden. Diese Situation kann ich ja nur wirklich nachhaltig ändern, wenn ich auch dafür sorge, dass die Kinder, die aus diesen Familien kommen, eine wirkliche Chance haben, aus ihren Talenten in den Schulen etwas zu machen. Da waren wir bislang schlecht.
Deutschlandradio Kultur: In vier Wochen findet der CDU-Grundsatzparteitag in Hannover statt. Welche Signale müssen und sollen von dem Parteitag der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands ausgehen?
Laumann: Ich finde, dass von diesem Parteitag ausgehen muss, dass die CDU weiterhin eine Volkspartei bleiben will, das heißt, dass sie sich auch politisch so breit aufstellt, dass sie in der Lage ist, über 45 Prozent der Stimmen in Deutschland zu kriegen. Denn wenn man deutlich unter 40 liegt, muss man sich ja die Frage stellen: Ist man überhaupt noch Volkspartei? Die CDU muss auch Arbeitnehmerpartei sein, um Volkspartei sein zu können.
Deutschlandradio Kultur: Herr Laumann, wir danken für das Gespräch.
Laumann: Dankeschön.
Karl-Josef Laumann: Ich glaube, dass die Kanzlerin auch in der Vergangenheit die Richtlinie der Politik bestimmt hat. Natürlich bin ich gespannt, was beim Koalitionsausschuss am Sonntagabend raus kommt, denn wir reden ja immerhin über wichtige Fragen für Hunderttausende von Menschen in diesem Land. Es ist natürlich so, dass auch in der letzten Zeit einiges an Entscheidungen aufgeschoben worden ist. Das hängt nun mal daran, dass man Parteitage von Koalitionspartnern auch respektieren muss und dass man nach Parteitagen eben Klärung herbeiführen muss.
Deutschlandradio Kultur: Herr Ramsauer von der CSU sagt, es solle möglichst wenig herauskommen. Ist das auch eine Watsche von Berlin aus nach Düsseldorf?
Laumann: Wissen Sie, ich bin eigentlich sehr zufrieden. Wenn man bedenkt, dass wir – Rüttgers und ich – den Kampf angefangen haben, um bei Hartz IV in einigen Bereichen nachzujustieren, und wie damals so die Stimmung war, dann ist es doch ein Fortschritt, dass auch die zweite große Volkspartei in Deutschland jetzt auf unseren Kurs eingeschwenkt ist. Deswegen bin ich mir ganz sicher, weil wir ja auch in der CDU klare Parteitagsbeschlüsse haben, dass hier auch eine Lösung gefunden wird, die sehr in die Richtung dessen geht, was wir in NRW seit längerer Zeit fordern.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt haben Sie vielleicht den großen Vorteil, dass Sie im Moment nicht in Berlin sind, sondern in NRW Politik machen können, weil sich die Stimmung in Berlin in den letzten Wochen etwas verändert hat. Zumindest spricht Franz Müntefering am Freitag von einem "Gegacker in der Union", das endlich mal aufhören müsse. Haben Sie das Gefühl, dass nach der Hälfte der gemeinsamen Regierungsarbeit der Großen Koalition so langsam die Luft raus ist?
Laumann: Ich glaube erst einmal, dass es so ist: Desto mehr wir in Berlin auf die Bundestagswahl 2009 zugehen, desto gereizter wird das Klima in der Koalition sein. Denn niemand will ja aus heutiger Sicht diese Große Koalition nach 2009 fortsetzen. Große Koalitionen dürfen ja im Übrigen auch keine dauerhaften Einrichtungen in einem Land sein.
Deutschlandradio Kultur: Der Ton ist anders geworden.
Laumann: Ja gut, aber das ist ja normal, dass sich das jetzt verschärft. Der SPD-Parteitag war ja – denke ich – aus Sicht der SPD auch dafür da, das Profil der SPD mit Blick auf eine kommende Bundestagswahl zu schärfen. Die CDU wird das Gleiche im Dezember für unsere Partei tun. Das heißt, wir werden ja mit sehr unterschiedlichen Politikkonzepten in Teilbereichen auch in den Wahlkampf ziehen. Ich hoffe dennoch, dass die Koalition zu Entscheidungen kommt und dass man diese parteipolitische Frage und die Frage in der Koalition auch ein stückweit voneinander trennt. Denn die Wahrheit ist ja, dass sich die Ergebnisse der Großen Koalition durchaus sehen lassen können. Wir sind nah an ausgeglichenen Haushalten. Wer hätte das mal für möglich gehalten? Die Wirtschaft ist Gott sei Dank angesprungen, was uns natürlich auch bei den Sozialversicherungen und auch beim Staatshaushalt enorm hilft. Dass nächstes Jahr überhaupt eine Rentenerhöhung möglich wird, liegt doch nur daran, dass wir die Arbeitslosenversicherungsbeiträge senken können, weil dadurch die Nettolöhne erhöht worden sind. Ich finde, da wird eigentlich auch viel zu wenig in der Öffentlichkeit drüber geredet, dass dies doch gigantische Entlastungen für Wirtschaft und für Arbeitnehmer sind.
Deutschlandradio Kultur: Aber aus Ihrer Sicht, aus der arbeitsmarktpolitischen Sicht, aus der Sicht der CDA, der Christdemokratischen Arbeitnehmerschaft, laufen doch die Konfliktlinien nicht nur zwischen SPD und CDU als Koalitionsstreit, sondern auch durch die Partei. Mit wem haben Sie derzeit größere Schwierigkeiten, mit der SPD oder mit Ihren eigenen Parteifreunden?
Laumann: Ich bin schon der Meinung, dass doch auch sehr deutlich wird, dass sich die CDU an den Dresdner Parteitagsbeschluss, was die Verlängerung des Arbeitslosengeld I angeht, hält. Denn sowohl die Bundeskanzlerin als unsere Parteivorsitzende sagt, selbstverständlich gibt es jetzt hier eine Lösung, weil der andere Koalitionspartner auf dieses Thema eingeschwenkt ist. Es muss kostenneutral sein. Das haben wir damals ja auch verabredet. Der Generalsekretär Pofalla wird nicht müde, auch diese Position darzustellen. Dass es immer noch den einen oder anderen gibt, der den Dresdner Parteitagsbeschluss nicht gewollt hat, ist wahr. Wenn er jetzt nachkartet, soll er es tun. Gewinnen werden wir, denn Parteitagsbeschlüsse werden von Parteiführungen umgesetzt. Deswegen weiß ich auch, dass sehr viele in der CDU wissen, dass in der CDU die drei Flügel – sozial, konservativ und liberal – zusammengeführt werden müssen. Im Übrigen, für das Grundsatzprogramm ist es ja auch sehr gut gelungen.
Deutschlandradio Kultur: Aber was die anderen verlangen, tut doch weh. Zum Beispiel die Mittelstandsvereinigung sagt: Wenn wir das so machen mit dem Arbeitslosengeld I für Ältere, dann wollen wir auf der anderen Seite einen lockeren Kündigungsschutz.
Laumann: Es ist ja so: Dass die Mittelstandsvereinigung dieses fordert, ist ja ihre Sache. Wenn wir die beiden Landtagswahlen nicht verlieren wollen, sollten wir schön vom Kündigungsschutz wegbleiben. Die Arbeitnehmer in Deutschland haben panische Angst arbeitslos zu werden. Und zwar liegt das daran, weil man in Deutschland eine Arbeitslosenversicherung hat, die den Menschen von heute auf morgen ein Drittel weniger Lohn zahlt, wie man vorher hatte. Schauen Sie sich die normalen Haushalte an. Die haben noch nicht ein Drittel ihres Nettoeinkommens über, wenn sie Miete und alles andere bezahlt haben, was sie bezahlen müssen.
Wenn man mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt haben will, muss man dieses auf der anderen Seite mit Sicherheit verbinden. Man kann nicht beides machen. Man kann nicht das Arbeitsrecht liberalisieren und flexibilisieren und gleichzeitig die Arbeitslosenversicherung ständig verschlechtern, wie es in der Vergangenheit gemacht worden ist. Menschen brauchen, glaube ich, um eine Familie zu gründen, um auch Verantwortung für Familie zu übernehmen, auch ein Stück Sicherheit und Planbarkeit ihres Lebens. Das ist natürlich bei schmaleren Budgets noch viel wichtiger wie bei denjenigen, die ein Einkommen haben, die noch erhebliche Rücklagen bilden können. Aber wir müssen doch sehen, dass Deutschland mittlerweile schon einen Niedriglohnsektor hat und die Menschen schon genug damit zu tun haben, ihre Kosten vom Lohn zu bezahlen. Da sind keine großen Rücklagen. Desto wichtiger ist für diese Menschen eine vernünftige Arbeitslosenversicherung.
Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir noch mal bei dem Arbeitslosengeld, weil da die Diskussion im Moment über die Bezugsdauer für ältere Arbeitnehmer heftig geführt wird. Franz Müntefering musste mit seinen Vorstellungen bei der SPD zurückstecken. Wie sehen konkret die Vorschläge der CDA aus, was ältere Arbeitnehmer angeht?
Laumann: Ich persönlich bin erst einmal der Meinung, dass wir immer, wenn wir über die Leistung einer Arbeitslosenversicherung reden, uns ganz ruhig einfach die Arbeitsmarktlage anschauen müssen. Die Arbeitsmarktlage ist in Deutschland so, dass zurzeit ein Mensch zwischen 50 und 54 im Schnitt 15 Monate, zwischen 55 und 60 19 Monate braucht, um wieder einen Job zu finden. Bei den jüngeren liegen wir bei vier Monaten. Das heißt, wenn du in einem höheren Alter deine Arbeit verlierst, hast du es viel schwerer eine wiederzufinden, als wenn du jünger bist. Ich bin ganz entschieden der Meinung, dass man dieses auch in den Leistungen einer Arbeitslosenversicherung berücksichtigen muss.
Hochinteressant ist auch folgende Situation: Wenn Müntefering immer sagt, es sind 140.000 Ältere, über 50-Jährige in Arbeit gekommen, will ich nur ganz bescheiden mal sagen, dass davon nur 40.000 in Erwerbsarbeit gekommen sind. Die Abgänge in die Nichterwerbstätigkeit waren 67.000. Das heißt, die Ergebnisse der Bundesagentur für Arbeit, Ältere wirklich in einen Job zu vermitteln, sind ganz schmal.
Deutschlandradio Kultur: Sie müssten doch eigentlich sagen, macht Tempo bei den Älteren in der Arbeitsvermittlung!
Laumann: Selbstverständlich können wir Tempo bei den Älteren machen, aber wenn das zurzeit bei den Unternehmen so ist, dass man Ältere nicht einstellt, dann kann die Arbeitsverwaltung Tempo machen wie sie will. Wir haben ja viele Programme, 50 Plus u.ä., wo erhebliche Mittel rein gesteckt werden, um Ältere zu vermitteln, wo es ja auch gute Lohnkostenzuschüsse gibt, um Ältere in Arbeit zu bringen. Trotzdem haben wir die Situation, die ich gerade dargestellt habe. Es ist so, dass viele Unternehmen nach wie vor eine Vorstellung haben, dass man, wenn man einen Jüngeren kriegen kann, den dem Älteren – älter fängt da schon oft bei Mitte 40 an – vorzieht. Und da wir natürlich auch in vielen Bereichen viele qualifizierte jüngere Leute hatten, ist natürlich klar, dass die eher Arbeit gefunden haben.
Nur die Politik darf jetzt eins nicht machen: Wir dürfen nicht den Wunsch der Arbeitgeberverbände, über Zuwanderung von Facharbeitskräften nachgeben, solange Ältere – 45 ist ja nicht ein Begriff von "alt", jedenfalls so wie ich mir das vorstelle nicht – keine Einstellungschancen haben. Ich finde, die Arbeitgeber haben die Verpflichtung, den hier lebenden Menschen auch eine Arbeit zu geben, bevor sie über Lockerungen bei Zuzügen von Facharbeitskräften Anforderungen an die Politik stellen können. Deswegen muss die Politik auch in diesen Bereichen, bis auf wenige Ausnahmen, wenige Spezialisten, zurzeit sehr entschlossen bleiben, dass wir den Aufschwung, den wir haben, auch für die Menschen, die älter sind und in diesem Land leben, für Arbeitsplätze stärker nutzen können.
Deutschlandradio Kultur: Was kann man noch für die älteren Arbeitnehmer tun, damit man sie in Arbeit bringt? Sie haben gesagt, man kann das eine machen, man kann ihnen ein längeres Arbeitslosengeld zahlen und ihnen Zeit bei der Vermittlung lassen. Und man kann natürlich auch etwas für ihre Fortbildung tun.
Laumann: Ich bin ja dafür, dass man eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes durchaus auch an Qualifizierung knüpft, und zwar dann immer am Anfang der Arbeitslosigkeit, nicht am Ende. Wenn heute eine größere Entlassung in einem Betrieb ansteht, dann machen wir in der Regel eine Transfergesellschaft. Eine Transfergesellschaft funktioniert so, dass in der Regel der Arbeitgeber aus Sozialplanmitteln die Sozialversicherungsbeiträge zahlt, die Bundesagentur für Arbeit ein Unterhaltsgeld, das genauso hoch ist wie das Arbeitslosengeld, und die Qualifizierung. Und wir aus den Ländern zahlen in der Regel die Overheadkosten einer solchen Transfergesellschaft. Das ist – ich will nicht sagen – "täglich", aber öfter die Situation, dass wir so etwas organisieren.
Aber das Schöne an Transfergesellschaften ist für die Arbeitnehmer: Solange sie in dieser Transfergesellschaft sind, zählt nicht ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld. Das heißt, immer, wenn die Transfergesellschaft zu Ende ist, fängt das richtige Arbeitslosengeld an auch in den Monatsfristen zu zählen.
Wie sieht es jetzt für Arbeitnehmer aus, die aus Kleinbetrieben entlassen werden? Für die zählt vom ersten Tag an, in der Regel nach zwölf Monaten, bist du bei Hartz IV. Und Hartz IV ist natürlich für Menschen, die gut ausgebildet sind, die leistungsfähig waren, die sich unter Umständen auch etwas zurückgelegt haben, z.B. fürs Alter, eine Katastrophe, weil man ja eben die Rückstellungen fürs Alter auflösen muss, bevor man eine bedarfsabhängige Leistung bekommt. Deswegen, meine ich, ist diese Sache nicht mehr als recht und billig. Was wir für Großbetriebe ohnehin bei Entlassungen in Transfergesellschaften tun, tun wir jetzt auch für kleinere. Und dass die Mittelstandsunion ausgerechnet dagegen ist, wo es jetzt um die Absicherung der Arbeitnehmer auch aus kleineren Betrieben geht? Also, wenn ich als Mittelstandsunion Flexibilisierung des Arbeitsrechtes fordere, ja Leute, das kann ja nicht heißen, wir schmeißen die Leute raus und anschließend sind sie bei Hartz IV. Sondern das muss doch heißen, dass man ihnen auch ein Stück Sicherheit gibt. Deswegen verstehe ich die Position der Mittelstandsunion in dieser Frage überhaupt nicht.
Deutschlandradio Kultur: Was ich auch nicht so ganz verstehe, ist, dass wir im Moment hauptsächlich über Verlängerung von Arbeitslosengeld für ältere Arbeitnehmer reden doch über die eigentlich große Problemgruppe, die Langzeitarbeitslosen, diskutiert im Moment keiner. Diejenigen, egal, ob sie über 50 oder unter 50 sind, die kaum am Existenzminimum mit dem leben können, was sie einnehmen. Setzen wir im Moment die richtigen Themen auf die politische Agenda?
Laumann: Ich bin ja sehr dankbar dafür, dass der Bundestag und auch die Bundesregierung jetzt eingesehen haben, dass für einen kleineren Teil der Langzeitarbeitslosen z.B. der Kombilohn eine Alternative sein könnte. Wir haben das ja in NRW vor einem Jahr eingeführt mit den Möglichkeiten, die man in einem Land hat. Wir haben in NRW mittlerweile 3.300 solche Arbeitsplätze eingerichtet. Das ist sehr mühsam, weil Sie ja zusätzliche Beschäftigung finden müssen, weil Sie ja einer Klientel von Menschen Arbeit geben müssen, wo man sagt, die sind so nicht vermittlungsfähig. Aber es ist jetzt so. Es gibt jetzt seit Oktober ein Programm, 100.000 solcher Jobs in Deutschland zu machen. Das heißt, ein Land wie NRW muss da 20.000 bringen. Deswegen machen wir auch hier wirklich einen Schritt in die richtige Richtung.
Deutschlandradio Kultur: Und die Gewerkschaften finden das in Ordnung?
Laumann: Bei den Gewerkschaften ist das so: Die sind natürlich generell gegen Kombilöhne. Wenn man allerdings mit ihnen darüber redet, dass man es wirklich nicht vom Arbeitsplatz abhängig macht, ob man eine Kombination macht, sondern von dem betreffenden Menschen abhängig macht, das heißt also, dass der Kombilohn natürlich eine Bezuschussung für jemanden sein soll, der sonst keine Chance auf dem Arbeitsmarkt hat. Wir können nicht Leute mit Ausbildungen in den Kombilohn bringen. Ich finde, wer eine Ausbildung hat, muss auch so verdienen, da haben die Gewerkschaften völlig recht, dass man davon leben kann. Aber schauen Sie: Es gibt Menschen, die für eine Behindertenwerkstatt zu qualifiziert sind, aber – weil wir keine einfachen Arbeitsplätze mehr haben – im normalen Arbeitsmarkt nichts mehr finden. Denken Sie mal an Kinder, die aus Förderschulen kommen, das sind in so einem Land wie NRW immerhin 7.000 jedes Jahr, davon kann man vielleicht ein Viertel durch eine Gesellenprüfung bringen, der Rest hat die Talente dafür nicht. Die brauchen eine einfache Arbeit. Wenn man darüber mit den DGB-Gewerkschaften redet, habe ich immer den Eindruck, und ich habe das ja bei uns in NRW getan, dass die sagen, da haben Sie schon recht. Und wenn es auf die Gruppe beschränkt ist, die sonst wirklich nichts findet, dann sind die auch bereit solche Wege mitzugehen.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt ja auch noch eine andere Form der Lohnsubvention, eine indirekte, die zunehmend kritisiert wird. Das sind jene Menschen, die auf einem Arbeitsplatz arbeiten, aber nicht genug verdienen und dazu noch zur Sozialhilfe gehen müssen, wo gesagt wird, der Staat zahlt, dass die Unternehmer niedrig kalkulieren. Ist das hinnehmbar?
Laumann: Nein, das ist grundsätzlich nicht hinnehmbar, denn die Frage ist ja, finde ich, eine ganz andere. Wie kommt man zu einer gerechten Lohnfindung? Wenn es so ist, dass wir Bereiche haben, wo die Gewerkschaften so schwach geworden sind, dass die Unternehmen einseitig Löhne festlegen können, ist das grundsätzlich nicht in Ordnung. Denn wenn man Löhne einseitig festlegen kann, ist das keine gerechte Lohnfindung mehr. Deswegen muss man sich darüber unterhalten, wie man da zu Instrumenten kommt, das wieder besser zu machen.
Die Sozialdemokraten sagen, lass uns den staatlichen Mindestlohn machen, wie das viele andere Länder im übrigen Europa auch gemacht haben. Und wir sagen, und das ist auch meine Meinung: Zur sozialen Marktwirtschaft gehören Tarifvertragsvertragsparteien. Deswegen muss man eine Renaissance der Tarifverträge wollen. Die Große Koalition hat gesagt, dass bis März nächsten Jahres Tarifbranchen – wenn sie sich einigen – die Aufnahme in die Allgemeinverbindlichkeit machen können und dass es dann auch gemacht wird. Dazu sollte man jetzt auch ohne Wenn und Aber stehen.
Ich möchte gerne noch einmal Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften die Chance geben, diese Frage selber zu lösen. Denn das Setzen von Löhnen durch die Politik ist, glaube ich, deswegen schwierig, weil das meist nicht sachlich ist. Die PDS wird immer einen höheren Mindestlohn fordern wie die SPD. Die SPD wird immer einen höheren fordern wie die CDU, so wie ich mir das Parteienspektrum bei uns in Deutschland vorstellen kann. Und das hat ja mit der Frage, ob eine Branche nun auch solche Löhne rechtfertigen kann, nichts zu tun. Deswegen gehe ich in NRW auch den Weg, auch abgesprochen mit meinem Ministerpräsidenten, Herrn Rüttgers, dass wir überall da, wo es geht, als Land Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären. Es gibt keinen Minister in Deutschland, der so viele Tarifverträge für so viele Menschen im letzten Vierteljahr für allgemeinverbindlich erklärt hat wie ich. In NRW ist das gesamte Wachgewerbe durch einen Tarifvertrag allgemeinverbindlich erklärt, dass sich alle in der Branche dran halten müssen. Im Übrigen möchte ich sagen, dass wir dort über 7,50 Euro liegen. Wir haben in NRW, das müssen Sie sich mal vorstellen, den gigantischen Bereich der Hotellerie und der Gastronomie für allgemeinverbindlich erklärt. Da haben wir natürlich auch viele niedrige Löhne. Und da haben wir uns auch auf etwas verständigt, was bei 7,50 Euro plus liegt. Ich bin sehr daran, es bei den Bäckern und den Friseuren hinzukriegen. Wenn das noch gelingen würde, hätten wir in NRW für alle Branchen, die für niedrige Löhne anfällig sind, mit den Tarifvertragsparteien zusammen eine Lösung im unteren Lohnbereich gefunden.
Deutschlandradio Kultur: Wie machen Sie es denn bei den Briefzustellern? Da gibt es Vereinbarungen. Die Union sagt mittlerweile, nee, so wollen wir das nicht mehr haben. Es ist Thema am Sonntagabend in den Koalitionsgesprächen. Was empfehlen Sie?
Laumann: Bei den Briefzustellern sehe ich persönlich die Lage so, dass die privaten Briefzustelldienste auf lange Zeit auch überhaupt keine Tarifverträge haben wollten. Das heißt, sie haben gedacht, sie kommen dran vorbei und können machen, was sie wollen. Jetzt haben natürlich die Gewerkschaften einen Tarifvertrag mit dem größten, mit der Post gemacht. Und jetzt sagen sie, na ja, wir müssen mit dabei sein. Jetzt ist natürlich noch Folgendes passiert, dass es keine Gewerkschaft gibt, die zurzeit einen Tarifvertrag mit den Privaten machen will. Denn Gott sei Dank halten in dieser Frage die christlichen Gewerkschaften und die DGB-Gewerkschaften zusammen und sagen, nein, das ist der Tarifvertrag, so dass also auch die Rechnung der Privaten nicht aufgegangen ist. Und – auch wenn es ein wichtiges Unternehmen ist – wenn nur ein Unternehmen an dieser Festlegung des Tarifvertrages beteiligt war, aber andere, auch große, überhaupt nicht, dann kann dieser Tarifvertrag, wenn man ehrlich ist, nicht eine innerlich bindende Wirkung haben. Das können Sie vielleicht mit dem Knüppel des Gesetzes, wenn Sie dann lediglich die 50 Prozent auf die Waage bringen. Das kann ich ja gar nicht beurteilen.
Deswegen würde ich sehr raten: Wenn ich das in Berlin machen müsste, ich würde alle Leute an den Tisch holen und sagen, lasst uns mal vernünftig drüber unterhalten, dass wir zu einer vernünftigen Lohnregelung in dieser Branche kommen. Ich äußere mich nicht zu der Höhe von Löhnen, die Tarifvertragsparteien festgelegt haben. Wenn ich sage, Tarifvertragsparteien sollen es tun, dann muss man als Politiker da auch nicht immer rein gackern, wenn es um die Frage der Höhe der Löhne geht. Das Problem würde man am besten lösen, wenn die Politik eine moderierende Rolle übernehmen würde, dass man vernünftig zwischen den DGB-Gewerkschaften, also ver.di in diesem Punkt, und den großen Arbeitgeberverbänden, die ja jetzt auf der anderen Seite auch entstanden sind, eine Lösung in diesem Tarifkonflikt sucht, und zwar mit allen Arbeitgeberverbänden zusammen, damit man auch einen Tarifvertrag kriegt, der akzeptiert ist.
Deutschlandradio Kultur: Aber das Besondere an diesem Fall ist doch bei den Postdiensten, dass hier Konkurrenz über reine Lohnkonkurrenz gemacht wird. Das heißt, der private Zusteller radelt dem Postler hinterher, verdient aber viel weniger und muss am Ende Sozialhilfe beantragen. Das ist das Bild, so wie es scharf in der Öffentlichkeit steht. Und wenn eine Branche einen anderen nur über die Kosten auf dem Rücken seiner Arbeitnehmer herausfordert, dann ist das doch etwas ganz anderes als in einer anderen Branche, wo es auch um Innovation, geht, wo es um neue Dienste und neue Techniken geht.
Laumann: Da gebe ich Ihnen ja völlig recht, dass das eben in Teilen dieser Branche eben nicht gewährleistet ist. Auf der anderen Seite kann man aber auch nicht sagen, in der Branche muss jetzt über den Tarifvertrag ein Anbieter geschützt werden, dass er seine hohen Marktanteile, die er aus Zeiten eines Monopols bekommen hat, einfach immer behalten kann. Aber der Wettbewerb ist aus Arbeitnehmersicht eben nur dann akzeptabel, wenn er nicht über die Löhne passiert.
Deutschlandradio Kultur: In dem Zusammenhang forderte gestern der DGB, dass das Mindestarbeitsbedingungsgesetz von 1952 aktiviert werden soll, damit diese Verfahren beschleunigt werden können, wenn wir über Mindestlöhne diskutieren. Macht es Sinn, mit diesen Instrumenten neu zu arbeiten? Oder wollen Sie es einfach, wie Sie sagen, in so einem Runden-Tisch-Gespräch lösen?
Laumann: Man sollte diese Verhandlungen führen. Das Gesetz, was Sie angesprochen haben, haben wir nie gebraucht. Dieses Gesetz muss natürlich reformiert werden, wenn man es zukünftig gebrauchen will. Darüber gibt es ja auch in der Großen Koalition Vereinbarungen, dass das gemacht werden soll. Und ich sage das hier ganz klar: Die Arbeitgeberverbände haben sich ja auch in der Frage, was Allgemeinverbindlichkeit von Mindestlöhnen angeht, im letzten Jahr in Deutschland bewegt. Mir ist völlig klar, dass nicht ein Verband, egal wie der heißt, alles torpedieren können darf, wie das in der Vergangenheit ging. Schön ist es, wenn sie es sachlich machen, wie sie es jetzt zurzeit wieder tun, aber ich finde, am Ende muss man auch, wenn einer aus fundamentalistischen Gründen sagt, wir wollen über eine Frage überhaupt nicht miteinander reden, so finde ich, muss man auch ein Instrument haben – da gebe ich dem DGB recht –, dass man es dann auch gegen die entscheiden kann.
Deutschlandradio Kultur: Wenn die Zahlen stimmen, sind es über 300.000 Vollzeitbeschäftigte in NRW, die bei Löhnen um 7,50 Euro pro Stunde arbeiten. Da tickt ja eigentlich eine Zeitbombe. Wenn diese Leute das 20, 30, 40 Lebensjahre machen und dann irgendwann Rente bekommen, werden diese Renten so niedrig sein, dass sie wahrscheinlich zum Sozialamt gehen müssen. Wie kann man aus diesem Teufelskreis ausscheren?
Laumann: Wenn man sich den Arbeitsmarkt in Deutschland anschaut und damit natürlich auch in NRW, dann gibt es verschiedene Veränderungen, die gewaltig sind. Aber eine ist eben, dass Deutschland mittlerweile wieder einen Niedriglohnbereich hat. Darauf muss sich Sozialpolitik einstellen. Wenn jemand 7,50 Euro verdient, dann braucht er ungefähr 47 Jahre, um eine Rente nach der jetzigen Rentenformel zu haben, die oberhalb von 600 Euro liegt. Dann darf er noch nicht mal einen Tag arbeitslos werden. Das macht deutlich, dass da eine Frage auf uns zukommt, dass Menschen im Niedriglohnbereich später auch Altersarmut haben werden. Zurzeit ist das ja in der Öffentlichkeit überhaupt kein Thema, weil die jetzt Alten fast alle eine Rente oberhalb der Armutsgrenze haben. Altersarmut ist Gott sei Dank bei uns kein großes Thema in der Gesellschaft. Deswegen muss man sich in dieser Frage übers Rentenmodell unterhalten.
Deutschlandradio Kultur: Ist es so, dass es kostenneutral ausgehen muss, oder ist schon heute absehbar, dass man sagen muss, nein, da muss Vater Staat irgendwann ran, wir können das gar nicht alles lösen?
Laumann: Wir können das ja nicht den Jungen aufbürden, wir können es auch nicht umverteilen. Man muss dann schauen, wie man das macht. Schauen Sie, wir haben früher in der Rentenversicherung eine Regelung gehabt, dass man für Menschen, die sehr viele Jahre gearbeitet und unterdurchschnittlich verdient hatten, die Renten aufgestockt hat. Das war die sogenannte "Rente nach Mindesteinkommen", die bis 1992 gegolten hat und von der natürlich jetzt die Älteren, die jetzt in Rente sind und wenig verdient haben, profitieren. Ich persönlich bin der Meinung, wenn man jetzt wieder einen Niedriglohnbereich hat, genauso wie wir den ja in den 50er und 60er Jahren auch hatten, dann muss die Politik darauf reagieren und darf dieses nicht ignorieren. Die Politik hat darauf ja auch reagiert, indem sie die Riesterrente in der Förderung für kleine Einkommen besonders gut ausgestaltet hat. Das heißt, der Wille ist ja da. Das Problem ist nur, dass all das, was wir bis jetzt wissen, in diesen Einkommensbereichen liegt, wo Riesterrente nicht stattfindet, weil der Eigenanteil gar nicht aufgebracht wird. Deswegen ist es doch richtig darüber nachzudenken, ob man dann diesen Teil der Sicherung nicht in das Rentenrecht reinbringt. Von daher, meine ich, ist das mit gutem Willen zu machen und würde auch nicht bedeuten, dass man dadurch das Koordinatensystem der Bundesrepublik Deutschland verändert.
Deutschlandradio Kultur: Aber Geld kosten würde es schon?
Laumann: Ja gut, Geld kostet es auch, wenn sie heute alle Riesterrente machen würden, was sie rein theoretisch könnten. Außerdem würde es auch Geld kosten, wenn die zu wenig Rente haben. Dann werden sie nämlich alle in der kommunalen Grundsicherung sein. Dann werden es halt die kommunalen Haushalte finanzieren. Wir haben ja auch ein bestimmtes Bild vom Bürger. Wir wollen doch nicht, dass der Bürger, der ein Leben lang geleistet hat, am Ende seines Lebens abhängig vom Staat ist. Das Bürgerbild der CDU ist immer, dass der Bürger dem Staat in gleicher Augenhöhe gegenübertritt. Und natürlich ist ein Mensch, der eine Leistung erhält, die durch Beiträge begründet ist, eher auf der gleichen Augenhöhe mit dem Staat. Wenn ein Staat sagt: Was fährst du für ein Auto, wie groß ist deine Wohnung? Wenn das alles aus unserer Sicht ist, dann geben wir dir Geld.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben noch zwei Jahre in der Großen Koalition in Berlin Zeit. Was würden Sie sich wünschen, was Sie gemeinsam mit Franz Müntefering als CDA noch durchsetzen können, wenn man das kurz formulieren kann?
Laumann: Ich will ja nichts gemeinsam mit Franz Müntefering durchsetzen, sondern NRW will durchaus Anstöße geben. Wir müssen sehen, dass wir weiter dran bleiben, dass wir innovativ sind, dass wir von der Struktur her gut aufgestellt sind. Wir brauchen weiterhin eine Zunahme der Arbeitsplätze. Der Staat muss bescheidener werden, aber er darf dabei auf der anderen Seite nicht vergessen, dass es auch Leute gibt, die vorübergehend den Staat brauchen, weil sie in einer schweren Lebenssituation sind.
Und dann gibt es den Punkt, der mich richtig umtreibt: Wie kommen Kinder aus Haushalten, die ärmer sind, in unserem Schulsystem klar? Können die Kinder von z.B. Hartz-IV-Eltern im vollen Umfang an den Angeboten von Ganztagsschulen teilnehmen? Ich glaube, dass wir alles daran setzen müssen, dass die Kinder auch aus ärmeren Familien eine umfassende Teilhabe am Bildungssystem in Deutschland haben. Die Wahrheit ist: Nur über eine gute Ausbildung kann man den Teufelskreis durchdringen. Menschen, die eine akademische Ausbildung haben, sind nur zu 4 Prozent arbeitslos. Bei Leuten, die eine Ausbildung haben, die wir Gesellenbrief, Facharbeiterbrief nennen, liegt die Arbeitslosigkeit zurzeit unter 8 Prozent. Und bei Menschen, die keine Ausbildung haben, liegt sie zwischen 23, 24, 25 Prozent. Das heißt, fast jeder Vierte ist arbeitslos. Da haben wir im Übrigen auch immer das Problem, dass die immer wieder arbeitslos werden. Diese Situation kann ich ja nur wirklich nachhaltig ändern, wenn ich auch dafür sorge, dass die Kinder, die aus diesen Familien kommen, eine wirkliche Chance haben, aus ihren Talenten in den Schulen etwas zu machen. Da waren wir bislang schlecht.
Deutschlandradio Kultur: In vier Wochen findet der CDU-Grundsatzparteitag in Hannover statt. Welche Signale müssen und sollen von dem Parteitag der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands ausgehen?
Laumann: Ich finde, dass von diesem Parteitag ausgehen muss, dass die CDU weiterhin eine Volkspartei bleiben will, das heißt, dass sie sich auch politisch so breit aufstellt, dass sie in der Lage ist, über 45 Prozent der Stimmen in Deutschland zu kriegen. Denn wenn man deutlich unter 40 liegt, muss man sich ja die Frage stellen: Ist man überhaupt noch Volkspartei? Die CDU muss auch Arbeitnehmerpartei sein, um Volkspartei sein zu können.
Deutschlandradio Kultur: Herr Laumann, wir danken für das Gespräch.
Laumann: Dankeschön.