"Nowhere Out" in Karlsruhe

Vorhang auf für homosexuelle Flüchtlinge

Hans-Werner Kroesinger posiert in einem seiner Bühnenbilder.
Hans-Werner Kroesinger gehört zu den Pionieren des Dokumentartheaters und widmet sich diesmal in einer Karlsruher Uraufführung Flüchtlingsschicksalen © dpa/ picture-alliance/ Holger Hollemann
Hans-Werner Kroesinger im Gespräch mit Ute Welty  · 30.06.2017
In der Uraufführung "Nowhere Out" am Staatstheater Karlsruhe widmet sich der Regisseur Hans-Werner Kroesinger zusammen mit Regine Dura dem Schicksal von homosexuellen Flüchtlingen. Dabei geht es dem Theatermacher auch um einen Blick auf die deutsche Gesellschaft.
"Das Theater hat uns das Thema vorgeschlagen", sagte der Regisseur Hans-Werner Kroesinger im Deutschlandfunk Kultur über die Uraufführung seines Stücks "Nowhere Out" heute im Staatstheater Karlsruhe. Zusammen mit der Co-Regisseurin Regine Dura habe er sich mit der Frage befasst, welche Fragen die Flüchtlinge an unsere so scheinbar liberale Gesellschaft stellten. "Wie verhalten wir uns einer Minderheit gegenüber und was sagt es über unsere Gesellschaft aus?" Bei der Recherche für das Stück seien Interviews mit Lesben, Schwule und Transgender als Flüchtlingen geführt worden, aber auch mit Unterstützergruppen der Flüchtlingshilfe, Mitarbeitern der zuständigen Behörden und Menschenrechtlern.

Aktuelle Debatte aufgenommen

Angesichts der heutigen Abstimmung über die gleichgeschlechtliche Ehe im Deutschen Bundestag hätten die Theatermacher das Stück kurzfristig noch einmal sehr stark umgestellt. "Wir haben versucht, die aktuellen Diskussionen mit reinzunehmen", sagte Kroesinger."Theater ist ein Ort, wo die Gesellschaft über sich selber nachdenken kann."
Seit 25 Jahren recherchiert Hans-Werner Kroesinger zusammen mit Regine Dura kontinuierlich zu gesellschaftlich und politisch brisanten Themen wie dem Völkermord an den Armeniern, dem Genozid in Ruanda, der RAF oder der Rolle der EU-Grenzsicherung durch Frontex und bringt diese politischen Stoffe auf die Bühne.

Das Interview im Wortlaut:

Ute Welty: Theater ist für ihn eine ernste Angelegenheit. Seit 25 Jahren forscht und recherchiert Hans-Werner Kroesinger zusammen mit Regine Dura in Sachen dokumentarisches Theater, entwickelt aufgrund von Reportagen, Berichten und Interviews, Stücke über Themen wie den Völkermord an den Armeniern oder den Genozid in Ruanda. Heute Abend erlebt die jüngste Produktion der beiden ihre Uraufführung am Badischen Staatstheater in Karlsruhe, und da wird es dann gehen um das Schicksal von muslimischen lesbischen, schwulen und Transgender-Flüchtlingen in Deutschland. Titel des Stücks ist "Nowhere Out". Guten Morgen, Herr Kroesinger!
Hans-Werner Kroesinger: Guten Morgen!
Welty: Was hat Sie an dieser Gruppe von Menschen besonders interessiert? Dass sie gemeinhin durch das Raster der öffentlichen Wahrnehmung fällt?
Kroesinger: Das ist schon mal eine ziemlich gute Beobachtung. Es war so, das Theater hat uns das Thema vorgeschlagen, und wir haben dann zuerst überlegt, wie kann man das machen. Weil man kann ja nicht für jemanden sprechen, sondern aber, wo wir dann ziemlich schnell drauf gekommen sind, Regine und ich, war: Die Flüchtlinge formulieren im Prinzip die Frage an uns, also wie verhalten wir uns einer Minderheit gegenüber, was sagt das über unsere Gesellschaft aus. Und wir waren einfach auch sehr neugierig: Wie ist die Situation, was erzählt das über unser Land im Moment?

Fragen und Überraschungen

Welty: Man kann ahnen, was die Menschen durchmachen, die eben mehrfach belastet sind, mehrfach ausgegrenzt werden. Inwieweit sind Sie durch die eigene Recherche aber dann doch überrascht worden?
Kroesinger: Wir sind immer wieder überrascht worden. Wir sind immer wieder überrascht worden. Ganz viele von den Interviews mit den Geflüchteten hat Jan geführt, also Jan Lindner, das ist der Dramaturg am Staatstheater. Wir haben auch einige von den Flüchtlingen getroffen, haben uns aber auch getroffen mit Leuten aus dem Umfeld, also haben uns mit Leuten getroffen, mit Unterstützergruppen, haben uns mit Leuten getroffen, die beim BAMF arbeiten, haben uns mit Leuten von Amnesty getroffen, die beraten, und haben versucht, ein möglichst großes Spektrum aufzumachen. Man sieht halt einfach die Überlastung, man sieht die Erwartungen, die es gibt. Aliya, eine der Flüchtlinge, die aus Syrien zu uns gekommen ist, die sagt, sie hat eine Vorstellung von diesem Land gehabt, weil es hier diese liberale Gesetzgebung gibt. Sie ist transgender, und sie hat gesagt, sie hat schnell die Erfahrung machen müssen, dass sie das Gefühl hat, dass die Bevölkerung nicht auf der Höhe der Gesetzgebung ist.
Und so gibt es immer wieder Situationen, wo Leute an ihre Grenzen kommen, auch innerhalb der Behörden. Wie geht man mit diesen Fällen eigentlich um, was tut man da? Wie ist das, wenn man jemand gegenüber sitzt, der gefoltert worden ist, der einen unglaublichen Weg zurückgelegt hat, um zu uns zu kommen und jetzt die Flüchtlingseigenschaft nachweisen muss? Wie ist das, wenn Sie in so einer Behörde sitzen, und Sie haben am Tag drei bis fünf von solchen Fällen, und Sie haben eine Vorgabe von der Behörde, dass die Fälle möglichst schnell abgearbeitet werden müssen, weil es mal so eine Optimierungsmaßnahme von McKinsey gab, eine politische Vorgabe, wie mit diesen Fällen zu verfahren sei, damit es keinen Rückstau gibt?
Wie ist es, wenn Sie Unterlagen vorgelegt bekommen und derjenige, der über den Fall entscheidet, denjenigen, den es betrifft, aber gar nicht mehr sieht, der gar keine Möglichkeit mehr hat, Nachfragen zu stellen, weil er einfach ein Dokument vorgelegt bekommt von einer Anhörung? Und wir wissen, das haben auch viele von den Unterstützern gesagt oder von den Amnesty-Leuten auch, dass es für jemand, der gefoltert worden ist, der einem unglaublichen Druck ausgesetzt war, der sich teilweise seiner Familie gegenüber noch nicht mal geoutet hat, eine unglaubliche Stresssituation ist, überhaupt von sich zu erzählen in so einer Situation, wo er weiß, dass es um seine Zukunft geht.

Ein anstrengender Abend

Welty: Wie bringen Sie und Regine Dura das dann auf eine Theaterbühne? Wie muss ich mir die Premiere heute Abend vorstellen?
Kroesinger: Das wird ein sehr anstrengender Abend. Für uns war das alles auch ziemlich anstrengend, das zu machen. Für die Schauspieler war es eine große Anstrengung, weil – die Situation war die, dass in der letzten Woche noch einige Sachen passiert sind. Heute haben wir ja den Entscheid über die gleichgeschlechtliche Ehe, und wir haben uns, als wir uns in das Thema reingearbeitet haben, auch immer wieder gefragt, was bedeutet Sexualität eigentlich für uns? Was ist der Stand der Diskussion in unserer Gesellschaft.
Und wenn wir auf unsere Gesellschaft gucken, da gibt es jetzt auch einiges, wo wir denken, wir sind so wahnsinnig liberal, aber so liberal sind wir vielleicht gar nicht. Und wir haben jetzt in der letzten Woche, was für die Schauspieler ein wahnsinniger Schlauch ist und auch für die technischen Abteilungen – im Moment machen alle Überstunden –, wir haben das Stück noch mal umgestellt. Wir haben jetzt im Lauf der Woche noch mal 50 Prozent des Stückes umgestellt?
Welty: Inwieweit?
Kroesinger: Wir haben versucht, die aktuellen Diskussionen mit reinzunehmen, die Entscheidung heute mit reinzunehmen, ganz egal, wie sie ausgehen wird. Das heißt, wir machen jetzt gleich noch eine Probe. Heute Abend um 19 Uhr, 20 Uhr, ich weiß gar nicht, wann das ist, ist die Premiere, und wir versuchen, was zu machen, was jetzt auf der Höhe der Diskussion ist. Wir versuchen, einen Abend zu machen, der jetzt brauchbar ist für Leute, die sich für das interessieren, was in unserer Gesellschaft vor sich geht.

Türen aufmachen

Welty: Hat sich der Titel des Stücks vielleicht auch ein bisschen überholt? Der ist ja keineswegs optimistisch. "Nowhere Out" – kein Ausweg, kein Notausgang, keine weitere Fluchtmöglichkeit, jetzt eben aber diese Entscheidung im Bundestag über die Ehe für alle. Ist das nicht doch ein kleiner Lichtschimmer am Horizont?
Kroesinger: Das Schöne am Theater ist ja, wenn Sie jetzt am Titel nur einen Buchstaben verschieben, dann heißt es "Now Here Out". Und vielleicht ist das ja auch eine Option, wenn wir miteinander ins Gespräch kommen und im Gespräch bleiben und uns über das verständigen, was wir wirklich wollen in unserer Gesellschaft für uns und für alle, die in dieser Gesellschaft anwesend sind, dann gibt es, glaube ich, eine ganze Menge Türen, die wir aufmachen können.
Welty: Sie sagen von sich selbst, ich bin ein Autor, der nicht schreibt. Was bedeutet das für die Arbeit mit den Schauspielern und Schauspielerinnen?
Kroesinger: Das bedeutet einfach Montage, es bedeutet wahnsinnig viel Montage. Das heißt, wir haben uns durch unglaublich viel Material durchgelesen, man kann aber auch sagen, durchgefressen, und wir versuchen dann halt, mit den Schauspielern gemeinsam zu entwickeln, wo wir sagen, was ist relevant für uns. Wir haben verschiedene Materialpools, die Endmontage macht dann Regine, weil das ist halt in so einem demokratischen Prozess. Es geht darum, zu gucken, welches Material spricht uns an, was ist eine relevante Frage für uns? Wo sagen wir, das ist was, was wir für mitteilenswert halten. Weil ich glaube, es muss darum gehen, dass wir einen Abend herstellen, der brauchbar ist.
Wir haben in den letzten sieben Wochen wahnsinnig viel Lebenszeit verbrannt in diesem Ding, und jetzt geht es darum, zu gucken, wie kondensieren wir das, dass das für Sie, wenn Sie dorthin kommen und in den Abend reingehen und dann – wahrscheinlich werden es 95 Minuten – sich 95 Minuten mit dem konfrontieren, was wir da machen – was ist für Sie daran brauchbar? Also was ist das, wo der Raum, die Zeit wieder aufgehen, also wo Sie sagen, Sie kommen aus dem Stück raus und sagen, das ist eine Frage, die ich mir noch nicht gestellt habe. Das ist eine Frage, die mich weiter beschäftigt. Wie begleitet Sie das in die nächsten Tage rein, und vielleicht nicht nur die nächsten Tage, die nächste Woche. Und wie wird man aufmerksamer für das, was um einen rum vor sich geht?

Theater als Ort des Nachdenkens

Welty: Ist es das, was Theater 2017 mehr denn je leisten muss: Fragen stellen, die auch einen Nachhall haben?
Kroesinger: Ja, sonst hat es keinen Sinn. Was wir machen, ist ein Luxus, klar, aber es ist ein notwendiger Luxus. Weil ich glaube, Theater ist ein Ort, wo eine Gesellschaft über sich selbst nachdenken kann. Und das ist eine Option, das ist eine Chance, die man hat.
Welty: Was erhoffen Sie sich an Reaktionen aus dem Publikum? Es gab ja vorgestern schon eine öffentliche Probe.
Kroesinger: Das war eine sehr schöne Probe. Die Leute waren sehr berührt. Sie haben nicht alles gleich verstanden, was für uns dann dazu geführt hat – man wird auch nicht alles verstehen an diesem Abend, weil dieser Abend sehr viele unterschiedliche Ansatzpunkte hat. Weil wir in Sackgassen uns verlaufen haben – manchmal sind die Sackgassen aber auch wichtig. Es gibt auch Leerstellen darin. Aber es ist keiner da rausgegangen, der nicht in irgendeiner Weise davon berührt war. Und es war eine sehr lebhafte, eine sehr spannende, sehr offene Diskussion, wo Leute über sich geredet haben, was das Theater in diesem Fall mit ihnen macht.
Welty: Vor der Uraufführung von "Nowhere Out" oder "Now here Out" – Dokumentarisches Theater von Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura über muslimische Flüchtlinge, die schwul, lesbisch oder transgender sind. Herr Kroesinger, haben Sie Dank fürs Gespräch, und toi, toi, toi für heute Abend!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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