Notunterkünfte in Berlin

Noch immer leben Flüchtlinge in Turnhallen

Flüchtlinge protestieren am 24.11.2016 gegen die Zustände ihrer Unterbringung in einer Notunterkunft in einer Schulturnhalle in Berlin-Wedding. Sie kritisieren, dass sie mittlerweile über ein Jahr ohne Privatsphäre bei schlechter Verpflegung in der Massenunterkunft leben.
Flüchtlinge protestieren im November 2016 gegen die Zustände ihrer Unterbringung in einer Notunterkunft in einer Schulturnhalle in Berlin-Wedding. © imago / Christian Mang
Von Wolf-Sören Treusch · 06.01.2017
Viele Flüchtlinge leben noch immer in Notunterkünften. Beim Auszug aus Turnhallen ist Berlin bundesweit Schlusslicht, Leidtragende sind die Geflüchteten, aber auch Sportvereine und Schulen. Mit der neuen rot-rot-grünen Regierung ist nun Bewegung in die Angelegenheit gekommen.
Eine Sporthalle in Berlin-Wilmersdorf. 130 geflüchtete Menschen leben hier, vor allem junge Männer. Im Vorraum spielen sie Karten oder lümmeln auf den Sofas. In der Halle haben es sich die Flüchtlinge eingerichtet.
Auch Yassir Elias und seine Freunde. Zu dritt teilen sie sich eine Kabine, jeder hat ein Doppelstockbett für sich allein. Doch sie wollen raus:
"Halle nicht gut. You know, I have school. Then I don't sleep in the night, ... nicht schlaf, weißt du. ... In Nacht nicht schlafen gut." – "... aber hier Ohrstöpsel. Wir haben doch Ohrstöpsel."
Julia Tecklenborg vom Deutschen Roten Kreuz hilft, wo sie kann. Ein Jahr lang hat sie die geflüchteten Menschen in der Sporthalle betreut, jetzt wird sie nicht mehr gebraucht:
"Wenn Heerstraße aufmacht, dann könnt ihr in die Heerstraße gehen."
Denn wenige Tage später ist es endlich soweit: alle 130 Flüchtlinge aus dieser Sporthalle ziehen um in ein altes Bürogebäude in Berlin-Charlottenburg. Mit Zwei- und Vierbettzimmern, mit festen Wänden und Türen, die sie hinter sich schließen können, mit Gemeinschaftsküchen, in denen die geflüchteten Menschen ihr Essen endlich wieder selbst zubereiten.

Schnellere Umzüge dank Rot-Rot-Grün

Dafür gesorgt hat Elke Breitenbach von der Linken, Berlins neue Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales. Was unter der alten rot-schwarzen Regierung über ein halbes Jahr hinweg verschleppt wurde, ging unter Rot-Rot-Grün in der Woche vor Weihnachten plötzlich ganz schnell.
"Es gab einfach Tempohomes und mobile Unterkünfte, die haben wir fertiggestellt und konnten denn zehn Turnhallen räumen, mit rund 850 Menschen, die jetzt aus den Turnhallen raus sind und jetzt in diesen neuen Unterkünften untergebracht sind."
Einige der sogenannten Tempohomes waren auch schon vor dem Regierungswechsel fertig, aber die komplizierten Vergabeverfahren verhinderten, dass sie ans Netz gingen. Sascha Langenbach, Sprecher des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten, erklärt es:
"Das sind Europaweite Ausschreibungen, jede Ausschreibung für jedes Objekt hat 80-90 Seiten DIN A4, das heißt Leistungsbeschreibung, Anhang, Sicherheitskonzepte etc., und: bei diesen 80, 90 Seiten, da kann immer mal ein Fehler drin sein."

Betreiber verschleppen das Verfahren

Und eben diese Fehler nutzten unterlegene Bewerber aus, um gegen die Vergabeverfahren juristisch vorzugehen.
"Es gab Betreiber, aber es gab keine Rechtsgrundlage für diese Betreiber, weil notwendig ist eine europaweite Ausschreibung, die wurde noch unter dem alten Senat versucht und ist grandios gescheitert, und da haben wir gesagt: das geht nicht, die neu gebauten Häuser für die Flüchtlinge, die stehen leer, und wir lassen die Menschen in den Turnhallen, die Berlinerinnen und Berliner können immer noch keinen Sport machen, diese Turnhallen müssen wieder hergerichtet werden, und deshalb haben wir gesagt: jetzt müssen wir handeln."
"Gefahr in Verzug", argumentierte die Sozialsenatorin, kaum dass sie im Amt war. Alkoholmissbrauch, Drogen, Gewalt: die Lage in den Turnhallen sei so dramatisch, dass Maßnahmen zur Gefahrenabwehr getroffen werden mussten. Ergebnis: Ihre Verwaltung bestimmte die Betreiber für die bezugsfertigen Flüchtlingsunterkünfte außerhalb des regulären Vergabeverfahrens. Für eine Übergangszeit. Bis die europaweiten Ausschreibungen beendet sind.

Schwierige Situation für die Geflüchteten

Julia Tecklenborg vom Deutschen Roten Kreuz freut sich, dass endlich etwas geschieht. Das Leben der Flüchtlinge sei schwierig. Wenig Abwechslung, viele Sorgen, da sei der Griff zu den Drogen normal:
"Ja, die stumpfen ab. Auf jeden Fall. Zu Anfang waren die schon mit Elan irgendwie vollgepumpt und wollten Deutsch lernen und einen Job finden und so weiter, und so fort. Ja, dann haben sie festgestellt: Es dauert alles ewig, sie kriegen keine Kurse, es ist gar nicht gewiss, ob sie überhaupt hier bleiben dürfen, ja, und dann stumpft man ab."
Noch immer leben gut 17.000 Flüchtlinge in Berlin in Notunterkünften, 1400 von ihnen in 16 Turnhallen. Noch einmal Berlins neue Sozialsenatorin Elke Breitenbach von der Linken:
"Ich habe keine Glaskugel, ich gehe davon aus, dass wir bis zum ersten Quartal die Turnhallen geräumt haben, es sind jetzt ja nicht mehr so viele. Aber trotzdem kann ich ihnen nicht sagen, wann sind denn die einzelnen Häuser fertig."

Sportvereine hoffen auf Besserung

Wenn die Flüchtlinge die Hallen verlassen, bedeutet das aber noch lange nicht, dass Schulen und Sportvereine gleich wieder rein können. Bernd Weißig, Geschäftsführer des BSC Marzahn, steht zurzeit ohne Halle da:
"Flüchtlinge waren raus, und dann haben sie gesagt: 'Ja, bis Ende November wird die Halle dem Bezirk wieder zur Nutzung übergeben', das ist bis heute nicht erfolgt, und jetzt weiß keiner, es sagt auch keiner was, und das zieht sich nun auch schon ewig hin. Und da muss ich natürlich sagen, was der Senat liefert zusammen mit den Bezirksämtern, das ist eigentlich unter aller Kanone."
Auch hier hoffen die Vereinsbosse auf Besserung. Viele Hallen müssen umfangreich saniert werden. Die Karower Dachse warten seit einem halben Jahr darauf.

Eingeschränktes Angebot, ausgetretene Mitglieder

75 Sportangebote musste der Verein aus dem Norden Berlins ausquartieren oder gleich ganz streichen, weil seine Turnhalle als Notunterkunft für Flüchtlinge genutzt wurde. Sportarten wie Step-Aerobic, erzählt Vorstandsmitglied Kirsten Ulrich, bieten sie seitdem in ehemaligen Drogeriemärkten und kirchlichen Begegnungszentren an:
"Wir haben ja Sportarten, die nicht mehr angeboten werden können aufgrund von Lagerungsmöglichkeiten. Wie zum Beispiel Rhönrad, Großtrampolin, Tuchakrobatik. Dann ist die ganze Basketball-Abteilung praktisch zu einem anderen Sportverein gegangen, weil wir uns finanziell den Spielbetrieb nicht mehr leisten konnten."
300 Mitglieder traten aus, sogar die Weihnachtsfeier für die Kinder konnte sich der Verein nicht mehr leisten:
"Wir sind in unsere Rücklagen gegangen, haben Verluste in diesem Jahr geschrieben, es ist nicht so, dass wir jetzt in den nächsten zwei Monaten insolvent sind, sollte das aber, wie es jetzt aussieht, bis zum Sommer so gehen, wird es eng. Sehr eng."
In Berlin hoffen sie nun, dass der Senat mit dem gleichen Tempo die Sporthallen saniert, mit dem er sie jetzt, endlich, frei bekommt.
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