Dienstag, 16. April 2024

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Rente mit 63
Griese: Arbeitslosengeld I ist Teil der Beitragszeit

Die SPD will sich nicht darauf festlegen, wie viele Jahre jemand, der nach 45 Beitragsjahren in Rente geht, in dieser Zeit arbeitslos gewesen sein darf. Jahre, in denen Beiträge gezahlt wurden, seien auch solche mit "Kurzarbeit, Schlechtwettergeld, Kindererziehung und Arbeitslosengeld I", sagte Kerstin Griese (SPD), Vorsitzende des Bundestagsausschusses Arbeit und Soziales im DLF.

Kerstin Griese im Gespräch mit Friedbert Meurer | 09.04.2014
    Die SPD-Politikerin Kerstin Griese, Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales.
    Kerstin Griese verteidigt die Anerkennung von Zeiten der Arbeitslosigkeit auf die 45 Beitragsjahre (dpa/Jonas Güttler)
    Friedbert Meurer: Bundeskanzlerin Angela Merkel stellt sich hinter die Rente mit 63. Das ist eine Idee der SPD. Aber in der Großen Koalition hat die Union die Mütterrente bekommen, die SPD eben die Rente mit 63. Im Mai soll das alles beschlossen werden. Jetzt gibt es aber den Protest von über 60 Unions-Abgeordneten, die vor allen Dingen Sorge haben, dass aus der Rente mit 63 eine Rente mit 61 wird, dass ältere Arbeitnehmer sich kündigen lassen, zwei Jahre Arbeitslosengeld kriegen, und dann ist aus der Rente mit 63 eine Rente mit 61 geworden. Kerstin Griese ist SPD-Bundestagsabgeordnete und sie ist die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales. Guten Tag, Frau Griese.
    Kerstin Griese: Guten Tag, Herr Meurer.
    Meurer: Dieses Gespräch oder die Gespräche, die es geben wird mit der Union, was sind Sie da für die SPD noch bereit zu liefern?
    Griese: Wir sind eigentlich im ganz normalen parlamentarischen Verfahren. Das Rentenpaket ist in den Bundestag eingebracht worden. Es umfasst ja noch zwei Teile mehr: Es umfasst die Mütterrente, die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren mit 63, aber auch die Erwerbsminderungsrente, die wir verbessern werden, und die Leistung für die Rehabilitation. Ich erwähne das, weil das oft vergessen wird und das Dinge sind, die auch sehr wichtig sind. Das ist jetzt im Beratungsverfahren und wir werden am 5. Mai eine große Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales machen und sind natürlich im Gespräch darüber, wie dieses Gesetz den Bundestag wieder verlassen wird, sprich wie wir es dann Ende Mai beschließen werden. Das ist aber das ganz übliche Verfahren. Insofern wird hier ein bisschen viel Lärm um nichts gemacht.
    Meurer: Lärm um nichts, das wird ja eben bezweifelt. Was wollen Sie tun? Wie wollen Sie verhindern, dass ältere Arbeitnehmer mit 61 gekündigt werden?
    Griese: Wir sind uns einig, dass wir verhindern wollen, dass es einen Missbrauch dieser Regelung gibt. Es geht ja eigentlich nicht um eine Frühverrentung, denn die Verrentung würde nicht vorgezogen werden, sondern wir wollen keinen Missbrauch, dass zum Beispiel ein Arbeitgeber seine Mitarbeiter frühzeitig entlässt und sich denkt, dann können sie sich noch zwei Jahre mit Arbeitslosengeld durchschlagen und mit 63 in Rente gehen. Das wollen wir alle nicht. Deshalb ist ganz klar: Eine solche Regelung will kein Arbeitnehmer, denn sie hilft ihnen nichts. Wenn jemand freiwillig kündigt, wäre er erst mal zwölf Wochen lang gesperrt vom Arbeitslosengeld. Wenn jemand zwei Jahre lang vor dem Eintritt in die Rente arbeitslos ist, sinkt natürlich die Rentenhöhe, und zwar fürs ganze Leben. Das heißt, das Interesse ist nicht aufseiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wenn Arbeitgeber das tatsächlich wollen – und das ist in Zeiten des Fachkräftemangels meines Erachtens auch nicht so häufig der Fall -, dann muss man Regelungen finden, diesen Missbrauch der Regelung Renteneintritt abschlagsfrei mit 63 Jahren zu verhindern.
    Meurer: Mal kurz eingehakt! Ein Arbeitnehmer hat doch schon was davon, wenn er mit 61 aufhört und kriegt zwei Drittel seiner ehemaligen Nettobezüge für zwei Jahre.
    Griese: Und dann sein Leben lang eine niedrigere Rente, als er bekommen hätte, wenn er noch zwei Jahre weiter gearbeitet hätte. Insofern ist das natürlich eine Sache, die sich nicht bezahlt macht. Wir wollen eine Regelung finden, die einen solchen Missbrauch verhindert. Das könnte zum Beispiel sein, dass man die Arbeitgeber verpflichtet, wenn sie denn ihre Mitarbeiter früher entlassen, die vollen Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten, denn wir wollen ja nicht, dass damit die Rentenkasse geschwächt wird. Das wäre eine Möglichkeit. Wir wollen eine verfassungsgemäße Regelung finden, und das ist eigentlich jetzt auch das ganz normale Verfahren, dass wir darüber diskutieren. Das Gesetz insgesamt mit seinen vier Teilen steht und es ist auch so formuliert, wie es im Koalitionsvertrag ausgemacht ist.
    Meurer: Diese Idee mit dem, die Arbeitgeber sollen die vollen Sozialversicherungsbeiträge bezahlen, dann wird jemand arbeitslos, und Sie wollen, dass zwei Jahre lang Rentenbeiträge, Arbeitslosenbeiträge, Krankenversicherungsbeiträge zu 100 Prozent von den Arbeitgebern bezahlt werden?
    Griese: Diese Regelung hatten wir schon mal. Die dient dazu, dass Arbeitgeber eine solche Regelung nicht missbrauchen. Das wäre eine Möglichkeit. Wir diskutieren das ja jetzt. Fakt ist auf jeden Fall, dass es sich wenn auch nur um eine sehr kleine Zahl handelt. Es ist ja so, dass man heute schon mit 63 mit Abschlägen in Rente gehen kann. Uns geht es jetzt darum, dass man nach 45 Beitragsjahren dann abschlagsfrei in Rente gehen kann. Und der CDU-Kollege hat ja auch heute früh betont, er möchte verhindern, dass es die letzten zwei Jahre vor dem Eintritt in die Rente sind, und da muss man tatsächlich aufpassen. Es gibt sicherlich Fälle, wo jemand natürlich vollkommen unverschuldet arbeitslos wird; den darf man nicht bestrafen. Aber wenn Unternehmen das ausnutzen wollen, muss man Regelungen finden, um dem einen Riegel vorzuschieben.
    Meurer: Frau Griese, Sie haben gerade gesagt, Sie wollen, dass jemand nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei in Rente gehen kann. Faktisch wollen Sie doch, dass jemand beispielsweise, der 40 Jahre bezahlt hat und fünf Jahre arbeitslos war, auch in Rente gehen kann. Ist das nicht ein Widerspruch?
    Griese: Wir haben im Gesetzentwurf keine Zahl festgelegt, wie viele Jahre Arbeitslosigkeit mitgerechnet werden. Im Koalitionsvertrag heißt es wörtlich: "Langjährig Versicherte, die durch 45 Beitragsjahre einschließlich Zeiten der Arbeitslosigkeit ihren Beitrag zur Stabilisierung der Rentenversicherung erbracht haben, können ab dem 1. Juli mit 63 in Rente gehen." Wir wollen ausdrücklich keine Jahreszahl festlegen, sondern wir wollen nur Zeiten mitrechnen, wo man Arbeitslosengeld I bezogen hat, oder Kurzarbeitergeld, oder Kinder erzogen hat. Wir wollen nicht die Zeiten des Arbeitslosengeldes II mitrechnen, sondern wir haben eine strukturelle Lösung. Das heißt, die Zeiten, in denen man in die Versicherung eingezahlt hat und damit auch zur Stabilität der Rentenversicherung beigetragen hat. Das tut man ja auch beim Arbeitslosengeld I.
    Meurer: Da fühlt sich die CDU oder Teile davon offenbar ein bisschen über den Tisch gezogen, dass Sie diese Zahl nicht ins Gesetz schreiben wollen.
    Griese: Die Zahl steht auch nicht im Koalitionsvertrag. Insofern sind wir da absolut vertragstreu.
    Meurer: Das kann man ja netzt nachholen!
    Griese: Es ist sogar so, dass die meisten Menschen, die das betrifft, viel weniger Zeiten der Arbeitslosigkeit haben. Gerade die Jahrgänge, um die es jetzt geht, sind ja die, die oft eine sehr geschlossene Erwerbsbiografie haben. Wenn sie denn aber mal ein, zwei Jahre oder drei Jahre arbeitslos waren, finde ich, darf man sie dafür nicht bestrafen. Es sind etwa drei Prozent nur der Menschen, die in Frage kommen, von denen, die jetzt für diese Regelung in Frage kämen, die mehr als fünf Jahre Arbeitslosigkeit haben. Das heißt, nur für diese geringe Zahl eine extra Regelung zu machen, das würde sich sicherlich im Gesetz nicht lohnen. Aber wir sind uns in der Sache einig, dass es um 45 Beitragsjahre geht, und zu Beitragsjahren gehört zum Beispiel auch Kurzarbeit, Schlechtwettergeld, Kindererziehung und Arbeitslosengeld I.
    Meurer: Der Konflikt um die Rente mit 63 ist noch nicht beigelegt. Kerstin Griese war das, SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales. Frau Griese, danke schön, auf Wiederhören nach Berlin.
    Griese: Dankeschön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.