Norwegen vor der Parlamentswahl

Flüchtlinge als Wahlkampfthema

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Wahlkampfstand der Fortschrittspartei in Oslo © Michael Frantzen
Von Michael Frantzen · 30.08.2017
Am 11. September wählen die Norweger ein neues Parlament. Mehr Polizei, härtere Strafen für Gewalttäter, Burka-Verbot - die mitregierenden Rechtspopulisten haben Chancen auf ein gutes Wahlergebnis.
Petrus, der Wettergott, kennt kein Erbarmen. Es regnet wieder Bindfäden – wie so häufig diesen Sommer - in Bergen, Norwegens zweitgrößter Metropole. Samstag, kurz nach zwölf. Thomas Brøttulmen zieht seinen schwarzen Jackenkragen hoch. Schnellen Schrittes stapft der bullige Mitdreißiger los: Richtung Torgallmenningen, so heißt der Hauptplatz der 280.000 Einwohner zählenden Hafenstadt. Hier haben die Parteien ihre Stände aufgebaut. Am elften September wählt Norwegen ein neues Parlament.
"We are not the social office of Europe."
Norwegen ist nicht das Sozialamt Europas: So sieht das nicht nur der Maurer, sondern auch die Fremskrittspartiet – die Fortschrittspartei. Seit vier Jahren sitzen die Rechtspopulisten auf der Regierungsbank – als Juniorpartner der konservativen Ministerpräsidentin Erna Solberg. Wenn es nach Thomas geht, soll das auch so bleiben.

"Wir sollten uns die Flüchtlinge vom Leibe halten"

"Das wichtigste Thema für mich bei dieser Wahl ist die Einwanderung. Zum Glück hat die Regierung die Einwanderungswelle aus Syrien und anderen Ländern gestoppt. Da hat die Fortschrittspartei ganze Arbeit geleistet. Wir sollten uns die Flüchtlinge vom Leibe halten; besonders die, die nur nach einem besseren Leben suchen. Wenn überhaupt, sollten wir politisch Verfolgte aufnehmen – keine Wirtschaftsflüchtlinge. Deshalb: Ja, die harte Linie in der Flüchtlingspolitik ist genau richtig."
Thomas blättert am Wahlstand der Fortschrittspartei in einer der Hochglanzbroschüren: Mehr Polizei; härtere Strafen für Gewalttäter; Burka-Verbot: Der Familienvater nickt. Ganz seine Linie.
Er schaut irritiert hoch. Muss der Typ von den Grünen ausgerechnet sein mit Blumen geschmücktes Fahrrad haarscharf vor seinen Füßen vorbeischieben?! Es reicht doch schon, dass die Ökos ihren Stand direkt neben der Fortschrittspartei haben. Nervös nestelt Thomas an seiner Kette mit dem stilisierten Hammer herum.
"Das ist der Hammer von Thor, dem Gott der nordischen Mythologie. Ich trage die Kette als Talismann. Ich fühle mich unseren Wikinger-Wurzeln sehr verbunden. Jetzt nicht den ganzen Vergewaltigungen und Plünderungen, die die Wikinger begangen haben. Es ist eher dieses Bild: Du bist stark, baust ein Schiff und segelst übers Meer."
Bergen, die zweitgrößte Stadt Norwegens
Bergen, die zweitgrößte Stadt Norwegens© picture alliance / dpa / David Stockman
Das Votum der Wähler in Bergen ist mitentscheidend für die Parlamentswahl: Da sind sich die meisten politischen Beobachter in Norwegen einig. Wegen der relativ hohen Bevölkerungszahl; und den vielen Wechselwählern. Mal hatten die Sozialdemokraten die Nase vorn, mal die Konservativen. Deshalb auch die große Bühne auf dem Torvalmenningen. Die Parteien können sie mieten. Demnächst wird auch die Vorsitzende der Fortschrittspartei auftreten. Thomas will sich die Rede von Finanzministerin Siv Jensen nicht entgehen lassen – selbst wenn er sich dafür einen halben Tag frei nehmen muss. Doch sein Chef, ein Bauunternehmer, hat schon gesagt, das ginge klar. Vierzig Stunden arbeitet Thomas in der Woche, wenn viel zu tun ist, wie jetzt, auch mehr. Außerhalb Bergens bauen sie gerade eine neue Straße quer durch den Felsen – Thomas und seine zumeist polnischen und litauischen Kollegen.
"Wir Norweger haben nichts gegen Minderheiten-Kulturen. Wir wollen nur nicht, dass sich in Norwegen eine NEUE Kultur entwickelt. In der Klasse meiner Tochter sind etliche Flüchtlingskinder. Ihre Eltern scheinen OK zu sein – zumindest die, die ich gesehen habe, als ich Charlotte zu Geburtstagsfeiern gebracht habe... Hm. Nein, ich habe ich sie nicht gefragt, woher sie kommen. Vielleicht aus dem Mittleren Osten? Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass sie eine andere Kultur haben. Die sollen sie auch behalten dürfen. Nur: Wir müssen sicherstellen, dass sie unsere Kultur akzeptieren."
Jetzt hat er sich doch noch am Wahlstand blicken lassen: Petter Eltvik. Ehe sich der Vorsitzende der Bergener Fortschrittspartei versieht, hat ihn Thomas in ein Gespräch verwickelt. Über die neusten Umfragewerte, die die Rechtspopulisten bei 16 Prozent – und damit im Aufwind sehen. Und den Dauerbrenner: Die Flüchtlinge.
"I’m quite proud about it."

Zahl der Asylbewerber in Norwegen extrem niedrig

Stolz ist er. Auf das, was seine Fortschrittspartei erreicht hat – in den letzten vier Jahren in Oslo, der Hauptstadt. Nicht zuletzt in der Flüchtlingspolitik. Wie aus der Pistole geschossen, rattert Eltvik, ein jovialer Mann mit Goldkette, die Eckdaten der Erfolgsgeschichte herunter. Dass die Zahl der neuen Asylbewerber im Juli mit 260 so niedrig war wie zuletzt Mitte der 90er Jahre; die norwegischen Behörden konsequent abgelehnte afghanische Asylbewerber an den Hindukusch abschieben – darunter auch Minderjährige. Thomas klebt förmlich an Petters Lippen. Sie sind ganz auf einer Wellenlänge: Der Möchtegern-Wikinger. Und der Vollblutpolitiker, der einer knallharten Politik ein freundliches Gesicht verleiht.
"In der Flüchtlingspolitik haben wir endlich das Heft in der Hand. Vorher hatte Norwegen weder Kontrolle über den Zustrom von Flüchtlingen noch ihre Integration. Gerade die Integration ist wichtig. Die alte, sozialdemokratische Regierung hat die Probleme nur unter den Teppich gekehrt. Jetzt ist es so: Alle Parteien sind sich einig, dass wir der Integration größere Aufmerksamkeit schenken müssen. Das ist unser Verdienst."
"We know that we are not invited guests. We know that."
Wie ein nicht geladener Gast fühlt er sich häufiger: Nader Kalagi, der syrische Flüchtling.
"Übersetzt heißt das Sprichwort: Jemand, der sein Haus verlassen musste, muss wieder unten anfangen. Norwegen ist nicht mein Zuhause. Ergo muss ich unten anfangen. Ich verstehe die Norweger. Es ist ihr Land."
Nader macht einen geschafften Eindruck. Kein Wunder: Bis vor einer dreiviertel Stunde hat er in einer Gemeinschafts-Zahnarztpraxis am Stadtrand Oslos gearbeitet – der rund 460 Kilometer östlich von Bergen gelegenen Hauptstadt. Plomben füllen; Wurzel behandeln; Karies entfernen: Das übliche Programm. Erschöpft lässt sich der 40jährige in einer der grauen Designer-Sessel des Nord fallen – des Hipster-Cafés unweit des Rathauses. Das Leben in seiner neuen Heimat – es kann manchmal ganz schön anstrengend sein.
"Dass ich als Zahnarzt in Norwegen arbeite, habe ich harter Arbeit und Glück zu verdanken. Ich kenne etliche Zahnärzte, die nach Norwegen geflüchtet sind. Die meisten warten, warten und warten. Sie sind zum Nichtstun verdammt. Ihnen wird gesagt: Fangt lieber als Krankenpfleger an! Soweit ich weiß, bin ich der einzige syrische Zahnarzt, der die Erlaubnis hat, in Norwegen zu praktizieren. Ich hatte wirklich Glück. Ich habe ja meinen Doktor in Frankreich gemacht. Der Abschluss wurde mir anerkannt. Es hat auch nicht geschadet, dass ich von Anfang an Zugang zur Universität hatte. So habe ich mitbekommen, wie du dich in Norwegen richtig bewirbst."

Eine Flucht aus Aleppo nach Norwegen

Nader nippt an seinem Cappuccino. Seit dreieinhalb Jahren lebt er zusammen mit seiner Frau und den zwei Kindern in Oslo. An den ersten Tag: Natürlich könne er sich daran noch erinnern, erzählt er lächelnd. Klirrend kalt sei es gewesen. Vierzig Zentimeter Schnee. Und Muhamed, sein Kleiner, habe nur gemeint, er wolle SOFORT zurück nach Hause. Doch weite Teile Aleppos, der syrischen Millionenstadt, lagen da schon in Schutt und Asche – Naders Haus inklusive.
Über die Türkei gelang ihnen die Flucht nach Norwegen. Gedankenversunken rührt der Zahnarzt in seinem Kaffee. Ohne die Hilfe von ein, zwei Wissenschaftlern von der Universität Oslo hätte er nie ein Visum bekommen.
"Ich habe phantastische Leute in Norwegen kennen gelernt. Sie haben mir wirklich geholfen. Ohne sie wäre ich heute nicht hier. Meine Kinder haben wieder ein sicheres Zuhause. Sie gehen auf eine tolle Schule. Sieh mal: Die Whatsapp-Nachricht habe ich vorhin erhalten. Von meiner Nachbarin. Wir wollen nächste Woche zusammen einen Ausflug in die Berge machen. Das Problem ist: Ich habe kein Auto. Also habe ich sie gefragt: Könntet ihr uns vielleicht mitnehmen? Habt ihr Platz? Sie hat mit einem norwegischen Sprichwort geantwortet: Wo Platz im Herzen ist, ist immer Platz."
Nader zeigt auf sein Smartphone. Lin, seine achjährige Tochter, schickt ihm ab und zu auch Nachrichten. Auf Norwegisch.

Die Kinder sprechen schon fließend Norwegisch

"Sie und ihr Bruder sprechen fließend Norwegisch. Jaja. Sie verbessern uns schon. Lin antwortet sogar auf Norwegisch, wenn ich mit ihr Arabisch rede. Das finde ich nicht so toll. Letztens hat sie mit ihrem Großvater in Aleppo telefoniert. Es war ein einziges Gestotter. Sie kann nicht mehr richtig Arabisch."
Nader gibt sich einen Ruck. Rumzumeckern: Das ist normalerweise nicht seine Art. Selbst wenn er Grund dazu hätte. Hiba, seine Frau, hat immer noch keine anständige Arbeit – trotz guter Norwegisch-Kenntnisse und ihres syrischen Universitätsabschlusses. Ingenieurin ist sie. Doch Norwegen, hat ihr gleich zu Beginn die Frau von der Einwanderungsbehörde gesagt, brauche keine zusätzlichen Ingenieure, sondern Pflegerinnen, Krankenschwestern, Kassiererinnen. Der sonst so optimistische Syrer schüttelt den Kopf. Soll sich einer einen Reim machen – auf die Norweger – die norwegische Politik ganz zu schweigen. In Kürze tritt ein neues, verschärftes Einwanderungsgesetz in Kraft. Es sieht vor, dass nur derjenige einen permanenten Aufenthaltsstatus erhält, der sich mindestens ein Jahr lang selbst finanziert und Steuern gezahlt hat. Auf den Weg gebracht hat das Gesetz: Die Fortschrittspartei.
"So ist das in der Politik. Die Norweger denken, dass sie keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen können?! OK! Ihr Land. Ihr Entschluss. Die norwegische Regierung beschließt, Flüchtlingen lieber in Lagern in der Türkei und dem Libanon zu helfen?! OK! Ihr Entschluss. Aber zu denken, dass sich Flüchtlinge davon abhalten lassen, nach Norwegen zu kommen, in dem man den Flüchtlingen, die schon da sind, das Leben schwer macht: Nein, das ist keine gute politische Entscheidung. Ich erwarte nicht, dass sich durch die Parlamentswahl für uns viel ändert. Es heißt, die linken Parteien tun mehr für Flüchtlinge. Hoffen wir das Beste. Ich wäre schon froh, wenn sie uns nicht noch mehr Steine in den Weg legten. Unser Leben geht weiter. Wir werden uns durchbeißen – egal ob unter den Linken oder den Rechten."
Die Flüchtlingsfrage: Sie spielt auch für ihn hier eine wichtige Rolle.
"Jetzt gucken wir mal. Ja, hier. Also: Solidarität bedeutet Menschen zu helfen, die Hilfe brauchen."
Deutsche Töne in Norwegen: Das ist trotz diverser deutscher Ärztinnen und Krankenpfleger im Land der Fjorde und endlosen Tunnel immer noch die Ausnahme. Ernst-Modest Herdieckerhoff lacht. Ein Exot ist er in mehrerlei Hinsicht. Es ist Montagnachmittag. Lørenskog, die Pendlerstadt östlich von Oslo. E-Mo, wie ihn alle hier nennen, packt die Wahlkampfflyer der Grünen in seinem Büro im Rathaus zur Seite. Seit zwei Jahren ist der Theologe, den es wegen der Liebe nach Norwegen verschlagen hat, Vize-Bürgermeister der 38.000-Einwohnergemeinde; seit dem Erfolg der Grünen bei der Kommunalwahl 2015.
Ernst-Modest Herdieckerhoff, grüner Vize-Bürgermeister von Lørenskog
Ernst-Modest Herdieckerhoff, grüner Vize-Bürgermeister von Lørenskog © Michael Frantzen
Knapp vier Prozent holte die Öko-Partei in Lørenskog, in Oslo sogar über acht Prozent. Erstmals in der norwegischen Geschichte ist mit den Grünen zu rechnen – auch beim Urnengang in anderthalb Wochen. Der Wahlkampf in der gesichtslosen Stadt mit den zwei Riesen-Einkaufszentren: Er plätschert vor sich hin. Zum Leidwesen E-Mos.
"Insgesamt erlebe ich vielleicht die Norweger als etwas konfliktscheuer. Was nicht unbedingt was Negatives ist. Manchmal haben auch Deutsche etwas die Tendenz, mit der Tür ins Haus zu fallen. Das ist so ne Sache, wo ich dann auch nen bisschen arbeiten musste, um dann nicht entweder frustriert zu sein. Oder .. anders dazustehen, als ich es eigentlich wollte."

Der norwegische Hans-Christian Ströbele

Wenn irgendwie möglich fährt E-Mo durch Lørenskog mit dem Fahrrad. Der Hans-Christian Ströbele der norwegischen Politik schließt sein Rad ab, ehe er auf die Uhr an der Bushaltestelle schaut: Kurz vor fünf: Dann müsste der Bus ins Osloer Stadtzentrum bald da sein. Er will noch in der Wahlkampfzentrale der Grünen vorbeischauen, um sich mit ein paar Mitstreitern aus seinem Wahlbezirk kurzzuschließen. Über die Flüchtlingspolitik. Und ein weiteres urgrünes Thema: Nachhaltigen Städtebau.
"Man kann ja nicht nur einfach Häuser bauen. Die Leute bekommen Kinder, die Kinder wollen in den Kindergarten, in die Schulen. Wir brauchen mehr Ärzte, wir brauchen mehr Plätze für ältere Leute. Das muss man im Hinterkopf haben, wenn man ausbaut. In Lørenskog ist es jetzt so, dass wir jetzt alle zwei Jahre einen neuen Kindergarten bauen. Und alle vier Jahre ne neue Schule. Das sind schon wahnsinnige Kosten, die auf die Kommune zukommen."
Gut eine halbe Stunde dauert die Busfahrt von Lørenskog nach Grønland, dem Multikulti-Viertel Oslos. Die Grünen haben hier ihre Wahlkampfzentrale, in einem etwas heruntergekommenen Gebäude, dessen Tage gezählt sind. Nach der Wahl soll es Platz machen für ein neues Bürohaus. Der überhitzte Immobilienmarkt Oslos kommt einfach nicht zur Ruhe.
Hektisch ist es in der grünen Wahlkampfzentrale. Hektisch und bunt. An den Wänden: Knallige Wahlplakate und Post-Its mit Hinweisen, was die nächsten Tage ansteht. In den Glasbüros: Abgesehen von E-Mo meist junge Leute. Nora ist eine von ihnen.
"Ich hab als Kind viel Bibi Blocksberg gehört."
Noras leiblicher Vater ist Deutscher, deshalb die Sache mit Bibi Blocksberg, dem Kinderhörspiel. Die muntere 18jährige engagiert sich zum ersten Mal politisch bei einer Wahl. Die Guten und die Bösen: Für sie sind die Rollen klar verteilt. Die Guten: Das sind die Grünen. Die Bösen: Die Rechten.

"Norwegen hat 2017 viel zu wenig Migranten angenommen"

"Die Rechtspopulisten – Fremskrittspartiet – sind zwar nicht AfD, aber sie sind schon rechts. Und die haben auch Repräsentanten, die nicht gerne Flüchtlinge annehmen wollen. Norwegen hat ja nicht viele Migranten jetzt in 2017 angenommen. Viel zu wenig, würde ich sagen."
Nora Heyerdahl, grüne Aktivistin in der Wahlkampfzentrale der Grünen in Oslo
Nora Heyerdahl, grüne Aktivistin in der Wahlkampfzentrale der Grünen in Oslo © Michael Frantzen
Nora hat sich an einen freien Platz gesetzt – neben dem jungen Typen mit den blonden Locken. Eigentlich sollte sie jetzt das Parteiprogramm durchackern, doch sie kommt nicht richtig voran. Ganz schön trocken. Außerdem macht ihr immer noch die Sache mit den Sozialdemokraten zu Schaffen. Jonas Gahr Støre, der sozialdemokratische Spitzenkandidat, hat gerade eine Koalition mit den Grünen ausgeschlossen – es sei denn, die Öko-Partei rückt von ihrem Plan ab, vor der Küste Norwegens keine weiteren Erdölfelder zu erschließen. Die Abiturientin kann es immer noch nicht fassen.
"Das finde ich frech. Und unklug. Die sehen, dass wir gefährlich werden können. Wir hatten ja die letzten Jahren eine Riesen-Steigerung in den Umfragen. Na ja, das finden die natürlich nicht so cool."

Die Grünen liegen momentan über der Vier-Prozent-Hürde

In den letzten Umfragen lagen die Grünen über der Vier-Prozent-Hürde. Mehr als vier Prozent: Das hieße bis zu neun Abgeordnete im Storting, dem norwegischen Parlament. An Nora soll es nicht scheitern. Nächste Woche hat sie ihren ersten Auftritt bei einer Schul-Debatte zur Parlamentswahl – als Grünen-Vertreterin.
"Norwegen ist in vielen Dingen im Schulsystem nicht das beste Land. Aber Demokratie: Da gewinnen wir immer irgendwelche Tests, wo man am meisten Demokratie-Gefühl bei den Schülern findet. Dass Norwegen Schüler entwickelt, die sehr demokratiebewusst sind. Und das ist auch mein Eindruck."
Es ist Abend geworden. Nora macht sich im Versammlungssaal eifrig Notizen. Der Referent gerade soll ihr und den anderen das grüne Wahlprogramm näher bringen - und bei der Gelegenheit ein paar Kniffe fürs Debattieren mit auf dem Weg geben. Schließlich steht einiges auf dem Spiel. Für die Grünen und Nora gleichermaßen. Davon kann auch ihre Familie ein Lied singen.
"Meine Mutter habe ich überzeugen können. Meine Mutter wird grün wählen."
"We are a party that wants to come into power."
Eine Partei, die unbedingt an die Macht will: Luftlinie mögen es nur gut drei Kilometer von der Grünen-Wahlkampfzentrale bis zum minimalistischen Besprechungszimmer der Zentrumspartei im norwegischen Parlament sein: Doch mental liegen Lichtjahre zwischen beiden Parteien.
"You are just lucky. (lacht) I came in this morning."

Die Zentrumspartei könnte das Zünglein an der Waage werden

Heute morgen erst ist sie zurückgekommen – aus ihrem Wahlkreis hoch im Norden: Die Fraktionsvorsitzende der Zentrumspartei, Marit Arnstad. Nur eine kurze Stippvisite, dann geht es zurück auf Wahlkampftour. Zu ihren Leuten, wie die Frau im Designer-Kostüm das nennt. Den harten Arbeitern und Landwirten, die sich zunehmend abgehängt fühlen.
"Vor ein paar Wochen gab es in meinem Wahlkreis einen Verkehrsunfall. Die nächste Polizeistreife war 180 Kilometer entfernt. 180 Kilometer! Das ist doch ein Witz. Die einzigen, die relativ schnell zum Unfallort kamen, war die Feuerwehr. Die Feuerwehr ist ja eine kommunale Einrichtung, anders als die Polizei. Es kann nicht sein, dass sich der Staat aus der Fläche zurückzieht. Das schafft Unsicherheit."
Marit Arnstad, Fraktionsvorsitzende der Zentrumspartei
Marit Arnstad, Fraktionsvorsitzende der Zentrumspartei © Michael Frantzen
Arnstad macht einen entspannten Eindruck. Kein Wunder: In den Umfragen hat ihre traditionell ländlich geprägte Partei kräftig zugelegt, auf fast zehn Prozent. Nach der Wahl könnte die Zentrumspartei Zünglein an der Waage sein – zum Leidwesen der Fortschrittspartei. Zu verdanken hat sie das ihrem Parteivorsitzenden, dem neuen Posterboy der norwegischen Politik, Trybve Vedum. Vedum ist 39, Landwirt und ziemlich smart. Smart und populistisch – werfen ihm seine Kritiker vor. Ein Demagoge, der gegen Oslo hetze; das Establishment; die ausufernde Bürokratie. Arnstads Gesichtszüge verfinstern sich. Das schon wieder. Auf solche Vorwürfe hat sie keine Lust. Auf einen weiteren Klassiker aus dem Repertoire der Zentrumspartei umso mehr: Die EU-Schelte.
"Ja. Wir denken, dass die norwegische Regierung Brüssel gegenüber zu unterwürfig ist. Sie setzt jede EU-Vorgabe um – egal, ob sie für Norwegen geeignet ist oder nicht. Gerade erleben wir es wieder: Norwegen soll aufgrund einer EU-Vorgabe seine Eisenbahn privatisieren und dem Wettbewerb öffnen. Davon halten wir gar nichts. Norwegen ist ein dünnbesiedeltes Land. Viele Strecken sind unprofitabel. Wenn wir diese EU-Vorgabe umsetzen, verschwenden wir Geld. Doch wir müssen uns daran halten, weil wir Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum sind. Damit sie mich nicht falsch verstehen: Wir von der Zentrumspartei sind für internationale Zusammenarbeit; europäische Zusammenarbeit. Aber die EU?! Siebzig Prozent aller Norweger sagen nach wie vor: Wir wollen nicht in die Europäische Union."
Arnstad springt auf. Sie hat es eilig. Morgen will sie in aller Herrgottsfrühe Oslo verlassen – Richtung Norden. Mit ihrem alten Volvo wird sie ihren Wahlkreis abklappern - und von einem Ministerinnen-Posten träumen – nach der Wahl am elften September.
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