Norwegen

"Man lernt und es gibt viel Polizei"

Polizisten stehen vor der Insel Utoya
Polizisten stehen vor der Insel Utoya, auf der in diesem Sommer erstmals nach dem Anschlag von 2011 wieder ein Jugendlager stattfindet © picture alliance / dpa / Vegard Wivestad Groett
Nils Morten Udgaard im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 07.08.2015
Vier Jahre nach dem Massaker findet das Ferienlager auf der norwegischen Insel Utoya erstmals wieder statt - mit einer Rekord-Teilnahme und einer hohen Polizeipräsenz. Trotzdem sei nicht alles aufgearbeitet, beklagt der Journalist Nils Morten Udgaard.
Es sei bis heute unklar, wieso der Täter Anders Behring Breivik damals so lange "herumtoben" und so viele junge Leute erschießen konnte, sagte der Redakteur der norwegischen Zeitung "Aftenposten" am Freitag im Deutschlandradio Kultur. Die Tat des Terroristen habe ja einige Zeit gedauert.
"Die norwegische Gesellschaft hat diese Sache ziemlich ruhig hinter sich gelassen", sagte Udgaard dennoch über den Umgang mit dem Verbrechen. Beim heute beginnenden Sommerlager, zu dem sich mehr als tausend Jugendliche angemeldet haben, gebe es keine Angst mehr. "Man lernt natürlich nach so einem Massaker und es gibt viel Polizei", sagte Udgaard über das erste Jugendcamp der sozialdemokratischen Partei seit dem Anschlag im Juli 2011.
Auch für das geplante Denkmal gebe es breite Unterstützung. "Man will das nicht verdrängen, nicht verneinen, aber man wird weitergehen", sagte der Journalist.

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Wenn man es positiv fassen will, dann kehrt ein Stück Normalität zurück nach Norwegen, nach Utoya, auf die kleine Insel in der Nähe Oslos, die vor vier Jahren der ganzen Welt bekannt wurde durch das Massaker des Anders Breivik – Normalität in dem Sinne, als dass das dortige Sommercamp der sozialdemokratischen Jugend erstmals seit dem Massaker wieder stattfindet. Für viele in Norwegen kommt diese Normalität allerdings auch zu früh. Ich spreche über diese Diskussion jetzt mit Nils Morten Udgaard, Redakteur der norwegischen Zeitung "Aftenposten". Guten Morgen!
Nils Morten Udgaard: Guten Morgen!
Frenzel: Wieder ein Sommerjugendcamp auf Utoya, ist das ein richtiger Schritt oder kommt er für Sie zu früh?
Udgaard: Ich glaube eigentlich nicht. Es hieß von Anfang an, die wollen diese Institution stemmen nach diesem Massaker. Und man hat dann diskutiert vor zwei Jahren, dann hat man gesagt, es ist zu früh, man macht eine Denkpause, und jetzt macht man es. Und ich glaube, es wird richtig angenommen. Da gibt es eine kleine Gruppe, die dabei waren bei diesem Massaker, die überlebt haben, und dann die große Gruppe und das ist eine Rekord-Teilnahme, dies sind neue junge Leute.
Frenzel: Es ist ja erstaunlich, dass sich sehr viele Jugendliche angemeldet haben, über tausend, es herrscht offenbar keine Angst mehr in Norwegen.
Udgaard: Nein, das tut es nicht, und man lernt ja natürlich nach so einem Massaker und es gibt viel Polizei, und eigentlich gibt es jetzt keine Angst. Die norwegische Gesellschaft hat diese Sache, würde ich sagen, ziemlich ruhig hinter sich gelassen.
Insel mit Tradition
Frenzel: Wie hat denn Ihre Zeitung "Aftenposten" im Vorfeld über diese Entscheidung der sozialistischen Arbeiterpartei berichtet?
Udgaard: Man hat eigentlich akzeptiert, dass jetzt nach vier Jahren, wenn man nicht sagen will, wir gehen nie wieder zurück, dann war das eine angemessene Zeit, und jetzt macht man weiter. Es ist ja eine Insel mit vielen Traditionen für die Arbeiterpartei, für die Sozialdemokratischen in Norwegen, und es war wichtig für die, daran anzuknüpfen und das Geschehene sozusagen etwas hinter sich zu lassen.
Frenzel: Wenn ich Sie persönlich frage als Norweger, als jemand, der damals auch ganz nah Zeuge dessen war, was passiert ist, wie viel Abstand konnten Sie persönlich zu der Tat und auch zu dem Täter in den vergangenen vier Jahren gewinnen?
Udgaard: Es ist bemerkenswert, wie fern der Täter in Norwegen eigentlich geworden ist. Er wurde schnell verurteilt, 20 Jahre Gefängnis, er sitzt ein. Das Interesse ist nicht so groß für ihn. Er durfte – das zeigt ja die Haltung –, er durfte nicht an der Beerdigung seiner Mutter teilnehmen, ein paar Jahre nach seiner Verhaftung. Er durfte nachher zum Grab gehen alleine mit einer Polizeieskorte. Und so wird also sehr genau aufgepasst, und er darf auch nicht frei im Internet austoben.
Damaliger Regierungschef Stoltenberg hat das sehr gut gemacht
Frenzel: Würden Sie sagen, die norwegische Gesellschaft und der Staat sind insgesamt gut mit den Opfern wie auch mit dem Mörder umgegangen?
Udgaard: Das, was eigentlich die politische Wirkung war, die Arbeiterpartei, die haben damals regiert, die Sozialdemokraten, und die haben das sehr geschickt hantiert als einen Angriff gegen die Partei, und man hat viel Sympathie. Der Regierungschef Jens Stoltenberg hat das sehr gut gemacht. Was gefehlt hat nach meiner Meinung, ist, dass man eine politische Auseinandersetzung darüber gehabt hat. Die große Frage war, warum hat die Polizei so versagt, dass ein Terrorist so lange da rumtoben konnte und so viele junge Leute erschießen. Das hat ja sehr viel Zeit gedauert.
Frenzel: Da sind politische Fragen, Fragen des Gedenkens, Fragen der Erinnerung, die drehen sich ja auch um eine Debatte, und da sind wir wieder auf Utoya, eine Debatte um ein Mahnmal, das dort entstehen soll. Wie sehen Sie das, ist ein Sommercamp am Ende besser als ein Denkmal aus Stahl und Stein?
Udgaard: Es wird ein Denkmal da sein, wie es genau aussehen wird, das wird wohl noch diskutiert, aber das wird man sozusagen hinter sich lassen, indem man ein Monument hat. Man will das nicht verdrängen und nicht verneinen, aber man wird weitergehen. Und ich glaube, das hat eine breite Unterstützung in der Partei und unter den Jugendlichen. Diese Unterstützung wird noch größer werden mit der Zeit.
Frenzel: Nils Morten Udgaard, Redakteur der norwegischen Zeitung "Aftenposten", ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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