Nordmänner am Rhein

Von Christoph Gehring · 14.12.2008
Dass die Wikinger Helme mit Hörnern trugen, ist ein Bild, das vermutlich erst im 19. Jahrhundert aufgekommen ist. Und sie waren auch nicht nur Plünderer und Piraten. Eine Ausstellung in Speyer räumt mit Klischees auf. Sie zeigt die Wikinger vor allem als geniale Schiffsbauer und Seefahrer.
"Wir räumen damit auf, dass man die Wikinger nur definiert als Plünderer, als Schatzräuber, als Piraten. Die Wikinger waren sehr viel mehr. Sie waren auch einfache Bauern, sie waren Staatengründer, Entdecker beispielsweise Nordamerikas, sie waren Händler und sie waren vor allem geniale Schiffsbauer und geniale Seefahrer."

Und deswegen steht Alexander Koch jetzt stolz in einer genialen Ausstellung. Alexander Koch ist der Direktor des Historischen Museums der Pfalz in Speyer und hat zusammen mit seinem Team die legendären Nordmänner an den Rhein geholt. Eine Zeitreise in mehr als 300 Exponaten. Manche winzig klein wie die Spielsteine aus schwarzem Granit oder die Flöte aus Knöchelchen vom Wal. Andere riesengroß wie der Nachbau des Wikingerschiffs, das gleich hinter der ersten Tür vor Anker gegangen ist.

Nun gut: Der Rohbau eines Nachbaus eines Wikingerschiffs, hergestellt von dem Bildhauer Beat Künzler, der allerdings einer Nation entstammt, welche die Geschichte der Menschheit - anders als die Wikinger - nicht unbedingt durch Spitzenleistungen im Schiffsbau bereichert haben:

"Ich komme aus der Schweiz. Meine Worte werden nicht so kullernd fallen, wie wenn ich Hochdeutsch sprechen würde oder besser: könnte. Sie sehen ja gar kein ganzes Wikingerschiff, werden Sie jetzt sagen: Das ist ja nur ein halbes, es ist eine Baustelle. Die Idee ist, dass man an diesem Objekt nachempfinden kann, wie so ein Schiff gebaut wurde. Man hat keine Sägespuren gefunden an den gefundenen Schiffsteilen, also wurden die mit Äxten gebaut. Man hat Äxte gefunden. Und es war mein Ehrgeiz, das auch so herzustellen."

Tatsächlich: Die Wikinger hatten keine Sägen. Stattdessen spalteten sie Baumstämme, bevorzugt frisch gefällte Eichen, mit Äxten und schlugen mit kleineren Äxten dicke Bretter daraus, die sie mit noch kleineren Äxten zu flexiblen, aber stabilen und überraschend glatten Planken hackten und mit Holzdübeln zu Schiffen zusammenbauten.

Die Modellpalette war ziemlich diversifiziert, es gab für jeden Zweck das richtige Schiff: Bauchige Handelsschiffe, schlanke Kriegsschiffe, Schiffe für Küstengewässer, kleine Beiboote und, und, und. Oder, um es mit den Worten von Sabine Kaufmann, einer der beiden Projektleiter für die Wikinger-Ausstellung zu sagen:

"Also Schiff ist nicht Schiff. Es gab die sogenannten Langschiffe, die waren sehr schnell, sehr wendig. Alle Wikingerschiffe konnten sowohl gerudert als auch gesegelt werden, die Langschiffe hatten im Vergleich sehr viele Ruderpaare, denn die mussten in jeder Situation sehr wendig sein. Langschiffe waren also Kriegsschiffe, die man gerne für Überfälle verwendet hat - da konnte man jetzt schlecht auf den richtigen Wind warten."

Während die Männer auf See und im Eroberungskrieg ihren Ruf als blutrünstige Barbaren festigten, überließen sie zuhause das Regiment den Wikinger-Frauen. Auch das zeigt die Ausstellung, die an vielen Stellen in kühles nordisch-blaues Licht getaucht ist.

Und sie zeigt auch, dass die Rauhbeine aus dem Norden nicht nur gewalttätig waren, sondern auch schlau: Sie rangen den kargen Böden ihrer Heimat erfolgreichen Landbau ab. Und weil es im Osten keine reichen Klöster gab, die zu überfallen sich gelohnt hätte, trieben sie mit den Slawen, Balten und Finnen ganz zivilisiert Handel, statt sie zu metzeln.

Die Raubzüge der Wikinger im Westen hingegen, die waren brutal. An einem Computer lässt sich - in entschärfter, kindersicherer Form natürlich - die Plünderung eines englischen Klosters nachspielen. Und die Waffen in den Vitrinen geben eine Ahnung davon, dass die Wikinger keine Gefangenen machten. Sabine Kaufmann:

"Was wir hier zeigen, ist eine Streitaxt, die einmal geschäftet ist, damit man mal die enorme Länge sehen kann. Die ist jetzt vielleicht ein bisschen sehr lang geraten, aber es gibt zeitgenössische Abbildungen auf dem Teppich von Bayeux: Da sieht man, diese Äxte sind oft mannslang und waren damit wirklich eine fürchterliche Waffe. Der einzige Vorteil für die Angegriffenen bestand darin, dass diese Äxte zweihändig geführt worden sind und der Krieger dadurch eben kein Schild mehr führen konnte und war dadurch selbst auch leicht angreifbar."

Stunden kann im Historischen Museum der Pfalz zubringen, wer alle Ausstellungsstücke anschauen, alle Multimedia-Präsentationen von vorne bis hinten durchgehen, alle Erklärtafeln lesen will. Und für die Vertiefung des Wikinger-Wissens gibt es noch einen aufwändigen, 400 Seiten starken Katalog.

Eine große Enttäuschung aber bereitet die Speyerer Ausstellung dann doch: Kein Hörnerhelm weit und breit. Dabei wissen wir doch alle seit "Wickie und die starken Männer", spätestens aber seit den Hägar-Cartoons, dass die Wikinger Metallhelme mit Hörnern dran trugen. Denkste.

"Helme mit Hörnern aus der Wikingerzeit gibt es definitiv nicht. Und die Wikinger hatten keine solchen Helme auf und haben auch keinen gekannt, der solche Helme trug. Also das ist ein komplettes Klischee, das vermutlich im 19. Jahrhundert entstanden ist. Da hat sicher die Inszenierung der Nibelungenoper einen großen Anteil dran."

Wagner ist also schuld am falschen Wikinger-Bild der Neuzeit. Und allein für die Erkenntnis hat sich jeder Weg nach Speyer schon gelohnt. Das letzte Wort gebührt aber dem Hausherr, Museumsdirektor Alexander Koch. Der fasst noch einmal zusammen, wie die Wikinger den Weg an den Rhein gefunden haben und wieso die Wikinger-Ausstellung gerade heute aktueller ist denn je:

"Seit gut 20 Jahren hat es keine große Wikinger-Ausstellung gegeben im deutschsprachigen, ja im europäischen Rahmen. Das ist für uns ein wichtiger Anlass. Zum zweiten weil sich unser Blick auf die Wikinger natürlich gewandelt hat. Neue Ausgrabungen haben unsere Vorstellungen gehörig durcheinandergewirbelt, das wollten wir skizzieren.

Und zum dritten der Punkt, dass ein Thema wie die Globalisierung kein Thema des 21. Jahrhunderts ist, sondern dass hier im Grunde genommen im 9., im 10., im 11. Jahrhundert schon die entsprechenden Wirkungen hatte. Also im Grunde genommen ein Thema, das nichts von seiner Aktualität verloren hat."