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Atomindustrie
"Das Elend können sie gerne behalten"

Der Vorstoß der Atomindustrie, die Kernkraftmeiler und damit auch deren Abwrackrisiken dem Staat zu übertragen, trifft bei den Grünen auf Ablehnung. Die Stromkonzerne seien für die Entsorgung selbst verantwortlich, sagte der schleswig-holsteinische Umweltminister Habeck im Deutschlandfunk.

Robert Habeck im Gespräch mit Peter Kapern | 12.05.2014
    Robert Habeck, stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Energiewende in Schleswig-Holstein
    Robert Habeck, stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Energiewende in Schleswig-Holstein (dpa/Bodo Marks)
    Habeck pocht darauf, dass die Atomkonzerne für den Betrieb und Rückbau der Kernkraftwerke zuständig bleiben. Im Deutschlandfunk warnte er die Bundesregierung davor, über eine Auslagerung des Geschäftsrisikos in eine öffentlich-rechtliche Stiftung zu verhandeln. "Politik und Staat sollten sich nicht erpressbar machen", sagte Habeck.
    Seit 40 Jahren - dem Beginn der Atomenergie - hätten die Konzerne gewusst, dass dieser Tag kommen wird. "Es kann nicht sein, dass die bestehende Gesetzeslage jetzt als Überraschung dargestellt wird." Die Atomindustrie habe jahrelang mit den Kernkraftmeilern Geld verdient und müsse auch für deren Entsorgung aufkommen.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Das Ende der Atomkraft in Deutschland ist absehbar, wenn nicht noch einmal der Ausstieg vom Ausstieg beschlossen wird, aber danach sieht es ja derzeit nicht aus. Aber selbst wenn der letzte Meiler vom Netz genommen worden ist, ist das Kapitel damit noch nicht beendet. Die Atomkraftwerke müssen abgerissen, der Atommüll muss sicher für zig Tausende Jahre eingelagert werden. Das kostet Geld und sogar viel Geld. Rund 36 Milliarden haben die Energiekonzerne, die Atomkraftwerke betrieben haben, dafür zurückgelegt. Und nun haben diese Unternehmen dem "Spiegel" zufolge eine neue Idee: Die Atomkraftwerke sollen in eine Stiftung ausgelagert werden, die 36 Milliarden geben sie als Stiftungsvermögen dazu, und um den ganzen Rest, inklusive des Kostenrisikos, soll sich dann der Staat kümmern. – Bei uns am Telefon der Umweltminister Schleswig-Holsteins, Robert Habeck. Guten Morgen!
    Robert Habeck: Guten Morgen!
    Kapern: Herr Habeck, was halten Sie von dieser Idee?
    Habeck: Die Hälfte der Idee, die würde ich nehmen, nämlich dass wir das Geld den Atomkonzernen wegnehmen. Die andere Hälfte, dass das Risiko und auch der Betrieb an den Staat geht, die können die gerne behalten.
    Kapern: Warum wollen Sie nur das Geld?
    Atomkonzerne in der finanziellen Klemme
    Habeck: Der Vorschlag der Atomkonzerne zeigt ja, dass es offensichtlich schwierig ist, das Geld aufzubringen. Das gibt es im Moment nämlich nur auf dem Papier. Es ist gegen kritische Stimmen über Jahre, im Grunde die letzten zehn Jahre versäumt worden, dieses Geld, das nur in den Büchern steht, tatsächlich real einzusammeln, und jetzt sind sie in der finanziellen Klemme, weil die Energiewende voranschreitet, die Atomwirtschaft sich nicht mehr lohnt, und gucken ein bisschen dumm in die Röhre. Das heißt aber nicht, dass sich die Politik und der Staat erpressbar machen sollten und sagen, na ja, dann drucken wir eben jetzt das Geld, wie schon lange vereinbart, aber wir betreiben die Atomkraftwerke - stellen Sie sich das mal vor, dass der deutsche Staat Atomkraftwerke betreibt - und wir übernehmen für alle Zeiten das finanzielle Risiko. Die haben das Geld verdient mit den Atomkraftwerken, sie müssen auch für die Entsorgung haften.
    Kapern: Sie sagen, diese 36 Milliarden, die stünden nur auf dem Papier. Damit meinen Sie sicherlich, dass sie in Rücklagen stecken, deren genauen Wert so genau niemand kennt. Kann es eigentlich sein, dass von diesen 36 Milliarden in der Realität gar nicht mehr so viel da ist?
    Habeck: Das ist die große Sorge und das ist keine neue Sorge, sondern das ist seit langem bekannt, dass der Zugriff möglicherweise schwer wird auf das Geld und dass da nachher Atomruinen herumstehen, die dann eigentlich rückgebaut werden müssten und entsorgt werden müssten von RWE, E.On und Vattenfall etc., aber in Wahrheit dann die sagen, aber wir sollen wir das machen, das Geld geht nicht, und dann zahlt der Steuerzahler den Rückbau der Atomkraftwerke, während die Gewinne bei den Konzernen geblieben sind, bleiben die Kosten beim Steuerzahler hängen. Das ist seit langem bekannt, aber das ist jetzt genau die noch mal konkreter werdende Sorge, weil ja der Vorstoß der Konzerne – das sind ja keine Leute, die sagen, wir schenken euch mal was, sondern sie schenken uns das Elend - und das Elend können sie gerne behalten.
    Kapern: Wie sollen denn die Konzerne den Ausstieg bezahlen, wenn das Geld tatsächlich nicht abgreifbar ist, wie Sie vermuten?
    Rückbaukosten insolvenzsicher einsammeln
    Habeck: In aller-, aller-, allerletzter Konsequenz wäre es natürlich dann wie immer der Staat. Aber so weit sind wir ja noch nicht. Noch gibt es ja die Konzerne, noch funktionieren sie, noch machen sie Gewinne und insofern, meine ich, müsste die Politik jetzt das, was sie eigentlich schon vor ein paar Jahren hätte machen können, dringend umsetzen: Sie müsste dieses Geld insolvenzsicher einsammeln. Das wäre eine Fondslösung. Aber das heißt nicht, dass wir auch über den Rückbau – dafür ist das Geld ja da – das Risiko übernehmen für den Betrieb und auch die Endlagerung der Atomkraftwerke, und dann noch die Klage, die die Atomkonzerne gegen den Merkel-Beschluss nach Fukushima eingebracht haben, damit zu verhandeln, geht gar nicht, meine ich.
    Kapern: Warum? Das würde doch die Bilanz unter dem Strich verbessern, wenn die Konzerne auf den Schadenersatz verzichten würden, der ihnen ja doch, wie es derzeit aussieht, wahrscheinlich zusteht.
    Habeck: So weit sind wir noch lange nicht. Es ist ja ein Beschluss der Bundesregierung, des Bundestages gewesen. Der wird aus meiner Sicht erst einmal, da müssen wir davon ausgehen, doch recht sicher sein. Und die Klage? Also wenn der Staat bei jeder Klage, die eingereicht wird, immer sagt, na gut, dann versuchen wir, uns finanziell gütlich zu einigen, dann ist er erpressbar. Wir brauchen rechtssichere Beschlüsse, rechtssichere Gesetze, und davon gehe ich aus, dass das hier passiert ist, und deswegen müssen wir an dieser Stelle nicht mit den Atomkonzernen darüber verhandeln, ob der Atomausstieg falsch war. Das, finde ich, geht eindeutig zu weit. Der einzige Schritt, der gegangen werden muss, ist, dass die Atomkonzerne sicher das, was sie gesetzlich machen müssen, auch einlösen können, nämlich den Rückbau der Atomkraftwerke, mit denen sie viele Jahre lang sehr, sehr gutes Geld verdient haben und jetzt auf einmal sagen, aber die Kosten für den Rückbau, die können wir nicht übernehmen. Das wussten sie seit 40 Jahren, seit Inbetriebnahme der Atomkraftwerke, dass dieser Tag kommen würde, und wenn sie jetzt dumm in die Röhre gucken, dann ist das politisch nicht akzeptabel.
    Kapern: Wäre Deutschland denn geholfen, Herr Habeck, wenn über den Atomausstieg einer oder gar mehrere der Energiekonzerne pleiteginge, mit den Zehntausenden von Arbeitsplätzen, die da dranhängen?
    Habeck: So weit sind wir ja noch lange nicht.
    Kapern: Aber das kann alles kommen.
    Kein Geld vom Staat hinterherwerfen
    Habeck: Ja. Aber das kann doch nicht den Umkehrschluss nahelegen, dass man sagt, im Vorfeld - noch verdienen die ja alle gutes Geld, die Vorstandsvorsitzenden, die jetzt diesen Vorschlag ausbaldowert haben, die dürften, obwohl ich nicht schlecht als Minister verdiene, ein X-Faches verdienen. Das sind ja große Margen, die dort verhandelt werden. Die sind ja nicht pleite. E.On ist doch nicht pleite. RWE hat ein bisschen Schwierigkeiten, weil die nicht erkannt haben, dass Deutschland die Energiewende umsetzt. Aber die anderen Konzerne laufen blendend und da sehe ich überhaupt gar keinen Bedarf, darüber zu verhandeln, denen jetzt auch noch weitere staatliche Unterstützungsmaßnahmen hinterherzuwerfen. Natürlich will niemand, dass die Konzerne pleitegehen, aber andererseits heißt die Energiewende auch, dass die Stromproduktion jetzt eben nicht mehr vier großen Stromkonzernen gehört, sondern Herrn Meyer und Frau Müller, und das war nun mal der Plan. Darauf haben die sich nicht eingestellt und in der Marktwirtschaft immer nur das Geld denen zu geben, die gestützt werden, aber dann im Zweifelsfall auch die Kosten für die Fehlinvestitionen zu übernehmen, das kann ja nicht die letzte Lösung sein. Und schon gar nicht im Bereich der Atomenergie, wo das, was sie hier vorschlagen, eigentlich nur bestehende Gesetzeslage ist.
    Kapern: Herr Habeck, was denken Sie, wie die Bundesregierung mit diesem Vorschlag umgehen wird?
    Habeck: Frau Hendricks hat das ja gestern sehr kalt zurückgewiesen. Das finde ich richtig, da habe ich mich drüber gefreut.
    Kapern: Und denken Sie, das gilt auch für die gesamte Regierung?
    "Wenn wir uns ein Auto kaufen ..."
    Habeck: Nein, das denke ich nicht, weil der Vorschlag ja, wie er im "Spiegel" kommentiert wurde mit den Worten, mit Teilen der Bundesregierung oder auch mit der Bundesregierung wird verhandelt, das ist ja der politische Sprech darüber, dass irgendeine Information durchgestochen wurde. Deswegen bin ich mir sicher, dass die CDU-Seite der Regierung das richtig findet und vielleicht auch lokalpolitische Interessen – RWE hat ja sozusagen seinen Stammsitz in NRW – da eine Rolle mitspielen. Aber noch einmal: Es kann nicht sein, dass das, was bestehende Gesetzeslage ist, jetzt als Überraschung dargestellt wird und dann der Staat einspringt. Wenn wir uns ein Auto kaufen und das Auto jahrelang fahren und auf einmal sagen, jetzt haben wir kein Interesse mehr daran, dann können wir es auch nicht an den Straßenrand stellen und sagen, soll ja die Politik beseitigen. Damit ist ja keinem geholfen, wenn ich das Auto irgendwie kaputt fahre oder irgendetwas. Das muss ich schon selber entsorgen.
    Kapern: Robert Habeck, der Umweltminister von Schleswig-Holstein. Das Gespräch haben wir heute Früh aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.