Norbert Lammert über Kurt Biedenkopf

Kein Sachse hielt Biedenkopf für einen Westimport

07:17 Minuten
Der ehemalige CDU-Politiker und Ministerpräsident von Sachsen Kurt Biedenkopf blickt in die Kamera. Auf dieser Aufnahme von 2019 ist er 89 Jahre alt.
Nicht nur als Politiker, sondern auch als Universitätsrektor und in der Wirtschaft war er erfolgreich: Kurt Biedenkopf (1930–2021). © picture alliance / dpa / Michael Kappeler
13.08.2021
Audio herunterladen
Der verstorbene CDU-Politiker Kurt Biedenkopf war der erste Ministerpräsident Sachsens nach 1990. Der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert hebt hervor, Biedenkopf habe eine große persönliche Autorität schon mit nach Dresden gebracht.
Der langjährige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf ist tot. Der CDU-Politiker ist nach Angaben der Sächsischen Staatskanzlei im Kreis seiner Familie friedlich eingeschlafen. Biedenkopf wurde 91 Jahre alt. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) würdigte ihn als eine große deutsche Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts und als klugen Visionär: "Ein großer Sachse ist von uns gegangen."
CDU-Chef Armin Laschet sagte, Biedenkopf sei ein Ausnahmepolitiker und "Landesvater im besten Sinne" gewesen – mit Verstand, Herzlichkeit und Leidenschaft.

Selbstbewusstsein für Land und Leute

Der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert hob an Biedenkopfs Wesen die Freude an der intellektuellen Auseinandersetzung hervor. Er kannte Biedenkopf seit den 70er-Jahren, als dieser Vorsitzender des Landesverbandes Westfalen der CDU war. Zudem waren beide in Bochum aktiv, wo Biedenkopf 1964 sehr jung Professor und später auch Rektor der Ruhr-Universität wurde.
Zu seiner Zeit als Ministerpräsident von Sachsen sagt Lammert: "Kurt Biedenkopf gehört zu den auffälligsten prominentesten Westimporten, die aber heute kaum ein Sachse für einen Import hält." Wenn heute regelmäßig über zu viele Westimporte geklagt werde, werde "unterschlagen, dass niemand von denen sozusagen als Besatzer ins Land gekommen sei, sondern dass sie gerufen worden sind". Er glaube, Helmut Schmidt habe einmal gesagt, Sachsen sei ein Glücksfall für Kurt Biedenkopf gewesen, aber Biedenkopf sei auch zweifellos ein Glücksfall für Sachsen gewesen. "Ich glaube, beides ist richtig", sagt Lammert, "und das zweite ist noch wichtiger als das erste."
Der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung hebt hervor, Biedenkopf habe eine große persönliche Autorität mitgebracht: "Ihm eilte ja schon damals, übrigens auch zu Recht der Ruf voraus, dass er eben nicht der typische Politfunktionär ist, schon gar nicht jemand, der das eigene Nachdenken zugunsten der eigenen Parteiführung eingestellt hat, sondern einen eigenen Kopf besitzt."

Früh ein überparteiliches Image in Sachsen

Wenn das eigene Nachdenken zu anderen Ergebnissen geführt habe als das seiner Parteifreunde, dann habe Biedenkopf eigene begründete Einwände nicht eilfertig zurückgezogen, sondern die Auseinandersetzung gesucht. "Ich glaube, dass das eine wesentliche Voraussetzung für seinen ersten Wahlerfolg war, dass er schon so eine Art überparteiliches Image und eine große intellektuelle Ausstrahlung mit in dieses neue alte Bundesland gebracht hat", sagt Lammert.
Biedenkopf habe dann aber auch die Erwartungen der Sachsen offenkundig so sehr übererfüllt, dass er gleich dreimal mit einer absoluten Mehrheit gewählt wurde – "was ja für die neuen Länder völlig beispiellos ist."
Auch der SPD-Politikerin Gesine Schwan fallen vor allem positive Attribute in der Erinnerung an Kurt Biedenkopf ein [AUDIO]: "sehr informiert, sehr intelligent, sehr analytisch, sehr schnell, sehr eloquent". Biedenkopf sei der "Wiederbegründer" Sachsens gewesen, sagt Schwan. Er habe hier an Traditionen anknüpfen können, "die ihm lieb waren". Es sei ihm wichtig gewesen, Land und Menschen Selbstbewusstsein zu vermitteln.

Kurt Biedenkopf hat sich selbst nie als Karriere-Politiker gesehen, berichtet Alexandra Gerlach in ihrem Nachruf [AUDIO]. Sein Anspruch war ein anderer. 2010 sagte er bei einer Festveranstaltung zu seinem 80. Geburtstag: "Ich fühle mich als jemand, der dem Land als Politiker gedient hat, der aber nicht seine gesamte berufliche Prägung aus der Politikertätigkeit ableitet. Und wenn mich einer fragt, was bist Du denn durchgängig gewesen, dann werde ich sagen, ich bin Lehrer gewesen, ein Lehrer, der immer lernt. Ich lerne bis heute, ich lerne dauernd, bin auch sehr neugierig."

Der Sozialexperte und ehemalige Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, Prof. Dr. Kurt Biedenkopf (CDU), aufgenommen am 12.01.2007 bei der mdr-Talksendung "Riverboat" in Leipzig.
© picture-alliance/ ZB | Thomas Schulze
Biedenkopf wurde am 28. Januar 1930 in Ludwigshafen am Rhein in Rheinland-Pfalz geboren und lebte mit seiner Familie zunächst in Schkopau bei Merseburg und später in Hessen, wo er auch sein Abitur ablegte. Er studierte in den USA und in Deutschland Politikwissenschaft, Rechtswissenschaften sowie Nationalökonomie. 1958 promovierte er zum Doktor der Rechte.
Mit 37 Jahren wurde der Jurist und Ökonom an der Ruhr-Universität Bochum Deutschlands jüngster Universitätsrektor, war danach Mitglied der Geschäftsführung des Henkel-Konzerns. 1973 wurde er auf Vorschlag des damaligen Parteichefs Helmut Kohl Generalsekretär der CDU.

Gründerzeit in Sachsen

Später avancierte Biedenkopf dann zum Rivalen Kohls. Biedenkopf sei machtbewusst gewesen und habe seinen Wert genau einschätzen können, sagt Schwan: "Das hat Kohl auf die Dauer nicht goutiert." Biedenkopf sei in dieser Zeit sehr aufgeschlossen und modern gewesen, so Schwan.
In den 1980er-Jahren machte er dennoch nur noch bei den Christdemokraten in Nordrhein-Westfalen von sich reden, am Ende des Jahrzehnts war Biedenkopfs politische Laufbahn im Grunde zu Ende. Doch die Wende in der DDR eröffnete ihm die Chance für ein Comeback.

"Streit ist der Vater des Fortschritts", sagte Kurt Biedenkopf 2008 in einem langen Gespräch mit dem Deutschlandfunk [AUDIO]. Aus Konsensbewegungen sei noch nie Innovation entstanden: "Vor allen Dingen, wenn der Konsens ein übergreifender sein soll in konkreten Fragen. Was ein Land braucht, ist ein Grundkonsens. Das ist aber etwas ganz anderes. Und auch über diesen inhaltlichen Grundkonsens bedarf es eines ständigen Dialogs. Denn jeder interpretiert natürlich die Elemente eines solchen Grundkonsens anders." Das Foto zeigt ihn 1975 an der Seite von Helmut Kohl.

Der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl (r) und der CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf erläutern am 1.12.1975 vor der Presse in Bonn die Endfassung der so genannten "Mannheimer Erklärung", die der Bundesvorstand der CDU auf seiner letzten Sitzung beraten und beschlossen hatte.
© dpa / Egon Steiner
Der CDU-Politiker Lothar Späth überredete ihn, in den Osten zu gehen und sich in Sachsen um das Amt des Ministerpräsidenten zu bewerben. Biedenkopf gab als Grund später an, er habe gemeinsam mit seiner Ehefrau Ingrid dem Land dienen wollen. So wurde er der erste sächsische Ministerpräsident nach der deutschen Wiedervereinigung.

Niederlage im parteiinternen Machtkampf

Sachsen erlebte unter seiner Führung in den 1990er-Jahren eine Gründerzeit. Drei Mal beschaffte er der Union im Freistaat bei Landtagswahlen eine absolute Mehrheit. Die Sachsen nannten ihn "König Kurt".
Das Ende von seiner Amtszeit war dann allerdings weniger rühmlich. Es gab Affären wie die um Rabattkäufe beim Möbelhaus Ikea, und einen Konflikt um seine Nachfolge. Letztlich unterlag Biedenkopf in einem parteiinternen Machtkampf seinem früheren Finanzminister Georg Milbradt.
Im April 2002 schied Biedenkopf im Alter von 72 Jahren aus dem Amt. Dennoch blieb er in der Sachsen-CDU präsent. Er arbeitete wieder als Rechtsanwalt, publizierte und engagierte sich als Ombudsrat für Hartz-IV-Beschwerden.
(ahe/mfu/epd/dpa)
Mehr zum Thema