Nora Chipaumire über Kultur und Klima

"Für mich als Afrikanerin gibt es keine Privilegien"

08:10 Minuten
Bühnenszene mit Schauspielern vor und auf einem Berg aus Holzkisten, die die Schriftzüge von Luxusmarken tragen.
Eine Szene aus einem Stück der Choreografin Nora Chipaumire. © Ian Douglas
Nora Chipaumire im Gespräch mit Susanne Burkhardt · 17.08.2019
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Der Kunstmarkt sei rassistisch, und auch Europa beute afrikanische Künstler aus. Das sagt die in Simbabwe aufgewachsene Choreographin Nora Chipaumire. Ihr Gegenrezept: "Wir müssen miteinander reden. Und das wird kein Spaß."
In ihrem neuen Stück verarbeitet die Choreografin Nora Chipaumire, die heute in New York lebt, ihre prägenden Jahre in Simbabwe, wo sie aufgewachsen ist. Zu erleben ist das Stück beim Festival Tanz im August in Berlin.
Susanne Burkhardt: Nora Chipaumire, inwieweit passen für Sie – die international gefeierte Choreografin - Begriffe wie lokal und global heute zusammen?
Nora Chipaumire: Ich weiß gar nicht ob sie überhaupt zusammen passen. Lokal und global. Ich glaube das ist längst eins. Für mich ist der Begriff "lokal" nicht erklärbar. Ich fühle mich keinem Ort lokal verbunden – ich muss ständig unterwegs sein.
Burkhardt: Gern wird hier in Europa vom Privleg des Künstlers reisen zu können gesprochen - empfinden Sie die Möglichkeit, ihre Kunst an verschiedenen Orten der Welt zu zeigen als Privileg?
Chipaumire: Ich würde nicht sagen, dass es ein Privileg ist - es hat vielmehr mit der Möglichkeit zu tun, zu Reisen. Ich komme aus dem globalen Süden – ich habe keine Wahl: Ich kann es mir gar nicht leisten, zu reisen - ich brauche eine Einladung dazu. Denn ich stamme nicht aus reichen Verhältnissen. Ich komme - anders als die europäischen Künstler, nicht aus einem Land, das mich unterstützt. Diese Frage stellen Sie vielleicht aus Ihrer europäischen privilegierten Sicht heraus. Für mich als Afrikanerin gibt es keine Privilegien. Ich tue das, was ich tun muss- um überhaupt in irgendeiner Form Spuren zu hinterlassen.

Stromversorgung als Privileg

Burkhardt: Sie sprechen in Bezug auf Ihre Herkunft aus Simbabwe von unterschiedlichen Zeitzonen – die zwischen Europa und dem globalen Süden liegen - was genau meinen Sie damit?
Chipaumire: Im globalen Süden - in einer Situation, wie sie in Simbabwe existiert, arbeiten wir in einer Art analogen Raum, in dem schon die Stromversorgung zu einem Privileg werden kann. Dann arbeitest Du mit dem, was die Natur dir anbietet. Und das entzieht sich dann natürlich auch hin und wieder unserer Kontrolle. Wenn ich davon spreche, dass ich in verschiedenen Zeitzonen arbeite, meine ich damit einen kulturellen Entwicklungsstand. Der ist selbst auf dem afrikanischen Kontinent ganz unterschiedlich: er ist in Simbabwe eben völlig anders als in Cape Town, Daressalam, Kinshasa, Burkina Faso oder Senegal.
Nora Chipaumire in rot-blaues Licht getaucht auf der Bühne.
"Ich mache Kunst für mich, oder Menschen wie mich: Afrikaner aus der Arbeiterklasse", so Nora Chipaumire© Ian Douglas
Burkhardt: Wenn Sie Ihre Arbeiten entwickeln, denken Sie darüber nach, was für ein Publikum Sie damit erreichen wollen – ein europäisches oder ein afrikanisches?
Chipaumire: Ich mache Kunst zuallererst für mich selbst. Ich produziere nicht extra für einen europäischen Kunstmarkt. Ich denke, es ist einfach gute Arbeit - also werden die Europäer es konsumieren - wie sie immer alles Gute von überall konsumiert haben - weil das eben im Kapitalismus üblich ist. Ich mache Kunst für mich, oder Menschen wie mich: Afrikaner aus der Arbeiterklasse. Menschen, die sich nach Gerechtigkeit sehnen.

Mangel an Verantwortung für alles, was nicht weiß ist

Burkhardt: Hier in Europa wird derzeit viel über den Klimawandel gesprochen – auch der Kulturbetrieb hinterfragt das eigene Reisen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Festivals. Ist das ein Thema, das Sie beschäftigt?
Chipaumire: Meine Haltung dazu ist: Europa – das haben wir Dir zu verdanken! Durch Deine Ausbeutung, deinen Mangel an Verantwortung für alles, was nicht weiß und europäisch ist. Die Natur einbezogen. Aber Sie müssen auch bedenken: Künstler sind immer gereist - schon in prähistorischen Zeiten - das gehört einfach zu ihnen – das ist nichts Neues. Neu ist höchstens die Häufigkeit der Reisen und die größeren Entfernungen. Aber reisen müssen – sie – das ist die Aufgabe von Künstlern: unterwegs zu sein – Freude zu verbreiten und zu teilen.
Ich sehe hier nicht ganz die Bedeutung für den Klimawandel. Diese Fragen sollten doch vielmehr den Konzernen - der Industrie gestellt werden - die in Fracking investieren, massiv unsere Erde ausbeuten. In gewisser Hinsicht ist allerdings auch Festivalbetrieb ein System der Ausbeutung: Positiv betrachtet geht’s um Teilen von Informationen - aber negativ betrachtet wird auch hier ausgenutzt.
Burkhardt: Wie sollte denn ein sinnvoller kultureller Austausch zwischen Europa und afrikanischen Staaten aussehen?
Chipaumire: Der Austausch, wie er derzeit besteht, mit weißen europäischen Künstlern, die staatlich unterstützt in afrikanische Länder reisen, mit guten Ideen - ist genauso schlecht wie NGOs oder andere Versuche, Afrika zu retten. Das brauchen wir nicht. Was wir brauchen ist ein komplette Zerschlagung dieser ganzen imperialistischen Haltung: Also nicht mehr nach Afrika zu gehen, auf der Suche nach Ressourcen – das was aus meiner Sicht viele europäische Künstler tun: sie holen afrikanische Körper - versprechen denen eine Tour durch Europa. Aber die Frage ist: Was bringen die afrikanischen Künstler nach Hause zurück? Also – da gibt es nach wie vor eine Ungleichheit.
Über vieles wurde bis heute nicht gesprochen - man geht da gern so drüber, so als gäbe es keinen Rassismus mehr – aber er existiert. Rassistische kapitalistische Ausbeutung ist ein wichtiges Thema – und einer der größten Schauplätze dafür ist der Kunstmarkt. Also: um gemeinsam zu Lösungen zu kommen, müssen wir miteinander reden – niemand kann auschecken – wir können all die Probleme nur lösen, wenn wir miteinander reden. Und das wird kein Spaß und auch nicht leicht.
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