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Wahlen in der Türkei
Ekmeleddin Ihsanoğlu - Die religiöse Alternative

Von Reinhard Baumgarten | 08.08.2014
    In der politischen Landschaft der Türkei ist er ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Ekmeleddin Ihsanoğlu - 71 Jahre ist er alt, in Kairo wurde er geboren, dort ging er zur Schule, dort hat er studiert und an Universitäten gelehrt.
    "Rechtsstaatlichkeit steht bei uns ganz oben auf der Agenda", betont der Präsidentschaftskandidat. "Rechtsstaatlichkeit und damit verbunden die Unabhängigkeit der Justiz. Denn von rechtsstaatlichen Verhältnissen kann heute in der Türkei leider keine Rede sein."
    Ekmeleddin Ihsanoğlu ist der gemeinsame Bewerber der Republikanischen Volkspartei CHP und der Partei der Nationalistischen Bewegung MHP.
    "Ekmeleddin Ihsanoğlu ist ein Stellvertreterkandidat, ein Protokollkandidat. Er kann die Türkei im In- und Ausland vertreten. Aber er ist keine politische Figur mit einer politischen Vision",
    urteilt der renommierte Publizist Taha Akyol. Jahrelang war Ihsanoğlu Generalsekretär der Organisation Islamische Konferenz. Im Vergleich zum favorisierten Bewerber Recep Tayyip Erdoğan sei Ekmeleddin Ihsanoğlu ein leiser Mann, der im Gegensatz zum Regierungschef nicht ständig und überall polarisiere, erklärt der Politologe Cengiz Aktar.
    "Herr Ihsanoğlu ist der Kandidat der alten Elite, des alten Establishments. Aber er repräsentiert mehr als nur das. Er steht für eine ruhige Person, die nicht brüllt wie Herr Erdoğan. Er versucht, Dinge zu beruhigen. In der Augusthitze werden wir sehen, ob die Türken Ruhe, Harmonie und Frieden bevorzugen, oder eben einen Straßenkämpfer, der die ganze Welt anschreit."
    Regierungschef Erdoğan teilt auch im Wahlkampf kräftig gegen seine Gegner von der CHP und der MHP aus.
    "Denen geht es doch nur darum, Israel zu dienen. Was sagt deren Kandidat? Er sagt, lass mal gut sein mit Gaza, schau lieber auf die bedrohten Turkmenen im Irak) Das sagt er ausgerechnet mir. Wenn man diesen Salonlöwen einmal fragen würde, was Turkmenen sind und wo sie leben, der könnte diese Fragen überhaupt nicht beantworten."
    Bei seinen Wahlkampfauftritten kommt der Kandidat Ihsanoğlu gut an. An seiner Seite ist meist seine Frau Füsun.
    "Wie Sie sehen, mische ich mich hier mit meiner Gattin unter die Wähler. Und das ohne Tausend Leibwächter, Überwachungshubschrauber und so was."
    Natürlich spielt der Präsidentschaftskandidat damit auf die häufig pompösen Auftritte seines Konkurrenten Erdoğan an, dem er unlauteren Wettbewerb vorwirft.
    "Herr Erdoğan nutzt im Wahlkampf alle staatlichen Mittel, die ihm als Ministerpräsident zur Verfügung stehen. Er genießt die große Unterstützung von Unternehmern, die sich Aufträge erhoffen. Er benutzt Flugzeuge und Hubschrauber des Staates. Der gesamte Polizeiapparat und staatliche Stellen helfen ihm. Seinen Gegenkandidaten hilft der Staat nicht. Darf Wahlkampf so ungerecht sein?"
    Der gemeinsame Kandidat von CHP und MHP gibt sich zuversichtlich, das Rennen zu gewinnen. Er rechne mit 55 Prozent der Wählerstimmen, hat er türkischen Medien verraten. Recep Tayyip Erdoğan mit seinen autoritären Allmachtsbestrebungen könne und müsse gestoppt werden. Das türkische System der Gewaltenteilung funktioniere schon lange, erklärt der Kandidat Ihsanoğlu.
    "Und jetzt kommt der Ministerpräsident und möchte, dass es so wird wie in den USA. Er will Präsident werden und alle Befugnisse übernehmen. Dabei kann selbst der Präsident der Vereinigten Staaten nicht tun und lassen, was er will."
    Ihsanoğlu solle vor allem Stimmen im religiös-konservativen Lager einsammeln, erläutert der islamisch-konservative Publizist Mustafa Akyol.
    "Es ist gut, dass die Opposition einen Kandidaten mit islamischen Referenzen gegen Erdogan hat, der islamische Referenzen dazu nutzt, um für Unterstützung für sich zu werben."
    Ob diese Rechnung aufgehen wird, ist alles andere als sicher. Zumal etliche linksliberale Wähler mit dem religiös-konservativen Profil von Ekmeleddin Ihsanoğlu wenig anfangen können und sich stattdessen lieber für den kurdischen Bewerber Selahattin Demirtaş entscheiden könnten.