Nikotin im Tee

Detektivarbeit auf Plantagen und im Labor

Eine große Tasse Kaffee oder Tee.
Besonders in der Erkältungszeit wird viel Tee getrunken - die Menschen tun sich damit etwas Gutes. Doch wehe, der Tee ist verunreinigt. © imago | Westend61
Von Udo Pollmer · 26.01.2019
Wie kommen die Nikotin-Rückstände in den Tee? Jahrelang war unklar, ob heimlich eine Nikotinbrühe zur Schädlingsbekämpfung auf die Pflanzen gesprüht wurde oder gar die Raucher unter den Pflückern schuld waren. Doch nun scheint das Geheimnis gelüftet.
Endlich ist es gelungen, die Ursache dubioser Rückstände zu ermitteln, die seit Jahren die Tee-Branche in Atem halten. Es geht um Belastungen mit Nikotin und Anthrachinon. Verbraucherschützer prangerten naturgemäß illegale Praktiken in den Teeplantagen an, schließlich sind beide Stoffe als Pestizide bekannt. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass illegales Versprühen von Nikotin einen Skandal auslöst. Vor Jahren hatte ein Hühnerbaron das Gift illegal gleich tonnenweise aus China bezogen, um damit sein Federvieh von blutsaugenden Milben zu erlösen.
Dann tauchte Nikotin auf Wildpilzen auf. Vor allem Steinpilze aus China überschritten die Höchstmenge um das Zigfache. Die Quelle liegt bis heute im Dunkeln. Womöglich hatten Mitarbeiter in den Sammelstellen eine selbstangesetzte Brühe aus alten Zigarettenstummeln gegen Maden, Schnecken und Mücken versprüht. Die dort aus der Not geborene Idee wird übrigens auch bei uns in gutsituierten Gärtner-Kreisen als ökologische Alternative propagiert.
Kaum waren die Nikotin-Rückstände auf den Pilzen wieder auf ein unauffälliges Niveau gesunken, da feierte das Gift in Schwarztee fröhliche Urständ. Erlaubt waren 10 µg pro Kilo – oft wurde das 100fache nachgewiesen. Die EFSA musste flugs den Grenzwert um den Faktor 60 anheben, um den Teehandel vor dem Ruin zu bewahren.

Hunderte Proben analysiert

Die einen spekulierten, die Pflücker schmauchten genüsslich ein Pfeifchen, andere verdächtigten den Teestrauch, das Gift in Eigenregie zu produzieren, wieder andere tippten auf nikotinhaltige Pestizide. Besonders irritiert reagierte die Biobranche, die von ihrem Saubermann-Image lebt: Ihre Pflücker rauchten nicht und nikotinhaltige Pestizide kämen auch nicht in die Tüte. Doch dann seien in Bio-Teegärten Verpackungen von Kautabak gesichtet worden, daher die Rückstände. Aber selbst wenn die Pflücker den Priem in die Sträucher gespuckt hätten, würde dies allenfalls punktuelle Belastungen erklären.
Seit Kurzem kennen wir den wahren Grund. Berliner Lebensmittelchemiker analysierten dafür Hunderte von Proben: Tee, Staub, Erdreich, die Hände der Pflücker und natürlich die dortigen Pestizidmixturen. Neben Nikotin wurde auch auf weitere Tabakalkaloide geprüft. Ergebnis: Die Pestizide waren unschuldig, die Bodenproben sauber. An den Raucherhänden klebte viel zu wenig Nikotin, um die Belastung zu erklären.
Der entscheidende Fingerzeig war, dass im Tee die Alkaloide im exakt selben Verhältnis vorlagen wie im Tabak. Die Rückstände stammten allen Ernstes direkt von Tabakpflanzen – sie wurden vermutlich in Form von Staub vom Winde verweht. Je größer das Tabakanbaugebiet und je näher die Teeplantagen, desto höher die Belastung. In Assam floriert der Tabakanbau, für Darjeeling ist das große Tabakanbaugebiet in Bihar relevant. Es liegt nur wenige 100 Kilometer entfernt. Die fünf wichtigsten Teeanbauländer der Welt sind zugleich auch die fünf größten Tabakproduzenten. Damit sind zugleich zahlreiche bisher völlig rätselhafte Rückstandsfunde auf Obst und Gemüse erklärt.

Die Welt ist kein Reinraumlabor

Unerklärlich hingegen blieben zunächst die Gehalte an Cotinin im Tee. Cotinin entsteht gewöhnlich im menschlichen Körper aus Nikotin, es wird über den Urin ausgeschieden. Das allerdings konnte schlecht die Quelle sein. Die Berliner Kollegen lüfteten das Geheimnis: Das Cotinin stammt ebenfalls aus der Luft. Es entsteht unter Einfluss des Sonnenlichts aus Nikotin.
Durch diese Beobachtung ließen sich auch die Rückstände an Anthrachinon im Tee erklären. Jahrelang hatte der Stoff dem Teehandel schlaflose Nächte bereitet. Die Medien warnten eindringlich: "Anthrachinon ist ein Stoff, der unter anderem zur Abwehr des Vogelfraßes nach der Aussaat eingesetzt wird." – Ein Pestizid also, das "wegen der Gefahr für Anwender und Verbraucher nicht mehr zugelassen ist". In Wirklichkeit entstand das Anthrachinon aus Anthracen – ebenfalls durch Oxidation. Anthracen wird vor allem bei Waldbränden freigesetzt.
Und die Moral von der Geschichte? Die Welt ist nun mal kein Reinraumlabor. Damit müssen wir leben.
Mahlzeit!
Literatur:
Romanotto A et al: Tabakanbau als Quelle einer Nicotinbelastung indischer Tees. Lebensmittelchemie 2018; 72: 143-145
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Zechmann S: Nikotin aus Tabak – ein "natürliches" Mittel gegen Pflanzenschädlinge? CVUA Stuttgart 18. Sept. 2017
Wieland, M et al: Pesticide residues in fresh and dried mushrooms on the German market. CVUA Stuttgart 2010
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Tong B, Speiser B: Rückstände von Anthrachinon in Lebensmitteln. FiBL 20. 2. 2017
BfR: Nikotin in getrockneten Steinpilzen: Ursache der Belastung muss geklärt werden. Stellungnahme 009/2009 vom 28. Februar 2009
Lach G, Bruns S: Pesticides and contaminants in organic products. Vortrag auf der Biofach, Nürnberg 16. Februar 2017
Hantke M et al: Nikotin im Gespräch. MPA Eberswalde. Mpaew.de, ohne Datum
Maurin J: Abwarten und Krebs kriegen. TAZ.de vom 23. 10. 2014
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Pollmer U: Wie gefährlich ist das Anti-Läusemittel im Frühstücksei? Deutschlandfunk Kultur, Mahlzeit vom 04. August 2017
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