Niederlande

Das trifft alle Holländer im Herzen

Die niederländische Flagge weht auf Halbmast vor dem Tower des Flughafens Schiphol bei Amsterdam am 23.07.2014.
Wie hier am Flughafen Schiphol weht heute überall in den Niederlanden die Flagge auf Halbmast. © afp / Robin van Lonkhuijsen / anp
Moderation: Ute Welty und Dieter Kassel · 23.07.2014
Bei dem Absturz der malaysischen Maschine MH17 kamen auch 193 Niederländer ums Leben. Es sei das Thema Nummer Eins in den Niederlanden, sagt der Journalist Martijn de Rijk, weil das Land so klein ist, seien viele betroffen.
Welty: Die Niederlande bereiten sich auf die Ankunft der Opfer vor. Ein Flugzeug mit den ersten Särgen wird heute in Eindhoven erwartet. Angehörige, das niederländische Königspaar und Ministerpräsident Mark Rutte kommen auch nach Eindhoven, keine 100 Kilometer von der deutschen Grenze, von Aachen entfernt. König Willem Alexander hatte davon gesprochen, dass die Tragödie eine tiefe Wunde in der Gesellschaft zurücklässt.
Wie die Niederländer damit umgehen, das möchten wir jetzt von Martijn de Rijk wissen. Er ist Reporter beim niederländischen Radio, genauer beim BNR Nieuws-Radio. Seien Sie willkommen in Studio 9!
Martijn de Rijk: Ja, danke.
Welty: Wie drückt man in den Niederlanden seine Anteilnahme heute aus, sei es im persönlichen Gespräch, sei es in den Medien, sei es in offiziellen Stellungnahmen?
Thema Nummer Eins
De Rijk: Ich denke schon, dass es Thema Numero eins ist, und dann eine ganz lange Zeit gar nichts anderes. Viele Leute, die reden die ganze Zeit über das, was passiert ist. Heute Morgen, als ich meine Kinder zur Schule gebracht habe oder zum Schwimmunterricht gebracht habe, da haben die Kinder auch miteinander geredet. Ich habe die gehört, wie die erzählt haben, ja, die sind von 10.000 Meter heruntergestürzt, die Leute. Und das heißt, alle Leute auf allen Ebenen reden von dem, was passiert ist.
Und das ist ja eigentlich auch ganz logisch. Weil, wenn man sich ausdenkt, 193 Leute sind gestorben, 193 Holländer sind gestorben, und auf 16 Millionen Menschen ist das immer ganz nahe. Zwei oder drei Personen, und dann hat man schon eine Person verloren.
Meine Frau hat mir heute Morgen erzählt von einer Freundin, ihrer besten Freundin. Und in der Klasse ihrer Kinder ist eine ganze Familie, zwei Eltern, ein Junge, elf Jahre alt, sind verschwunden, die sind tot. Die werden heute oder in der nächsten Zeit werden die zurückgeführt.
Also das Ganze, das trifft die Holländer ganz nahe, weil man kennt auch viele Leute. Und man kann sich auch ganz gut einbilden, selbst da in dem Flugzeug zu sitzen. Ich habe auch einmal dieses Flugzeug nach Malaysia geflogen, und das heißt eben, das ist nicht eine Fern-weg-Geschichte wie ein Krieg irgendwo, sondern das ist etwas, was alle Holländer ganz persönlich im Herzen trifft, also das kommt nahe ran.
Kassel: Ute hat ja gerade schon Willem-Alexander erwähnt. Hilft es in einer solchen Situation, einen König zu haben, der vielleicht so etwas wie die nationale Last übernehmen kann?
Emotionaler Auftritt vor den Vereinten Nationen
De Rijk: Ja, natürlich hilft es, wenn er das richtig macht. Aber er ist kritisiert worden er dabei schon, er war ein wenig spät, hat angeblich vor allem auf die Angehörigen gerichtet. Die Angehörigen sind natürlich ganz froh damit, dass sie auch diese Aufmerksamkeit bekommen. Aber das Land hat das dann nicht so ganz stark mitbekommen.
Der niederländische König Willem-Alexander (l.) und Premierminister Mark Rutte haben am 21.07.2014 in Utrecht Angehörige der Opfer des Flugzeugabsturzes in der Ost-Ukraine getroffen.
Der niederländische König Willem-Alexander (l.) und Premierminister Mark Rutte haben in Utrecht Angehörige der Opfer des Flugzeugabsturzes getroffen.© afp / Robin van Lonkhuijsen / anp
Dafür hat aber Premier Rutte und gestern, auch vorgestern, ganz besonders der Außenminister Timmermanns, als er vor den Vereinten Nationen gesprochen hat – der hat wirklich die Leute getroffen und wirklich die Geschichte erzählt, so, wie wir das erlebt haben. Sie haben das ganz bestimmt auch mitbekommen. Und auch waren die alle ganz stolz, wie schön sein Englisch gewesen war. Das hilft irgendwie auch, wissen Sie – ich meine, der hat es schön ausgedrückt, ja.
Welty: Glauben Sie, dass die Niederlande womöglich auch außenpolitisch gestärkt aus dieser Krise herauskommen? Man hatte ja schon auch den Eindruck, wo Sie eben den Außenminister erwähnt haben, dass der niederländische Außenminister bei seinen EU-Kollegen gestern in Brüssel mehr Gehör gefunden hat als unter normalen Umständen.
De Rijk: Ja, das hat er bestimmt. Ich war gestern in Brüssel, ich habe ihn dann auch gesprochen. Er hat dann auch erzählt, er sei ganz froh damit, dass die europäischen Kollegen dann Solidarität auch ausgedrückt haben. Und er hoffte auch, er hat auch wirklich gesagt, ich hoffe, dass wir auf diese Weise weitergehen.
Aber was wollen wir? Das ist ganz kompliziert. Das erste: Man kann ja jetzt auch die Russen nicht zwingen. Vielleicht ist eine diplomatische Weise, heranzugehen, auch besser. Es ist auch kompliziert irgendwie. Gleichzeitig will man ja auch Druck behalten. Also schon kompliziert, ja.
Kassel: Fürchterlich und kompliziert. Ich glaube, so muss man es leider schrecklicherweise zusammenfassen. Ich danke Ihnen sehr. Das war Martijn de Rijk vom niederländischen Nachrichtensender BNR-Nieuwsradio über die Situation und auch die Stimmung heute in den Niederlanden nach dem Absturz der Maschine MH17 und der Rückführung, die heute um 16 Uhr dann in den Niederlanden ankommen soll, der Leichen aus der Ukraine. Herr de Rijk, wir danken Ihnen sehr.
De Rijk: Gern geschehen.
Welty: Und wie die Ereignisse in der Ost-Ukraine auch die russische Zivilgesellschaft verändern, das in einer Stunde im Gespräch mit unserer Korrespondentin Gesine Dornblüth in Moskau.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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