Nicole Zepter im Gespräch

"Warum habe ich das Leben meiner Mutter wiederholt?"

Buchcover Nicole Zepter: "Der Tag, an dem ich meine Mutter wurde: Tochtersein zwischen Liebe und Befreiung"
Sich vor ihrem Partner klein zu machen, das kannte Nicole Zepter nicht von sich. Das war ihre Mutter in ihr, sagt die Autorin rückblickend. © Blessing / imago / Ikon Images
Von Sarah Elsing · 26.09.2018
Die Angst, so zu werden wie die eigene Mutter: Viele Töchter kennen das, gerade wenn sie selbst Mutter werden. In der Wissenschaft heißt das Matrophobie. Die Autorin Nicole Zepter hat darüber ein Buch geschrieben.
"Da gab es so einen Moment des totalen Streits, was wohl die meisten Paare kennen. Aber mit Kind war es dann soweit, dass ich das Gefühl hatte, ich will die komplette Distanz. Und da, wirklich so eine Nano-Sekunde später: 'Oh Gott! Genau das hat meine Mutter gemacht, genauso hat meine Mutter empfunden.' Sie hat mir 18 Jahre lang meinen Vater verschwiegen, weil sie irgendwann in der gleichen Situation stand, irgendwann genauso verletzt war, genauso, ja, auch ohnmächtig in einem Streit mit meinem Vater. Sie hat die Beziehung abgebrochen, die haben nie mehr miteinander gesprochen. Wahnsinn, wie man das aushält, ne? Und ich bin so ohne Vater aufgewachsen."
Ein sonniger Tag in Hamburg. Die weißen Stadtvillen strahlen, gepflegte junge Frauen schieben Kinderwägen über die Gehwege. Nicole Zepter, ehemalige Chefredakteurin, Buchautorin und innovative Blattmacherin ist in ihr Lieblingscafé im Grindel gekommen. Sie sieht erschöpft aus. Zwei Stunden im Stau. Erstmal durchatmen.

Das Ergebnis einer schmerzhaften Suche

Beim Cappuccino erzählt sie, wie es zu ihrem neuen Buch kam: "Der Tag, an dem ich meine Mutter wurde". Es ist das Ergebnis einer schmerzhaften Suche. Warum – wollte sie herausfinden – habe ich, eine intelligente, erfolgreiche Frau, das Leben meiner Mutter wiederholt?
"Es gibt so eine unbewusste Prägung, das Priming, die sehr in einem sehr frühkindlichen Stadium stattfindet. Und dann ist aber ganz vieles Sozialisation, also Erziehung. Und diese Sozialisation ist uns eben nicht so präsent. Das merken wir halt an so Schlüsselpunkten wie Beziehungen zerbrechen, ein Familienmitglied stirbt oder Beziehungen verändern sich."
Die Journalistin Nicole Zepter in einer Schwarzweißaufnahme vor einer Wand mit vielen Wörtern
Die Journalistin Nicole Zepter lebt heute auf dem Land.© dpa/zepterson Verlags GmbH
Für Zepter kam der Schlüsselmoment, als sie sich vor ihrem Partner klein machte. Das kannte sie nicht von sich. Das war ihre Mutter in ihr. Nach der Geburt ihres Sohnes trennte Zepter sich vom Vater des Kindes – genau wie ihre Mutter nach 14 Monaten. Nur dem Kind den Vater vorenthalten und ihm den Stiefvater als leiblichen vorsetzen wie ihre Mutter es getan hatte, das wollte Zepter auf keinen Fall.
Es folgten verweinte Stunden bei der Therapeutin, Recherche von Fachliteratur und Familiengeschichte, dutzende Gespräche mit Psychologen und Experten.
Lange gab sie ihrer Mutter die Schuld an ihrer Misere. Und deckte schließlich in mühsamer Kleinarbeit die eigenen Verhaltensmuster auf.
"Bei Müttern und Töchtern hat man, glaub ich, schnell eine Schuldige und das ist die Mutter – für die Töchter. Und das liegt natürlich zum einen daran, dass Mütter und Töchter eng miteinander verbunden sind. Mütter und Töchter reden mehr miteinander. Und durch diese Nähe entsteht natürlich auch die Möglichkeit, Konflikte zu kreieren oder enttäuscht zu werden. Die Schuld dann aufzulösen war meine Aufgabe – nicht ihre. Das ist mir mit dem Buch, mit der Recherche, mit der Betrachtung ihrer Lebensgeschichte gelungen."

Rasantes Großstadtleben

Dadurch kam die Autorin an den Punkt, an dem sie ihr eigenes Leben komplett umkrempelte.
Zepter ist nach wie vor eine Karrierefrau. Sie war Chefredakteurin der Lifestyle- und Politikmagazine "The Germans", "Neon" und "Nido". Sie ist viel angeeckt, hat gekämpft und schließlich publikumswirksam gekündigt. In ihrem Buch erzählt sie auch plastisch von ihrem rasanten Großstadtleben. Mit dem Rennrad die Alleen runterheizen, Buchvertrag in der Tasche, Künstlerfreund im Bett. Vernissagen, Bars, jeden Morgen Frühstück im Café …
Das alles hat sie inzwischen eingetauscht gegen ein Leben – auf dem Land.
"Ich habe jetzt nie darüber nachgedacht, ob ich gescheitert bin, ganz im Gegenteil. Sondern dass man weiß, dass andere das denken könnten. Warum gehst Du zurück in die Enge? Das ist nicht eng! Das ist genau die Weite, die ich jetzt brauche. Dieses Verspielte, wieder Freisein, nicht so viele Zwänge zu haben. Nicht mehr dieses Hamsterrad.
Und das macht ja auch das Glück aus, oder? Dass man fähig ist, in der Entscheidung zu leben, die man getroffen hat."

Zurück im Heimatdorf

Entschleunigung und zurück zu den Wurzeln. Inzwischen sitzen wir im Gras in einem nahegelegenen Park. Nicole Zepter schaut über die Elbe. Sie scheint ihren Frieden gefunden zu haben. Als Autorin und als Mutter. Sie lebt wieder in Jever, ihrem Heimatdorf im tiefsten Ostfriesland. Dort gestaltet sie das Magazin der Robert-Bosch-Stiftung und betreut in der Grundschule ihres Sohnes einen Flüchtlingsjungen. Sie reitet, baut ein Video-Portal für Interviews mit inspirierenden Frauen auf. Sie entwickelt eine Meditations-App für Kinder. Und: Sie schreibt an einem Roman.
"Wenn man wie ich versucht, sich immer reinzuschmeißen in Jobs, in Ideen, in Bücher, in Beziehungen. Das war bisher so das Muster. Und ich hatte nie Angst, das auch umzusetzen, egal, was es auch war. Mittlerweile bin ich viel, viel überlegter. Und auch jetzt gerade, wenn man wirklich einen Roman schreiben möchte, oder einfach nur Geschichten schreiben möchte, dann braucht man Ruhe und Zeit. Oder ich brauch Ruhe und Zeit. Und auch das ist ein Grund – neben Familie und der Natur. Auch deshalb bin ich in diese Kleinstadt gezogen."
Kleinstadt hin oder her. Nicole Zepter ist immer noch energisch und leidenschaftlich bei allem, was sie anpackt. Und das geht gut. Denn während sie in Hamburg Interviews gibt, passt in Jever wer auf den siebenjährigen Sohn auf? – Ihre Mutter.
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