Nicola Pugliese: "Malacqua"

Neapel als Metapher für Europa

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Buchcover "Malacqua" von Nicola Pugliese vor einem grafischen Hintergrund
Für seinen Roman "Malacqua" ließ sich Nicola Pugliese von einem authentischen Fall inspirieren. © Launenweber Verlag
Von Maike Albath · 09.01.2020
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Abwasserkanäle laufen über, ein Haus versinkt in Schlammlawinen. In Nicola Puglieses "Malacqua" droht Neapel in Unwettern unterzugehen. Das Szenario in dem erstmals 1977 erschienenen, nun wiederentdeckten Roman ist erschreckend aktuell.
Neapel, ist das nicht die Stadt, bei der man unwillkürlich an Pizza, Mandoline, türkisgrünes Meer und gleißendes Sonnenlicht denkt? In Nicola Puglieses einzigem Roman "Malacqua" regnet es stattdessen von früh bis spät. Mal Bindfäden, mal feine Striche, mal schwallartig, aber es hört einfach nicht auf. Ein, zwei, drei, vier Tage lang.
Abwasserkanäle laufen über, in den Straßen klaffen Löcher, ganze Krater öffnen sich, ein Haus versinkt in Schlammlawinen, Menschen kommen zu Tode, andere werden verletzt und verlieren ihr Hab und Gut. Kein Wunder, dass alle mehr oder weniger kopflos herumschwirren.
Der Zeitungsredakteur Carlo Andreoli, unverkennbar ein Alter Ego des Verfassers, schickt seine Reporter zu den Unglücksorten und wird von einer tiefen Melancholie ergriffen. Der schwabbelige und ewig zögernde Bürgermeister beruft eine Sitzung ein. Der Carabiniere Ferdinando De Rosa hält die Stellung und beobachtet den steigenden Meeresspiegel. Im Rathaus birgt die Feuerwehr eine Puppe, die unheimliche Laute von sich gibt. Ein kleines Mädchen entdeckt, dass Fünf-Lire-Münzen Musik abspielen, wenn man sie ans Ohr presst. Es regnet weiter.

Neigung zum Fantastischen

Nicola Pugliese, 1944 in Mailand geboren, aufgewachsen in Neapel, als alt gedienter Polizei- und Lokalreporter Kenner der Verhältnisse, verwendet für seinen 1977 bei dem renommierten Turiner Verlag Einaudi erschienen Roman einen authentischen Fall.
Sieben Jahre zuvor hatte sich in der Via Aniello Falcone tatsächlich ein Krater geöffnet und ein Menschenleben gefordert, weitere Risse traten in der Via Tasso auf, das Fundament einiger Plätze sank ab; in der Folge waren das marode Kanalsystem, die zerstörerische Immobilienspekulation und der unzureichende Schutz der Anwohner sogar Gegenstand einer Parlamentsdebatte gewesen.
Pugliese lässt das Ganze wirkungsvoll ins Surreale schwappen und inszeniert in seinem auch sprachlich glänzend gestalteten Roman das Unwetter als eine Metapher für den Charakter der Stadt.
Denn der eigentliche Held ist natürlich Neapel selbst. "Malacqua", was so viel wie "böses Wasser" heißt, umkreist das Ungebändigte, Irrationale Neapels, die defätistische Haltung und die Neigung zum Fantastischen. Verfasst nach dem Muster einer Zeitungschronik gleitet der Erzähler von Figur zu Figur, kontrastiert sachliche Beschreibungen mit poetischen Bildern, schürt die Spannung. Irgendetwas scheint in der Luft zu liegen. Bloß was?

Porträt des Zeitungsgewerbes

Das Schicksal von Puglieses literarischem Debüt war ähnlich wechselvoll wie das seiner Heimatstadt: Nach einem kurz aufflackernden Interesse geriet es komplett in Vergessenheit. Erst nach Puglieses Tod 2012 brachte der neapolitanische Verlag Pironti eine Neuauflage heraus.
Dass es jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt, ist dem kleinen Launenweber Verlag zu verdanken. "Malacqua", das nebenbei ein liebevolles Porträt des Zeitungsgewerbes liefert, passt auf eigentümliche Weise zur aktuellen Stimmung. Neapel taugt als Metapher für Europa.

Nicola Pugliese: "Malacqua. Vier Tage Regen über Neapel in Erwartung, dass etwas Außergewöhnliches geschieht."
Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Barbara Pumhösel
Launenweber Verlag, Köln 2019
222 Seiten, 24 Euro

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