Nico-Ausstellung in Nürnberg

Zwischen Prinzessinnen-Kitsch und Todessehnsucht

05:59 Minuten
Porträt der Sängerin Nico (Christa Päffgen) auf der Bühne.
Da war sie schon schwer von ihrer Heroinsucht gezeichnet: Nico alias Christa Päffgen ein Jahr vor ihrem Tod. © Imago/Photoshot
Von Tobias Krone · 11.04.2019
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Model, Musikerin, Junkie – in Nürnberg darf die Künstlerin Nico weiterleben. Künstler wie Jonathan Meese widmen der einstigen Muse von Andy Warhol eine Hommage und interpretieren ihre Biografie aus heutiger Sicht.
Nico ist nicht nur Pop-Geschichte, sondern Kunst-Geschichte. Das zeigt die Hommage auf dem Boden der Galerie, die nicht nur der Sängerin huldigt: Kupferplatten liegen da, in Form eines Kreuzes – die Oberfläche weist seltsame Flecken auf.
"Es ist tatsächlich eine Hommage an Andy Warhols Pisspaintings. Was Sie da auf diesem Bodenkreuz sehen, auf diesen Kupferplatten, sind Oxidationen, die durch die Ausscheidungen des jungen Künstlerpaares Kitti & Joy ausgelöst wurden."

Tiefe Stimme mit deutschem Akzent

Manfred Rothenberger ist Mitarbeiter am Institut für Moderne Kunst Nürnberg und Kurator der Ausstellung zu Nico. Er hat die Biografie der Frau, die Christa Päffgen hieß und sich Nico nannte, erforscht. Er lud Künstler dazu ein, ihre Hommage an Nico einzusenden.
Vieles an ihrem Mythos hat Nico selbst dazu gedichtet, aber klar ist: Ohne sie, die Muse von Andy Warhol, hätte die Band The Velvet Underground auf die tiefe Stimme mit dem deutschen Akzent verzichten müssen. Oder den Song "I'll be your Mirror".
"Ja, das ist ein Lied, was halt auch sehr mehrdeutig ist. Und es gibt doktorarbeitsartige Exegesen zu diesem Song. Es war ja auch so, es war einfach nie leicht entschlüsselbar, was sie gemacht hat. Und das kann einen bis heute in ihrer Spur halten."
1938 in Köln geboren, im Nachkriegs-Berlin als Fotomodel entdeckt, zog Christa Päffgen als junge Frau nach Paris.
"Dann war ihre Karriere nicht mehr aufzuhalten. Das, was Claudia Schiffer vielleicht in den Neunzigern war, das war Nico in den Fünfzigern, ein international berühmtes Topmodel, das auf fast jeder Modezeitschrift zu finden war."

"Prinzessinnenkitischige, zuckerbäckerhafte Gegenwirklichkeit"

Eine Nische der Ausstellung ist dieser Modelzeit gewidmet: die Elle, die Twen, die Vogue.
"Das war wirklich eine stellenweise schon prinzessinnenkitischige, zuckerbäckerhafte Gegenwirklichkeit, die einfach auch mithelfen sollte, diese graue Zeit der Nachkriegsjahre vielleicht auch etwas zu egalisieren."
Doch die Schatten der Trümmerkindheit holten sie wieder ein. Nach ihrer Zeit in Andy Warhols Factory erkämpfte sich Nico die Freiheit, ihre eigenen düsteren Songs zu schreiben, wie "In the Evening of Light".
"Dieses puppenhafte, was diese ganzen Models leben müssen, hat sie einfach irgendwann so angeödet, dass sie beschlossen hat: Ich will nicht mehr schön sein, sondern ich will mich auf andere Weise künstlerisch auszudrücken. Und dann hat sie auch wirklich begonnen, sich hässlich zu machen, sie hat die Haare dunkel gefärbt. Gut, das mit den Drogen hat sie sicherlich nicht kalkuliert, damit sie schlecht ausschaut. Die Sucht hat halt ihre Spuren gezeitigt."
Heroinabhängig war Nico seit ihrer Modelzeit. Auf ihren Alben ließ sie ihre Todessehnsucht Musik werden. Im Gemälde der Gegenwartskünstlerin Jutta Koether findet sich diese Schwärze in fetten Ölschichten wieder. Mit ihren politischen Provokationen, mit denen sie in Interviews aneckte, setzt sich Karin Fisslthaler in ihrem Gemälde auseinander.
"Die Pupillen von Nico sind in dem Fall Stecknadeln, das hat auch so was Gewalttätiges, dass da die Nadeln ins Auge gepiekst sind. Es hat auch ein bisschen die Anmutung von einem RAF-Fahndungsplakat aus den Siebzigern. Es gibt auch das Gerücht, dass Nico mal mit Andreas Baader zu tun hatte."
Gerade KünstlerInnen fühlen sich von Nico inspiriert. Als eine der wenigen Frauen in den 50er-Jahren schaffte sie es, ein eigenes Profil zu entwickeln.

Für ihre Kompromisslosigkeit bewundert

"Und für Künstlerinnen in jeder Sparte ist sie bis heute in ihrer Kompromisslosigkeit bewundert, mit der sie ihren Weg gegangen. Und da war es egal, ob sie jetzt 100.000 Platten verkauft hat oder 50, das hat sie nie interessiert. Der Mainstream war nicht der Gradmesser ihres künstlerischen Weges."
Auch Kunst-Superstar Jonathan Meese hat Nico längst in seine persönliche Walhalla der Kompromisslosigkeit integriert. Er schickte seine Hommage als Filzstiftzeichnung. Das Mysterium vom schönen blonden Pop-Girl von 1966, das halb gewollt, halb durch ihre Drogensucht der Glamour-Welt zugunsten eigener Kunst entsagte, inspiriert die Kunstwelt bis heute. In der kleinen, aber sehr feinen Ausstellung mit ihren unterschiedlichsten Kunstassoziationen darf die Person Nico weiter so schillern wie zu ihren Lebzeiten.
"Sie hat alle möglichen Charakterzüge in sich vereint, sie war schön, stolz, mutig, klug, aber eben auch eine Lügnerin, eine Diebin, eine Täuscherin, eine Trickserin. All das macht einen Menschen aus, aber die Geschichtsschreibung versucht das zu vereinseitigen und leichter verständlich zu machen. Aber ich finde, man muss Nico in ihrer Mysteriösität belassen, sonst wird man ihr überhaupt nicht gerecht."

Die Ausstellung "NICO – Wie kann die Luft so schwer sein an einem Tag an dem der Himmel so blau ist" ist noch bis zum 6. Juli 2019 im Atelier- und Galeriehaus Defetin Nürnberg zu sehen.

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