Nick Leeson

Der gefallene Finanzjongleur

Der frühere Börsenhändler Nick Leeson nach seiner Auslieferung an Singapur (hier am Flughafen in Singapur).
Der frühere Börsenhändler Nick Leeson nach seiner Auslieferung an Singapur (hier am Flughafen in Singapur). © picture-alliance / dpa/epa - Roslan_Rahman
Von Andreas Baum  · 02.03.2015
Der Börsenhändler Nick Leeson setzte vor 20 Jahren die Differenzen zwischen den Kursen des Nikkei an den Börsen von Singapur und Osaka als Instrument der Spekulation ein. Am Ende standen eine ruinierte Traditionsbank - sowie sechseinhalb Jahre Haft.
In den Interviews, um die Nick Leeson heute immer dann gebeten wird, wenn systemrelevante Banken oder ganze Länder vor der Pleite stehen, gibt er sich selbst überrascht darüber, wie er ganz alleine eine Bank in den Ruin treiben konnte – und ihn niemand dabei aufhielt.
"Betrügerischer Handel kommt auf den Finanzmärkten wahrscheinlich täglich vor. Was so schockierend war, war das Ausmaß."
Dabei war ihm diese Karriere nicht in die Wiege gelegt worden. Waren es doch ausgerechnet die Mathematikprüfungen gewesen, die er bei den A-Levels, dem britischen Gegenstück zum Abitur, nicht bestand, weshalb er, anstatt zu studieren, zu einer Bank ging. Ab 1989 arbeitete er bei der Barings Bank, die seit dem frühen 18. Jahrhundert in Südengland Geschäfte machte. Leeson galt als fleißiger und ehrgeiziger Broker. 1990 wurde er als 23-Jähriger nach Hongkong versetzt, später nach Indonesien und nach Singapur. Um eine bezahlte Stelle einzusparen, ernannte ihn die Barings Bank in Singapur zum Chefhändler und zum General-Manager in Personalunion – damit wurde er seine eigene Kontrollinstanz.
Der Schuldenberg wuchs unbemerkt
Spätestens ab 1993 spekulierte er auf eigene Faust. Seine Methode war simpel: Die Verluste seiner Spekulationen versteckte er auf einem ungenutzten Konto mit der Nummer 88 8 88 – nur die Gewinne flossen der Bank offiziell zu. Während er vor Kollegen prahlte und sich als erfolgreichsten Börsenhändler in der Geschichte der Bank darstellte, wuchsen die Schulden stetig – von sechs Millionen Pfund im Jahr 1993 auf zunächst 500 Millionen Pfund ein Jahr später. Gleichzeitig eckte Leeson an, war in der Öffentlichkeit betrunken und verbrachte Nächte im Polizeigewahrsam, weil er Stewardessen der Singapore Airlines im Rausch sein nacktes Hinterteil gezeigt hatte. Um die verheimlichten Verluste auszugleichen, spekulierte er immer waghalsiger – und verlor immer mehr. In der Rückschau war das nicht allein seine Schuld – seiner Meinung nach war es ein ganzes System, das versagte.
"Wissen Sie, die Bank von England trug durchaus eine Mitschuld damals. Das gesetzliche Limit für Darlehen an eine Bankfiliale betrug 20 Prozent des Kapitals der Bank. Barings Bank hatte lediglich ein Kapital von 250 Millionen Pfund. Ich allein hatte im Dezember 1994 eine Summe von 500 Millionen Pfund bekommen, was ein klarer Vertragsbruch war. Die Bank von England hat das zugelassen. Ich glaube, dass all dies geschehen ist, weil vieles nicht verstanden wurde. Wenn man nicht erkennt, wie die Finanzmärkte und -produkte miteinander verzahnt sind, kann man sie nicht beherrschen. Und ich glaube, dass die Bank von England jahrelang dazu nicht in der Lage war."
Auslieferung nach Singapur
Am 23. Februar 1995, als sich die Außenstände auf fantastische 800 Millionen Pfund summiert hatten, setzte er sich mit seiner Frau ab. Bevor er floh, klebte er einen Zettel auf den Bildschirm seines Computers, mit dem kurzen Satz "I am sorry" – es tut mir Leid. Über Brunei, Thailand und Abu Dhabi flog er nach Frankfurt, wo ihn deutsche Polizisten am 2. März 1995 verhafteten. Der Frankfurter Oberstaatsanwalt Hans-Hermann Eckert teilte nach kurzer Prüfung mit, dass Leeson nach Singapur auszuliefern war.
"Wir haben auch Informationen der deutschen Botschaft in Singapur insoweit eingeholt, dass eben der Mindeststandard auf jeden Fall gewährleistet ist, sodass wir davon ausgehen können, dass er dort ein faires Verfahren haben würde."
Nick Leeson wurde zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt, wegen Urkundenfälschung, Untreue und Betrugs – die Barings Bank indes war unter der Schuldenlast zusammengebrochen. Leeson nutzte die Zeit im Gefängnis und schrieb seine Autobiografie, die in Deutschland unter dem Titel "Das Milliardenspiel" erschien – und die später verfilmt wurde, mit Ewan McGregor in der Hauptrolle.
"Es gab Momente bei Barings, da wollte ich aufs Dach steigen und hinausschreien, dass es diese Riesenverluste gab. Aber du schaffst es nicht. Deiner Frau und deiner Familie kannst du es auch nicht sagen. Und dann sind da noch die Kollegen und deine Chefs. Und alle reden nur vom Erfolg."
Nach knapp vier Jahren wurde Leeson vorzeitig entlassen – weil ein Arzt bei ihm Darmkrebs diagnostiziert hatte. Heute wohnt Nick Leeson in Irland und lebt von Vorträgen, in denen er vor solch kriminellen Börsenhändlern warnt, wie er selbst einer war. Seit der Finanzkrise von 2008 ist er ein gefragter Mann.