"Nicht repertoirefähig"

Von Katalin Fischer · 21.11.2005
Am letzten Freitag begann in München das internationale Theaterfestival "Spielart". 22 Produktionen aus 12 Ländern werden diesmal gezeigt, an sechs unterschiedlichen Spielorten der Isarmetropole. Die Aufführungen geben einen interessanten Einblick in das avantgardistische Theater, das, so die Veranstalter, wenig Chancen hat, ins Repertoire der Stadttheater aufgenommen zu werden.
Jede Nacht singt sie ein Lied in der Muffathalle, zum Abschluss eines jeden Theatertages, die Bairische Geisha. Sie ist Maskottchen und ständige Begleiterin von Spielart, des internationalen, vielfältigen, provokanten, intelligenten, aufreizenden, differenzierten und befremdlichen Theaterfestivals in München.

"Passion-Obsession-Pathos" - was sich zum griffigen Schlachtruf "POP" abkürzen lässt - heißt das Motto, das sich die Festivalleiter diesmal auf ihre Fahnen schrieben. Und dass sie damit ernst machen, erwies sich schon beim Einstieg ins Programm. Der argentinische Regisseur Rodrigo Garcia und sein "Schlachthaustheater" präsentierten "Die Geschichte von Ronald, dem Clown von McDonalds". Sie zeigten ein wahres Berserkerstück, oder - wie die Bayern zu sagen pflegen -, "sie ließen die Sau raus".

Tilmann Broszat, der das Festival gemeinsam mit seinem Kollegen Gottfried Hattinger leitet:

"Das ist ein sehr eruptives, körperbewusstes und... eine Materialschlacht haben es manche genannt, da werden Lebensmittel auf der Bühne verbreitet und es werden... und die Körper kommen zum vollen Einsatz, das hat ein bisschen was von Happening-Kultur... und das war sehr kontrovers, und das haben wir auch ganz bewusst an (den) Anfang des Festivals gesetzt, weil wir immer denken, es ist gut, wenn die Leute anfangen zu diskutieren."

Bei "Spielart" dürfen und sollen sie das, es wird für regen Austausch zwischen Publikum, Künstlern und Festivalgestaltern gesorgt. Manche Zuschauer mochten die lüsterne Lebensmittelvernichtung, viele fanden sie zu vage und banal.

Es wurden auch Zusammenhänge entdeckt, die so gar nicht beabsichtigt waren: im Haus der Kunst ist die Installation "Asylum" des Berliner Künstlers Julian Rosenfeld zu sehen, eine Videoarbeit über Fremdsein in Deutschland. An diese Bilder fühlten sich einige Zuschauer erinnert, als - nach Ende des Schlachthausstückes - drei echte Asylbewerber auf die Bühne kamen, um den Dreck wieder wegzuräumen. Eine wahrhafte Konfrontation von Kunst und Leben!

Tilmann Broszat: " "Na ja, ich glaube, wir versuchen ziemlich konsequent hier in München Theater zu zeigen, das ... nicht repertoirefähig ist und meistens auch Stücke, die kein Drama, keinen dramatischen Hintergrund haben, also keine dramatische Literatur interpretieren, sondern wir versuchen sozusagen Stücke zu zeigen, die den unmittelbaren Kontakt zum Publikum herstellen. ... Aber natürlich hängt das jeweils an den Künstlern und das ist... gut oder schlecht zu machen. Und Qualität ist unter erstes Auswahlkriterium, was immer das ist."

Ganz andere Emotionen als das Wüte- und Zerstörspiel des spanischen Theaters erweckte die "Peepshow" der Kanadierin Marie Brassard. Eine einsame Person, mal Rotkäppchen, mal desillusionierte Lehrerin, erzählt mit technisch veränderten Stimmen auf der leeren Bühne kleine, traurige Geschichten ohne Schluss. Sie handeln von Liebe und vom Sehnen, von Träumen, die in Leben übergehen und Leben, das im Nichts verrinnt. Die poetische Geschichtenkette schlängelte sich durch immer wiederkehrende Motive und erntete zuletzt begeisterten Applaus.

Marie Brassards europaweite Solokarriere hatte bei "Spielart" begonnen, als sie 2001 mit ihrem ersten Stück in München gastierte.

Im Lauf seines Bestehens hat sich das Festival weiterentwickelt. Es verschrieb sich dem Aufspüren neuer Trends, um sie dann möglichst vielfältig zur Diskussion zu stellen und auch selbst voranzutreiben.

Tilmann Broszat: "Also es hat sich vor allen Dingen das Festival selber konsolidiert, es hat sich politisch gefestigt, es hat eine große Akzeptanz in München gewonnen, und es hat nicht nur in München, sondern es hat eben, und da bin ich eigentlich schon besonders stolz darauf, ...in der Welt der Künstler einen besonders guten Ruf inzwischen europaweit, und das ist für uns besonders wichtig, weil wir kein reiches Festival sind, wir können keine Supergagen zahlen, deswegen sind wir darauf angewiesen, dass die Künstler uns wollen und gerne hierher kommen, wie jetzt Marie Brassard, die es eben auch noch mal deutlich gesagt hat und das ist sehr wichtig."

Die Produktionen sind fast durchwegs gut besucht. Eines der diesjährigen Highlights ist Christoph Marthalers "Liederabend". Die zwei Vorstellungen am morgigen Dienstag und am Mittwoch waren bereits zwei Wochen vor Festivalbeginn ausverkauft. "O.T. Eine Ersatzpassion", ein bizarr-beschwingtes Stück musikalisches Chaos war Marthalers Abschiedsproduktion am Schauspielhaus Zürich, vor seiner vorzeitigen Entlassung in 2004.

Das Festival verspricht aber auch noch andere emotionale Facetten, etwa mit der italienischen "Tragedia Endogonidia" von Romeo Castellucci, mit der kanadischen Produktion "Bigger than Jesus" oder mit dem Ballsaal-Projekt "She She Pop" aus Hamburg.

Und was hat es mit Bairischen Geisha auf sich? Am Ende des Tages fließen alle Emotionen bei ihr zusammen. Die fidele Dreierformation der stilisiert bayrisch-japanischen Damen inszeniert täglich gegen Mitternacht die rituelle Abschlussfeier mit der Festivalhymne.