Nicht nur der Sieg zählt

Die Fairness im Sport

Von Ole Schulz · 24.04.2016
Wer gesteht schon gern Fehler ein? Miroslav Klose hatte die Größe: Bei einem Spiel zwischen Lazio Rom und Neapel gab er im Nachhinein ein Handspiel zu, sein Tor wurde wieder aberkannt. Beispiele für ein faires Verhalten haben allerdings Seltenheitswert.
Samstagvormittag in Berlin-Mitte. Auf einem Kunstrasenplatz treffen sich hier regelmäßig Hobbyfußballer – schon seit über 25 Jahren. Markus Wiehlers Familie hat die Mannschaft gegründet – und sie "Mischzone" genannt.
"Die gibt’s schon seit DDR-Zeiten, seit Ende der 80er. Da haben sich ursprünglich Artisten getroffen, zum Sonntagskick am Monbijou-Platz, mein Vater, mein Onkel usw., und da fing das eigentlich an. Und Mischzone, vielleicht der Name, deswegen, wie man schon sagt: Wir sind Ost-West, Jung-Alt, 14jährige haben hier schon mitgemacht, ganze Fußballergenerationen haben wir hier großgezogen sozusagen."

Erst brüllen, dann abklatschen

Mischzone spielt nicht um Punkte und ist eine reine Freizeitmannschaft. Im Laufe der Jahre wurde das Team dann ähnlich international wie die Stadt Berlin nach dem Mauerfall:
"Na, erst reine Ossi-Mannschaft. Ja, und dann in den 90ern, 91 und 92, kamen Leute aus dem Kiez, die Häuser besetzt haben zum Beispiel oder Ähnliches, die kamen dann zu uns und dann hat es sich das wirklich gemischt. Und dann wurde es sehr international: Also, sagen wir von Kolumbien, Türkei, Russland, eigentlich alles, Italiener, Brasilianer – jetzt ist es sogar international gemischt, genau."
Und obwohl so unterschiedliche Mentalitäten und Kulturen zusammen kommen, geht es beim Mischzone-Kick ziemlich friedlich zu:
"Es wird sich da schon mal angezickt und gebrüllt, aber zum Schluss ist immer Abklatschen. Also, insgesamt schon Fair Play, aber so ganz ruhig sind wir auch nicht. Und Fouls probieren wir zu vermeiden. Jetzt richtig krasse Fouls haben wir eigentlich selten."
Das Fair Play – ein großer Begriff, der Erwartungen weckt. Heute wird er auch gern über den Sport hinaus verwendet. Doch geprägt wurde er vor allem im 19. Jahrhundert. Der Sportsoziologe Gunter A. Pilz:
"Der Begriff Fair Play, den auch die Olympische Idee für sich vereinnahmt hat, entstammt eigentlich dem viktorianischen Zeitalter in England, wo der Adel Sport trieb. Und für ihn war es wichtig, dass es drei ganz zentrale Punkte gab, nämlich einmal Herstellung von absoluter Chancengleichheit, zum zweiten Einhalten der Regeln und drittens Achten des Gegners als Partner."

Britischer Adel führte Regeln ein

An sportlichen Wettbewerben durften damals allerdings noch nicht alle teilnehmen. Dafür sorgte schon die Oberschicht. Indem sie den Status des Amateurs einforderte:
"Der britische Adel hat im Prinzip die Amateurregeln eingeführt, deshalb weil er sagte: Menschen, die gezwungen sind durch ihre Hände Arbeit ihren Unterhalt zu verdienen, können dem Geist des Fair Play nicht entsprechen, weil man das nur dann kann, wenn man Sport macht oder handelt, ohne dass man damit einen gewissen Zweck verbindet. Und wer den Sport nicht zum Selbstzweck betreibt, kann auch nicht fair handeln."
"Es war sozusagen die Ideologie der Gentleman-Sportler, die den Sport nicht so ernst genommen haben, als dass er eine Sache auf Leben und Tod wäre, auf unbedingtes Siegen wollen."
Auch der Sportjournalist und Autor Martin Krauß meint, dass der Amateurparagraf für eine klare Ausgrenzung sorgte:
"Das war eine soziale Distinktion gegenüber den Arbeitern, für die Siegen durchaus etwas Wichtiges war im Sport – gerade nach dem der Berufssport eingeführt war. Da war Siegen zum Teil ein essentielles Erfordernis, und davon haben sich die Gentleman-Sportler versucht, ideologisch abzusetzen."
Doch der Siegeszug des Sports über alle Klassen- und Ländergrenzen hinweg war nicht aufzuhalten. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat das einmal so formuliert: Im Sport der Moderne habe das "ritterliche Fair Play" der "`vulgären´ Verbissenheit des Siegens um jeden Preis" Platz gemacht.

Ein Spiel mit drei Halbzeiten

Schneller, höher, weiter. Siegen um jeden Preis? Ist Gewinnen das Einzige, was heute noch zählt? Immerhin wird auch das Prinzip des Fair Play weiterhin bemüht – zumindest von Kommentatoren und Sportfunktionären.
Martin Krauß: "Fair und Fairness ist mittlerweile ein zentraler Begriff des Sports geworden. Es ist das Ideal wie der Sport sein soll. Der zentrale Vorwurf, den man dem machen kann, ist es eben ein Ideal ist, dass es eine nicht einzulösende Utopie ist, die nie funktioniert hat und nie funktionieren wird ."
Sportsoziologe Gunter A. Pilz sieht das teilweise jedoch etwas anders. Neben Fankulturen gehört das Thema Fair Play zu den Arbeitsschwerpunkten des 71-jährigen.
"Und selbst wenn während des Spiels laufend gegen Regeln verstoßen wird, gibt es doch so etwas wie den Geist des Fair Play. Und ich habe es mal etwas pathetisch formuliert: Das Fair Play ist im Prinzip der Kitt, der den Sport als Sport bleiben lässt und verhindert, dass es im Prinzip in einen nackten Existenzkampf ausartet, wie das übrigens bei den Olympischen Spielen in der Antike der Fall war. Da gab's ja Tote, und es gab sogar Situationen, wo jemand, der im Ringkampf heldenhaft umgekommen ist, weil der andere in so massiv behandelt hat, posthum zu Sieger erklärt wurde, weil er heldenhaft gestorben ist."
In der Grundschule am Insulaner in Berlin, Steglitz-Zehlendorf: Eine fünfte Klasse spielt Fußball – aber nicht so wie üblich. Beim "Straßenfußball für Toleranz" – auch "Football3" genannt – gibt es gemischte Mannschaften, keinen Schiedsrichter und:
"Drei Halbzeiten, weil in der ersten Halbzeit bespricht man die Regeln, mit dem Teamer auch. Und in der zweiten spielt man. Und in der dritten Halbzeit bespricht man, ob alle Regeln eingehalten wurden."
Zunächst bestimmen die Kinder selbst einige Regeln – zum Beispiel, dass nur die Tore von Mädchen zählen. Dann wird gekickt. Abschließend wird über das Spiel geredet, und es werden Punkte vergeben – auch für Fair Play. So kann es vorkommen, dass eine Mannschaft wegen ihres fairen Auftretens am Ende "gewinnt", obwohl sie nach Toren verloren hätte. Der 18-jährige Pierre leitet die Gruppe an:
"Na, diese drei Halbzeiten sind insofern gut, weil man sich erstmal verständigen muss, auch mit dem gegnerischen Team, nicht nur mit seinem eigenen. Man muss sich einig werden mit den anderen Leuten. Man braucht ein bisschen Empathie, weil man sich eben in die anderen hineinversetzen soll. Man muss sich Regeln aufstellen, mit denen alle einverstanden sind. Das Spielen nimmt dann ja nur sozusagen ein Drittel der Zeit ein. Und der hauptsächliche Teil ist halt dieses Soziale und die Interaktion mit dem gegnerischen Team auch, und dass man sich auch nachher noch mal trifft und bespricht sozusagen, was passiert ist."

Kinder sollen Fouls untereinander erkennen

Damit die Kinder das Meiste untereinander aushandeln, hält sich der Betreuer während des Spiels zurück:
"Der Teamer ist eher ein Beobachter als ein Schiedsrichter, weil er nur dasteht und sich das Spiel ansieht und den beiden Teams ein Feedback gibt, wie er das Spiel fand. Aber die Teams selber entscheiden sozusagen, wie viele Punkte sie geben, wie sie selber das Spiel fanden. Also der Teamer leitet nur die drei Regeln an und stellt am Ende sozusagen seine Beobachtungen fest, den beiden Teams, lässt aber die Teams selbst entscheiden eigentlich."
Katharina Jacob ist die Lehrerin, die den Straßenfußball der drei Halbzeiten an die Schule gebracht hat. Bereits seit 2003 arbeitet sie nach der Methode, die Jürgen Griesbeck entwickelt hat – der Gründer des Straßenfußballnetzwerks Streetfootballworld.
"Bei mir ist es immer so, dass ein Junge ein Mädchen wählt und ein Mädchen einen Jungen. Und wenn die das in der 1. Klasse machen, finden die das nachher ganz normal. Also, da gibt’s das gar nicht mehr dieses – `Ich will aber mit meinem Freund´ oder aber `Ich will aber jetzt mit Jungs, damit wir Gewinnen´ –, und allein durch so eine ausgewogene Mannschaftsaufstellung kommt mehr das Spiel ins Zentrum, und nicht nur der Sieg oder wie setze ich mich durch, sondern es geht um das Spiel, dass es ein gutes Spiel ist, ein faires Spiel ist und ein Spiel ist, das Spaß macht."
Katharina Jacobs junge Schützlinge an der Schule hatten schon Besuch von Straßenfußballern aus Ruanda, Chile, Argentinien und Brasilien.
"Wir haben ja relativ gute Kontakte über unser Straßenfußballnetz mit Kickfair und Streetfootballworld, auch in andere Länder. Die besuchen uns und führen mit unseren Kindern Workshops durch. Da geht es dann auch um Straßenfußball, die spielen auch, aber wichtig ist zu gucken, was haben wir mit den Kindern in den anderen Ländern gemeinsam. Und dann kommt es zu so einem Austausch: Was unterscheidet uns, was ist bei den Kindern in den anderen Ländern vielleicht anders als bei uns. Und sie reflektieren erst mal ihre eigene Umwelt und ihre eigene Situation und vergleichen sie dann mit anderen. Und daraus entwickeln sich ganz viele Themen, die ich dann auch im Unterricht auch bearbeite."
Im Mittelpunkt ihrer Projekte steht oft die Frage nach der Fairness – im Sport wie in anderen Lebensbereichen:
"Ich finde es wichtig, den Kindern diesen Fairness-Gedanken mit auf den Weg zu geben, weil ich glaube, dass das zukünftig auch etwas Entscheidendes sein wird, wie unsere Kinder drauf sind. Und für mich ist das so ein bisschen Zukunftsarbeit. Also, wenn ich sage unter dem Motto `Eine Welt mit Zukunft´, dann sehe ich, dass wir die Kinder dazu bringen müssen, sich auszutauschen mit anderen, zu sehen, wo Ungerechtigkeiten sind und dass man mit einem fairen Verhalten ganz viel erreichen und ganz viel tun kann."
Für die Zukunft des "Straßenfußball für Toleranz" wünscht sich Jacob vor allem eines:
"Dass man es fester an Schulen installiert, weil ich der Meinung bin, dass die Kinder ein sehr gutes Sozialverhalten lernen, dass sie sehr eigenverantwortlich handeln lernen. Und ich würde es auch begrüßen, wenn es in den Vereinen mehr Einzug findet."

Fouls, die nicht verletzen dürfen

Dass faires Verhalten in den Sportvereinen nicht unbedingt gefördert wird, unterstreicht eine Studie des Sportsoziologen Gunter A. Pilz. Dafür wurden Jugendliche in Fußballvereinen zu ihrem Fairness-Verständnis befragt. Das Ergebnis: Je länger sie im Verein spielen, desto häufiger begehen sie zum Beispiel bewusst taktische Fouls – also absichtliche Fouls, die eine für den Gegner vorteilhafte Spielsituation unterbinden sollen. Pilz kann diesem Verhalten dennoch etwas abgewinnen:
"Selbst wenn ich erfolgsorientiert spiele, gibt es gewisse Grenzen. Also, ich muss zwar foulen, aber wenn ich foule, dann möglichst so, dass ich den Gegenspieler nicht verletze. Und das hat ja schon wieder eine ethische Dimension."
Den von ihm viel beschworenen "Geist des Fair Play" sieht Pilz auch bei den ungeschriebenen Regeln, die auf den Sportplätzen gelten:
"Wenn ein Spieler verletzt am Boden liegt, verzichtet man auf den Vorteil, jetzt aufs Tor zu zu rennen, sondern spielt den Ball ins Seitenaus. Das steht in keiner Regel. Es ist nirgendwo verlangt – genauso wenig, dass ich den Ball hinterher wieder dem Gegner zurück werfe."
Allerdings gibt es laut Pilz Hinweise darauf, dass es – zumindest im Freizeitsport – ohne Schiedsrichter häufig "fairer" zugeht.
"Wir haben mal Untersuchungen gemacht und festgestellt, dass Spiele, gerade auf dieser Ebene, ohne Schiedsrichter viel friedlicher ablaufen als mit. Was passiert denn, wenn ich einen Schiedsrichter habe? In dem Moment, wo ich einen Schiedsrichter habe, lass ich die Verantwortung für mein Verhalten in der Kabine. Was erlaubt ist und was nicht erlaubt ist entscheidet die Trillerpfeife des Schiedsrichters."
Sind Schiedsrichter nicht mehr zeitgemäß? Henning Harnisch kann sich das inzwischen durchaus vorstellen. Der frühere Basketballprofi ist heute Vize-Präsident von ALBA Berlin und für die Jugend zuständig. Ähnlich wie beim "Straßenfußball für Toleranz" will der 48-jährige im Jugendbereich Spieler oder Betreuer anstelle von Schiedsrichtern einsetzen, um den Fair-Play-Gedanken zu fördern.
"Wie entwickelt man da neue Ideen? Wie lässt man mehr die Spieler auch mehr so ein Spiel leiten. Und dann fragt man sich natürlich gleichzeitig: Ok, es gibt auch Spiele oder Spielideen, das freie Spielen, wo die Leute das selber regeln. Und ich glaube, wenn wir das weg vom Profisport oder vom höherklassigen Leistungssport leben wollen, müssen wir diese Schiedsrichter-Figur eigentlich komplett drehen, müssen uns die selber zu eigen machen. Ja, das alles selber leitet."
Henning Harnisch, früher wegen seiner Sprung- und Wurf-Künste auch "Flying Henning" genannt, gewann 1993 gemeinsam mit Detlef Schrempf die Basketball-EM.

Henning Harnisch glaubt an Fair Play

Henning Harnisch, Vize-Präsident des Basketball-Bundesligisten ALBA Berlin, steht am 19.08.2014 vor dem Brandenburger Tor in Berlin.
Der ehemalige Basketball-Profi Henning Harnisch am Brandenburger Tor in Berlin.© picture alliance / dpa / Andreas Schwarz/Kinder+Sport
"Wahnsinn – Deutschland Europameister im Basketball. Ein Traum, ein Super-Traum."
Für Harnisch haben moralische Fragen im Sport immer eine wichtige Rolle gespielt. Und er ist davon überzeugt, dass es selbst im Leistungssport bis heute überwiegend fair zugeht.
"Wenn Spieler untereinander merken, da ist einer, der benimmt sich da ein bisschen falsch. Das macht man so ein Mal, aber dann weisen nicht nur Trainer einen darauf hin. Und deswegen glaube ich, dass die Fair-Play-Idee grundsätzlich auch im Profisport total angewandt wird. Ich finde man sieht das auch, man spürt es bei Spielen."
Fair Play, das ist das Ideal. Etwa wenn ein Fußballer im Nachhinein ein Handspiel zugibt – obwohl sein Tor deshalb aberkannt wird. Miroslav Klose sorgte so in einem Spiel für Lazio Rom gegen Neapel für Aufsehen. In Erinnerung bleiben uns aber oft weniger die fairen Gesten auf dem Platz als die unsportlichen.
Bestes Beispiel: Diego Maradona. Der Argentinier erzielte im Viertelfinale der WM 1986 gegen England das 1:0 regelwidrig mit der Hand – und sagte danach, es sei die "Hand Gottes" gewesen.
Doch sogar bei einem solch klaren Regelverstoß kann man im Rückblick über seine Bewertung streiten. Sportjournalist Martin Krauß:
"Es wurde nachher argentinischerseits als Schlitzohrigkeit interpretiert, englischerseits als grobe Unfairness. Wahrscheinlich ist es beides – jeder hat aus seiner Sicht recht, aus seiner Perspektive. Gut, in Argentinien gilt er dafür als Held."
Als Held galt auch der heutige Trainer von Real Madrid, Zinedine Zidane. Damals war der elegante Mittelfeldlenker das Herz des französischen Spiels. In der Verlängerung des Endspiels der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 allerdings erwies er seiner Mannschaft einen Bärendienst.

Zidanes Ausraster - eine folgenreiche Dummheit

"Was hat ihn da geritten? Es ist nicht das erste Mal – in der großen Fußballbiografie von Zidane. Mit voller Absicht hinein – auf die Brust.”
Zidane hatte den italienischen Verteidiger Materazzi mit einem Kopfstoß niedergestreckt, nachdem dieser Zidanes Familie verbal übel beleidigt hatte.
Früherer französischer Fußballspieler Zinedine Zidane
Berühmt für seine Kunst als ehemaliger Ausnahme-Fußballer und für seinen Kopfstoß: Zinedine Zidane © dpa/picture alliance/Ian Langsdon
"Wie kann man sich so seinen Abschied zerstören? Alle lieben diesen Fußballer, alle verehren ihn. Und jetzt hat er Meldung gemacht, jetzt ist klar: Zidane muss gehen.”
Der Sportjournalist Martin Krauß hält Zidanes Ausraster in erster Linie für eine folgenreiche Dummheit – seine rote Karte habe nur die eigene Mannschaft geschwächt.
"Dass man so was auf dem Platz nicht sagt, was Materazzi gesagt hat, das ist natürlich klassisches Fair Play – nur, es wurde schon immer gesagt. Natürlich wurde schon immer beleidigt. Das ist ein ganz einfaches Prinzip: Man muss den Gegenspieler – gerade wenn er sportlich wesentlich besser ist, was auf Zidane definitiv zutrifft –, dann muss man den besonders beleidigen, um ihn aus der Reserve zu locken, um ihn zu verunsichern, um ihn zu einer Unüberlegtheit zu provozieren."
Außer den Gegner zu achten und die Regeln einzuhalten gehören auch gleiche Chancen für alle zu den Grundsätzen des Fair Play. Doch gerade in diesem Punkt steht der Hochleistungssport wegen nicht enden wollender Dopingskandale seit Jahren in der Kritik. Die Internationalen Sportverbände wiederum werden durch Korruption und Vetternwirtschaft erschüttert.
"Wenn ich mir das Internationale Olympische Komitee und die Funktionäre angucke, dann muss man schon sagen, dass sie längst, das was sie permanent predigen, verlassen. Und gerade wie die zum Teil agieren, da sehen sie ja, diese Leute sind korrupt bis zum geht nicht mehr, und sind die Gleichen, die die Olympische Idee und das Fair-Play-Idee haben. Ich glaube, die die es am Intensivsten leben, das sind die, die eigentlich am Meisten in der Schusslinie sind, das sind die Athleten."
Henning Harnisch kann das nur bestätigen. 1992 hat er mit Deutschlands Basketballern an den Olympischen Spielen in Barcelona teilgenommen. Es war eine unvergleichliche Erfahrung, sagt Harnisch – auch wenn er die Kritik an korrupten Funktionären teilt und das Doping-Problem nicht kleinreden will:
"Ja, ich glaube schon der Punkt, dass man auf einmal Teil ist einer Weltsportidee und an einem Ort ist, den man im Fernsehen guckt, und mein Bruder und ich haben das immer alles geguckt, und auf einmal ist man selber da, das ist schon ein sehr erhabenes Grundgefühl."

"Enormes Glaubwürdigkeitsproblem"

Im August stehen nun die nächsten Olympischen Spiele an: in Rio de Janeiro. Werden es faire und vor allem saubere Spiele sein? Immerhin wurde im November 2015 der gesamte russische Leichtathletik-Verband wegen schwerer Dopingvorwürfe vorerst von internationalen Wettbewerben ausgeschlossen.
"Der Profisport hat ein enormes Glaubwürdigkeitsproblem. Im Grunde kann man ihm keinen einzigen Rekord mehr glauben, keinen Weltrekord."
Martin Krauß hat bereits zwei Bücher über das Doping geschrieben. Und obwohl es gegen das Fair-Play-Gebot der Chancengleichheit verstößt, plädiert der 52-jährige für einen gelasseneren Umgang mit den verbotenen Substanzen – auch weil sie eh fast alle nehmen. Dass Dopingsünder in Deutschland seit Januar strafrechtlich belangt werden können, hält Krauß für überflüssig:
"Ich bin gegen dieses Anti-Doping-Gesetz. Das hat mehrere Gründe. Zum einen sage ich, den Staat geht das nicht allzu viel an, das wird die Situation nicht verbessern, wenn sich der Staat darum kümmert. Zum zweiten sage ich, dass wird nichts verändern, weil auch die Sportverbände natürlich bislang einen durchaus empfindliches Strafsystem hatten. das bringt wenig, wenn man jetzt mit dem Knast droht, wenn man bislang schon mit Berufsverbot gedroht hat."
Der frühere Basketball-Profi Henning Harnisch hält außerdem die schon geltenden Bestimmungen für schwerwiegende Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Sportler:
"Ich bin froh, dass ich heutzutage nicht mehr Nationalspieler bin, quasi eine Fußfessel um sich hat, weil man sich immer an- und abmelden muss. Stell Dir vor, du willst ein Wochenende nach Paris fahren mit deiner Freundin, ganz spontan, und dann macht du das und tust du was, was gegen die Abmachungen ist der Nada, Wada usw.. Sehr schwieriges Thema. Keine Ahnung, wie man da jemals noch mal rauskommen könnte. Beide Extreme – sowohl die vollkommene Freigabe als auch das vollkommene Verbot, funktionieren nicht. Irgendwo dazwischen bewegen wir uns."
Doch sind die Olympischen Spiele erst einmal eröffnet, interessiert das Doping-Thema wahrscheinlich nur am Rande. Sportsoziologe Gunter A. Pilz hält sportliche Großereignisse wie die Olympischen Spiele, bei aller Kritik, dennoch für wichtig:
"Wo wir eh gezwungen werden, unsere Emotionen ständig zurückzunehmen, sind gerade solch Sportereignisse eine wunderbares Vehikel, übrigens in einem kathartischen Sinne auch sehr wichtiges Vehikel, wo man mal Emotionen, Affekte ausleben kann und auch so ein bisschen sich in Grauzonen des Unerlaubten bewegen kann. Es gilt übrigens auch für Zuschauer. Wenn sie mal am Samstag ins Stadion gehen und sitzen in der VIP-Lounge, dann werden sie sich wundern, was da gestandene Politiker, vom Bundeskanzler bis sonst was, 90 Minuten lang aufn Platz brüllen."

"Eine unglaubliche Kraft"

Zurück in Berlin-Mitte. Auch zum Ende des Spiels der Freizeitfußballer geht es meist fair zu – sagt Volker Hormann vom Mischzone-Team:
"Meistens schon. Es gibt natürlich Fälle, wenn man so ein bisschen angeheizt ist, weil es nicht so läuft. Also, man merkt irgendwie: Alle kommen mit ihrer ganzen Woche, was sie erlebt haben, kommen hier auf den Platz und da stecken bei einem mal mehr Emotionen drinnen, mal weniger, und manchmal kocht´s bisschen hoch und dann kommt´s halt zu Situationen, wo man nicht mehr so fair ist. Wo man dann sagt: Nee, ich war nicht mehr dran am Ball, obwohl man noch dran war, also solche Geschichten halt, ich glaub kleinere Sachen. Sonst klappt es eigentlich super."
Volker Hormann spricht von der "verbindenden Kraft" des Sports – fernab von Großevents und Millionenverträgen. Hier würde Fair Play meist ganz selbstverständlich gelebt.
"Sport vor allem hat so eine integrative Kraft, finde ich. Ich meine hier gibt’s ja auch welche, die herkommen und kein Deutsch sprechen, die jetzt hier bei uns eigentlich Deutsch lernen. Es werden irgendwie alle aufgenommen und das ist toll – das ist die eigentliche Kraft des Sportes so, die in der ganzen Kommerzialisierung des Sportes durch solche Konzerne wie die FIFA usw. eigentlich verdrängt werden. Und das ist eigentlich das Wichtige. Das sieht man hier auf dem Platz, dass es funktioniert. Hier im Kleinen. Jeden Samstag, und an ganz vielen anderen Orten in Berlin und auch woanders, dass das, ja, eine unglaubliche Kraft hat."
Mehr zum Thema