Nicht mein Bier

Von Udo Pollmer · 21.03.2010
Bier soll ja so gesund sein - es ist rein pflanzlich und hält Männer trotzdem bei Kräften. Der Hopfen beruhigt die Seele und das Malz hält den Körper fit. Vorausgesetzt, die Schankanlage ist keimfrei. Was nicht in jeder Kneipe der Fall ist.
Die Lebensmittelüberwachung in Hessen, genauer gesagt die Kollegen in Kassel, haben sich wieder mal in gastronomischen Betrieben umgesehen und dabei ein Auge auf die Schankbiere geworfen. Wie sauber sind die Biergläser und vor allem das darin ausgeschenkte Bier? Da gesetzlich verbindliche Vorschriften fehlen – die Schankanlagen-Verordnung ist seit fünf Jahren außer Kraft – war dieses Thema mittlerweile ein Stiefkind der Lebensmittelkontrolle. Welche Behörde will sich da schon auf langwierige Verfahren einlassen, die mangels klarer Regelungen erfahrungsgemäß dann doch im Sande verlaufen?

Mittlerweile gibt’s zwar eine DIN-Norm für Schankanlagen, aber die ist nicht bindend. Immerhin gibt sie den Stand der Technik wieder und erlaubt damit zumindest ein fachliches Urteil. Also ran ans Bier. Zunächst das Positive: Von den 839 frisch gezapften Bieren war fast die Hälfte hygienisch in Ordnung. Das ist allerdings keine Kunst, denn der Gastwirt bekommt sein Bier heute praktisch keimfrei. Auch dort wo "mit feiner Hefe" oder "naturtrüb" draufsteht, ist das Produkt häufig ohne lebende Keime. Der Weißbiertrinker weiß zwar, dass er an sich ein obergäriges Bier trinkt, also ein Bier, bei dem die Hefe bei der Gärung obenauf schwimmt. Aber er wundert sich nicht, wenn die angeblich oben schwimmende Hefe leblos am Boden seiner Flasche klebt.

Damit die Hefe in der Flasche keinen unappetitlichen Unfug anstellt, wird das Bier nach der Gärung erst einmal filtriert. Und dann gibt man ins klare, gefilterte Weißbier ein bisschen untergärige Hefe - für die Flaschengärung, also für die letzten fünf Prozent. Noch sicherer ist es, wenn man die Hefe erst mal abtötet, bevor sie in die Flaschen kommt. Man nennt das dann Tothefe. Je toter, desto haltbarer das Bier. Natürlich lässt sich eine ordentliche Reinheitsgebotsplörre auch noch mit anderen keimfreien Substanzen aus den Filtern anreichern, damit die Trübung auch zielsicher auf die Erwartungen des Publikums passt. "Naturtrüb" ist meist nur Hightech fürs Auge – es sei denn, man kriegt in einer Hausbrauerei tatsächlich ein ungefiltertes Bier. Deshalb schmeckt das so anders.

Lebendig wird das Produkt – egal ob blank filtriert oder nachträglich wieder eingetrübt - erst wieder beim Gastwirt. Die hessische Lebensmittelüberwachung fand in knapp 40 Prozent der untersuchten frisch gezapften Biere jede Menge Keime, die bei einer hygienischen Arbeitsweise problemlos zu vermeiden gewesen wären. Bei knapp 20 Prozent der Biere passt wohl der Begriff "versifft" am besten. Nicht nur, dass darin exorbitant hohe Keimzahlen nachweisbar waren, sondern auch noch reichlich Fäkalkeime, Marke Escherichia coli und Anverwandte. Von Reinheit keine Spur. Wie wäre es, wenn unsere Wirte den Begriff Reinheitsgebot auch in ihrem Betrieb verinnerlichen würden? Dazu gehört nicht nur das gelegentliche Wechseln des lauwarmen Spülwassers oder das Händewaschen nach der Toilette, sondern vor allem die gründliche Wartung und Desinfektion der Schankanlage.

Genau daran hapert es meistens: Statt den Zapfhahn auseinanderzunehmen und zu säubern, bleibt schon mal das Bier über Nacht in den Leitungen stehen – im Fachjargon "Nachtwächter" genannt. Darin vermehren sich die Keime und beginnen die Anlagen mit Biofilmen auszukleiden. Es genügt halt nicht, am nächsten Abend das erste Glas Bier wegzuschütten. Wenn also an Deutschlands Biertischen wieder einmal über Gammelfleisch und andere Ferkeleien philosophiert wird, und mit bierseliger Mine das Reinheitsgebot beim Bier loben, dann sollten die Gäste nicht nur an Schlachtereien denken, sondern auch an den Wirt in ihrer Stammkneipe. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, dem bleibt ja noch das Flaschenbier. Sein Inhalt ist gewöhnlich mausetot. Prost!

Literatur:
Siener J, Taschan H: Mikrobiologische Beschaffenheit und lebensmittelrechtliche Beurteilung der Schankbiere. Lebensmittelchemie 2010; 64: 9-10