"Nicht das Dümmchen aus der Pfalz"

Heribert Schwan im Gespräch mit Britta Bürger · 23.06.2011
Was für eine Frau steckte hinter der Maske aus Make-up und Perücke, die den aufstrebenden Bundeskanzler Helmut Kohl unterstützt hat, Karriere zu machen? Hannelore Kohl habe "sehr früh mitgekriegt, dass Politik was ganz Schlechtes ist", sagt der Biograf Heribert Schwan.
Britta Bürger: Was für eine Frau steckte hinter der Maske aus Make-up und Perücke, die den aufstrebenden Bundeskanzler Helmut Kohl rundum darin unterstützt hat, Karriere zu machen, während sie selbst ihre Ausbildung als Dolmetscherin abbrach und im Kanzlerbungalow in Oggersheim seelisch verkümmerte? Diese Frage hat den langjährigen ARD-Journalisten Heribert Schwan umgetrieben und der während der Mitarbeit an einer Helmut-Kohl-Biografie einige Zeit ein und aus ging beim Ehepaar Kohl. Schönen guten Tag, Herr Schwan!

Heribert Schwan: Guten Tag nach Berlin!

Bürger: Glaubt man Ihrem Buch, dann hat sich Hannelore Kohl Ihnen offenbart wie keiner anderen öffentlichen Person. Wie erklären Sie sich das?

Schwan: Nun ja, ich habe Hannelore Kohl Mitte der 80er-Jahre kennengelernt – ich war dabei, mit einem Koautor ein Buch über Helmut Kohl zu schreiben. Wir haben damals mit sehr vielen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gesprochen, Mitschülern, Konabiturienten, Kommilitonen und so weiter. Dann habe ich einen Film gedreht über Hannelore Kohl für die ARD, und da hat natürlich Hannelore Kohl auch eine Rolle gespielt. Das heißt, wir kamen uns näher, Hannelore Kohl las das Buch, sah den Film, und dann habe ich mich darum bemüht, eine Dokumentation über sie zu drehen. Schwerpunkt ihr soziales Engagement für das Kuratorium ZNS für Verletzte [mit Schäden] des Zentralen Nervensystems.

Und was die Hannelore Kohl damals festgestellt hat, war, dass wir nicht diesen Klischees nachgingen, sondern wir versuchten darzustellen, dass sie nicht das Dümmchen aus der Pfalz, das Baby aus der Pfalz oder Barbie aus der Pfalz war. Und sie hat gesehen, dass man einigermaßen redlich mit diesem Ehepaar Kohl umgeht, wenngleich man natürlich auch sämtliche Stärken und Schwächen artikuliert hat. Es war damals eine kleine Sensation, dass es mir gelang, sie für eine Fernsehdokumentation zu gewinnen. Sie hatte plötzlich Vertrauen zu mir, und vielleicht lag es auch daran, ich hatte ihr irgendwann mal einen Tipp gegeben. Sie machte ein kleines Werbefilmchen für ihr Kuratorium, für die Hannelore Kohl Stiftung, und da habe ich empfohlen: Passen Sie auf, machen Sie es doch wie die großen Stars, wie die großen Radio- und Fernsehleute, vor allem die Fernsehleute, besorgen Sie sich eine Kamera mit Teleprompter. Das war ein Hinweis, sie hatte keine Ängste mehr, dass sie was Falsches sagte, sie hatte alles gut aufgeschrieben. Und dann rief sie mich an und sagte: besten Dank für Ihren Hinweis!

Bürger: Aber wie kam es zu solchen Situationen, in denen Hannelore Kohl Ihnen zum Beispiel erzählt hat, dass sie als Zwölfjährige auf der Flucht mehrfach von russischen Soldaten vergewaltigt worden ist? So was erzählt man ja nicht aus heiterem Himmel, und eine den Medien und der Politik gegenüber verschlossene Frau wie Hannelore Kohl schon gar nicht.

Schwan: Als ich damals den Film über sie drehte, hat sie immer wieder erzählt von dieser Flucht, von der schrecklichen Zeit. Zunächst mal als Kind hatte sie natürlich eine wunderbare Ära sozusagen, in Leipzig großbürgerlich aufgewachsen, Sportunterricht, Musikunterricht, also großbürgerlicher ging es gar nicht in diesem Direktorienhaushalt. Allerdings waren der Vater, die Mutter beides Mitglieder der NSDAP, und der Vater war Direktor eines NS-Musterbetriebes. Kurzum, es blieben aber immer wieder Fragen offen.

Sie erzählte immer von diesen schrecklichen Flammen, von der Flucht, von den Russen, von den Soldaten, von der Beschießung und, und, und. Als ich dann nach der Kanzlerabwahl Helmut Kohl um ein Gespräch bat, um jetzt das Kohl-Buch, das wir gemacht hatten, zu aktualisieren, sagte ich, am besten sei es, Memoiren zu schreiben. Und dann sagte er, gut, wenn Sie mir dabei helfen, okay. Aber ich konnte gar nicht helfen, weil ich nun fest angestellt beim WDR war, aber wir fanden eine Lösung in einem kleinen Team von Wissenschaftlern, Historikern und so weiter. Und da bin ich viel bei ihm gewesen, da habe ich Hannelore persönlich wiedergesehen nach vielen Jahren, wiedergesehen und mit ihr viel gesprochen. Ich war oftmals dort alleine, arbeitete an Akten an den Wochenenden, Helmut Kohl war nicht da.

Bürger: Aber haben Sie gezielt auf diesen Punkt hin gefragt?

Schwan: Nein. Es war so, dass wir abends spazieren gegangen sind oder wir haben nach dem Abendessen zusammen diskutiert oder wir fuhren auch raus essen, immer in der Dunkelheit – sie war ja damals nur noch in der Lage, bei Dunkelheit rauszugehen. Und da sind wir durch die Wälder gegangen, stundenlang, und dann kam wieder die Geschichte auf ihre Kindheit, wieder auf die Geschichte der Flucht und wieder ging es darum, Schreckliches erlebt zu haben.

Ich hab dann nachgefragt: Was war denn tatsächlich so schrecklich auf der Flucht, was haben die Russen Ihnen angetan? Und dann hat sie gesagt, dass sie vergewaltigt worden ist. Ich habe dann nachgefragt, sie hat dann genickt. Sie hat geweint, sie hat bitterlich geweint, und ich hätte sie gerne getröstet und in den Arm genommen, ich hatte aber Angst, dass sie mir vielleicht eine runterhaut, weil sie Nähe zu Männern – das merkte ich – sehr deutlich so nicht mochte. Und wir haben viel über die Kindheit, über die Jugendzeit gesprochen, viel auch über ganz andere Sachen, auch über Politik, über das Elend in der Politik, viel über die Kindererziehung. Und immer wieder hat sie mich gefragt, wie ich eigentlich darüber denke, dass die Söhne so selten nach Hause kommen.

Bürger: Warum haben Sie diese im Vertrauen geäußerten Dinge öffentlich gemacht? Vielleicht hätte Hannelore Kohl das gar nicht gewollt.

Schwan: Hannelore Kohl wusste, dass ich kein Arzt bin, der der Schweigepflicht unterliegt. Hannelore Kohl wusste, dass ich Bücher schreibe, Hannelore Kohl wusste, dass ich Filme drehe, Hannelore Kohl wusste, dass ich an den Memoiren arbeite. Man kann es so oder so sehen. Diese Vergewaltigung, diese mehrfache Vergewaltigung hat sie zwei Freundinnen von vielen, vielen Freundinnen unter dem Siegel der Verschwiegenheit gesagt, bei mir war das nicht der Fall. Sie wusste, dass ich an den Memoiren arbeite und dass ich ziemlich großen Einfluss habe, was in diesen Memoiren steht. Und ich erkläre mir das heute so, dass sie auch in vielen anderen Fragen ihre Position mit eingebracht wissen wollte in die Memoiren, in die Erinnerungen ihres Mannes, dass ihre Rolle dargestellt wird und auch ihre Probleme, die sie gehabt hat, seit diesem Trauma der Vergewaltigung immer Schmerzen zu haben, immer nicht zu können, immer wieder verzichten zu müssen auf das ein oder andere, Schmerztabletten in einem fort zu nehmen und immer wieder auch an dieses Trauma dadurch erinnert zu werden. Und das wollte sie offenbar mir erklären.

Bürger: Heribert Schwan hat das Leben und Leiden der Hannelore Kohl in seinem neuen Buch beschrieben, Thema unseres Gesprächs hier im Deutschlandradio Kultur. Sie schreiben, dass sich Hannelore Kohl eigentlich nie für Politik interessiert hat – wie kommen Sie zu so einer Aussage? Das kann man sich doch wirklich nicht vorstellen.

Schwan: Ihr Vater war einst in die NSDAP eingestiegen und die Mutter auch 37. Die Mutter war im NS-Frauenbund und so weiter. Nach dem Krieg war Politik für die Familie Renner absolut tabu, und der Schwiegervater, der Wilhelm Renner, hat auch den Helmut Kohl später nie verstanden, was der eigentlich da in der Partei macht. Er war gegen jegliche Politik und er war natürlich auch ein Antidemokrat letztendlich. Die Hannelore Kohl hat sehr früh mitgekriegt, dass Politik was ganz Schlechtes ist. Es wurde negativ dargestellt und auch die Erziehung im Hause Renner war natürlich gegen Politik.

Aber Hannelore Kohl ist dann ihren eigenen Weg gegangen – Sie haben es schon angedeutet –, sie musste allerdings durch den Tod des Vaters die Dolmetscherausbildung abbrechen, 1952, und fand dann in Helmut Kohl den Fels in der Brandung, das kann man wirklich so sehen. Hannelore Kohl hat dann sehr früh mitbekommen an der Seite ihres Mannes diese schrecklichen Intrigen, diese Machtkämpfe, diese Grabenkämpfe, diese Ablehnung. Ich nenne jetzt einfach mal auch für die spätere Zeit, für die Kanzlerschaft, mal Namen wie Kurt Biedenkopf, Heiner Geißler, Franz-Josef Strauß – unerträglich. Hannelore Kohl hat den Franz-Josef Strauß gehasst, weil der Franz-Josef Strauß ihren Mann runtergemacht hat, schlechtgemacht hat, der Opposition Argumente geliefert hat, wie dumm und dämlich dieser Helmut Kohl eigentlich sei. Nein, sie hat sie gehasst, sie hat die Politik gehasst, sie hat auch gehasst diese Spendensammlerei. Sie war doch durch ihr soziales Engagement gewohnt, Spenden zu sammeln, aber jeden Pfennig abzurechnen. Und dann erlebte sie später diese Skandale in der CDU-Spendenaffäre, die sie ja schließlich ja umgebracht hat.

Bürger: Auch Walter Kohl, der andere Sohn, hat ein Familienbuch geschrieben, in dem er mit seinem Vater abrechnet. Ist Ihr Buch, Heribert Schwan, jetzt aber doch auch ein weiterer Schritt der Demontage von Helmut Kohl? Hannelore Kohl hat ihren Mann zwar immer unterstützt, wie Sie das beschreiben, aber sie hat eben auch – das kommt auch deutlich raus in Ihrem Buch – sehr unter ihm gelitten.

Schwan: Ich glaube nicht, dass das ein Buch gegen Helmut Kohl ist. Die Verdienste, die politischen Verdienste werden in meinem Buch und auch in der ...

Bürger: Die persönliche Ebene.

Schwan: Die persönliche Ebene, natürlich. Also ich meine, Helmut Kohl hat natürlich durch 16 Jahre Kanzlerschaft – was glauben Sie, was dieser Mann am Hals gehabt hat? 25 Jahre Bundesvorsitzender der CDU, das muss man wirklich mal sehen, das sind hohe Verdienste, das weiß jedermann. Was das Persönliche angeht, natürlich, da bin ich der Auffassung, dass er sie zuletzt im Stich gelassen hat. Er musste sich verteidigen in der Spendenaffäre, er musste viel in Berlin sein, er musste mit den Anwälten sprechen und, und, und.

Er musste einen Prozess verhindern, die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen mussten eingestellt werden, und da hatte er alle Hände voll zu tun. Dann kamen natürlich die Gerüchte, dass es da eine Geliebte gibt, eine viel Jüngere, das hat sie unglaublich geschmerzt. Hannelore Kohl war auch immer eifersüchtig, viele, viele Jahre eifersüchtig auf viele Frauen, die glaubten, die Erotik der Macht würde über vielem stehen. Nein, Helmut Kohl hat durch soziale Verantwortung alles getan, gerade in der letzten Phase der Krankheit, international zu gucken, wer kann helfen, welcher Mediziner ist hier noch zu konsultieren. Nein, es ist kein Buch gegen Helmut Kohl.

Bürger: Auch Peter Kohl, der andere Sohn, hat vor neun Jahren bereits eine Biografie über seine Mutter geschrieben, die soll nun auch von Uli Edel verfilmt werden. Möchte Peter Kohl die Deutungshoheit über das Leben seiner Mutter behalten?

Schwan: Das ist es eben: Die Kinder und auch der Mann wollen natürlich die Deutungshoheit über die Mutter, über die Familie behalten. Ich sage, ich möchte nicht zu diesen Werken von Walter und Peter Kohl Stellung nehmen, das ist ihre Sicht. Das ist die Sicht der Kinder, absolut legitim, absolut richtig, aber das ist Legendenbildung zum großen Teil, und vor allen Dingen wollen sie nicht wahrhaben, unter welchen schweren Gewissensbissen sie bis heute leiden, unter schlechtem Gewissen, weil sie die Mutter in den letzten Lebensmonaten, beide, die Söhne, im Stich gelassen haben.

Da können sie noch so behaupten, dass das nicht stimmen würde, es ist so, ich hab’s hautnah erlebt. Der Enkel, der einzige Enkel der Hannelore Kohl, der Johannes Kohl, der Sohn von Walter Kohl und seiner Frau, ist monatelang nicht gekommen wegen der angeblichen Verdunklung in der Wohnung. Hannelore Kohl hat mit Freunden, mithilfe von Freundinnen Tests gemacht bei Fünfjährigen, wie sie mit der Dunkelheit klarkommen, da gab es überhaupt keine Probleme. Nein, die Söhne haben Verantwortung gehabt für die Mutter und haben diese Verantwortung nicht gelebt. Und wenn ich heute überlege, dass das Grab kaum gepflegt wird, da kann man sagen, okay, die neue Frau an Helmut Kohls Seite hat daran kein Interesse, sie will ohnehin die Erinnerungen die zerstören, nein, da müssen halt die Söhne ran. Und die Söhne reden viel, tun aber wenig.

Bürger: "Die Frau an seiner Seite. Leben und Leiden der Hannelore Kohl". Das Buch von Heribert Schwan ist im Heine-Verlag erschienen. Ich danke Ihnen fürs Gespräch, Herr Schwan!

Schwan: Wiederhören!