New York Times-Podcast "1619" über Sklaverei

Die Heuchelei der Gründerväter

06:43 Minuten
Eine Gravur zeigt eine Sklavenauktion in den USA um 1870. Eine Frau umarmt dabei schützend Ihre Tochter. Um sie herum stehen Männer mit Hüten und der Auktionator auf einem Fass.
Sklavenauktion in den Vereinigten Staaten 1870. © imago images / Artokoloro
Von Sebastian Dörfler · 30.09.2019
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Die Gründung der USA ist eng mit der Sklaverei verbunden. Ein schwerer Stoff für einen Podcast. Doch der New York Times gelingt es, in vier Folgen von "1619" diese Geschichte und ihre Wirkung bis in die Gegenwart zu erzählen.
Es ist ein Podcast, an dem man nicht vorbeikommt. "1619" heißt er, benannt nach dem Jahr, in dem die ersten Sklaven aus Afrika an der US-Küste von Virgina anlegten.

Persönlicher Zugang zur Geschichte

Bei dem Podcast geht es um nicht weniger als die Geschichte der Sklaverei in den USA. 400 Jahre über den Beginn und das Wirken der Sklaverei ist viel Stoff – vor allem schwerer Stoff, den man nicht mal eben so erzählt. Doch wenn man sich auf das Thema einmal eingelassen hat, ist es gut und abwechslungsreich erzählt, so dass man als Hörer am Ball bleibt.
Host des Podcasts ist Nikole Hannah-Jones vom New York Times Magazin. Sie erzählt von ihrem verstorbenen Vater, der auf einer Baumwollplantage in Mississippi aufgewachsen ist; sie erzählt, wie ihre Tante die Lynchmorde der Zeit verdrängt hat. Der Podcast hat einen persönlichen Zugang, ohne überfrachtet zu sein. Denn wo dieser nicht passt, erzählen Kolleginnen und Kollegen. Das ist ein sehr angenehmes Wechselspiel.

Gewalt als Teil der amerikanischen Gründungsgeschichte

Das zentrale Motiv, das sich durch den Podcast zieht, ist der Versuch, die Sklaverei und die damit verbundene Gewalt in die Gründungsgeschichte der USA hinein zu erzählen. Das wird schon in der ersten Folge klar. Darin ist das zentrale Moment die Declaration of Independence 1776 – das Gründungsdokument der Vereinigten Staaten. Hannah-Jones erzählt, wie Thomas Jefferson feierlich dieses Dokument entwirft; wie Jefferson diese Worte schreibt, die heute alle auswendig aufsagen können – um dann darauf zu kommen, auf was für einer Heuchelei diese Worte beruhen. Denn Thomas Jefferson hatte selbst einen Sklaven im Teenageralter dabei, der Halbbruder von Jeffersons Frau. Anhand von solchen Momenten zeigt der Podcast sehr anschaulich, wie die, die am lautesten von Unabhängigkeit reden, selbst die größten Sklavenhalter waren.
In Folge zwei geht es um die Ökonomie der Sklaverei, also darum, wie die Baumwollindustrie und die Sklaverei das Rückgrat der amerikanischen Wirtschaft wurden – und im Grunde auch des globalen Banken- und Kreditsystems. Auch das klingt wieder nach einer Menge Holz, wird aber im Grunde relativ geradlinig entlang zentraler Entwicklungen in einem Gespräch zwischen Hannah-Jones und einem Kollegen erzählt.

Popkultur als Verhöhnung

Folge drei ist ein unfassbar guter Essay, der nach den schwarzen Einflüssen in der US-amerikanische Popmusik fragt. Diese werden bis hin zu dem ersten Blackfacing-Auftritt der Bühnenfigur "Jim Crow" 1832 zurückverfolgt. Da wird eine Popkultur skizziert, die sehr lange darin bestand, dass weiße Musiker Schwarze imitieren – oder sich vorstellen, wie Schwarze zu singen – und durch die Aneignung und Verhöhnung einen Weg gefunden haben, mit der Gewalt in ihrem Alltag irgendwie genussvoll umzugehen. In Folge vier geht es darum, was das US-amerikanische Gesundheitssystem mit der Sklaverei zu tun hat. Und das war es dann leider erst einmal.
Manchmal gibt es indes erzählerische Krücken, bei denen fraglich ist, ob diese sein müssen. Beispielsweise wird der gesamte Essay zum Ursprung der US-Popmusik so erzählt, als würde jemand Gemüse schnippeln und Musik hören. Nebenbei macht er sich diese Gedanken. Doch es ist nie so, dass es stören würde, weil die Erzählperson das Erkenntnisinteresse verkörpert und nie nervt. Es bleibt zu hoffe, dass der Podcast anderen Mut macht, so latent größenwahnsinnige Strukturen zu erzählen, dass man es gern hört.
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