Pariser Konzertszene nach Terroranschlag

"Musik darf nie aufhören"

Die deutsche Hardrock-Band "Scorpions" gibt am Abend des 24.11.2015 in der ausverkauften Halle Bercy in Paris ein Konzert. Im Publikum wird dabei ein Transparent mit dem Schriftzug "Bataclan" entrollt, dem Ort, wo bei den Terroranschlägen in Paris 89 Menschen ihr Leben verloren.
Publikum einem Konzert der Band Scorpions in Paris. © picture alliance / dpa / Nicolas Carvalho Ochoa
Von Martina Zimmermann · 09.12.2015
Knapp einen Monat sind die Terroranschläge von Paris nun her - sie trafen auch das Herz der Pariser Musikszene. Doch Musiker wie Kneipenbesitzer versuchen, der Angst mit einer trotzigen "Jetzt erst recht!"-Haltung zu begegnen.
Die Chapelle de Lombards ist ein legendärer Ort der Pariser Musikszene. Der kleine Club befindet sich seit 1981 im Bastille-Viertel in der Rue de Lappe im Herzen der Stadt. In der "Chapelle" – die Kapelle – wie die Pariser die Diskothek auch nennen, treten Künstler aus aller Welt auf, afrikanische Stars, Sänger von den Antillen oder Latinobands aus Kuba und Puerto Rico.
François Maincent hat die Diskothek vor einem Jahr zu neuem Leben erweckt. Doch am Wochenende nach den Attentaten war der Laden geschlossen. Und zur Wiedereröffnung am Mittwoch darauf kam niemand.
"Es war nicht nur Angst, auch Traurigkeit. Jeder fühlte sich betroffen von dem Drama, das einen jeden hätte treffen können, Sie, mich, uns. Die Augen der Leute waren traurig und es wurde weniger gefeiert."
In der Rue de Lappe reihen sich 42 Bars und Kneipen aneinander, inzwischen ist die Gasse wieder voll wie eh und je. Kader, der Wirt einer Kneipe, hat bei dem Attentat zwei Freunde verloren, eine Freundin überlebte nach zwei Operationen:
"Die Pariser haben keine Angst, aber die Politiker machen uns Angst"
"Wir vergessen nicht, aber wir leben. Die Pariser haben keine Angst aber die Politiker machen uns Angst. Statt uns zu beruhigen und sich um die Sicherheit zu kümmern, sagen sie es könnte Attentate mit Chemiewaffen geben und solche Sachen."
Türsteher Sako dazu:
"Die Pariser bekommen jetzt keine Psychose. Wenn sie sich zuhause einschließen, geben sie diesen Deppen Recht, die keine Muslime sind, sondern wilde Barbaren, die Terror säen. Aber die werden nicht gewinnen, das Leben wird gewinnen."
Auch das "Studio de l'Ermitage" im Stadtteil Menilmontant füllt sich so langsam wieder mit Publikum. Das Konzert mit Jazzmusiker Patrice Caratini und seiner Bigband ist voll – es gehen 250 Leute in den Saal. Der "Patron" des Clubs wird von allen bei seinem Vornamen gerufen, Chadli meint:
"Wir Veranstalter haben mehr Angst wegen der Sicherheit, aber das Publikum kommt wieder."
Ausgehen statt Zuhause zu bleiben
Ein Security-Mann überwacht den Eingang, durchsucht die Taschen. Ansonsten hofft Veranstalter Chadli, dass die Polizei im Viertel aufpasst - schließlich ist es nicht weit weg von den Orten der Attentate. Der 22-jährige Politikstudent Jules meint auf Deutsch:
"Ich war mit Freunden vor kurzem in zwei Konzerten, wir hatten jetzt nicht besonders Angst. Ich war auch mit meiner Mutter dort, vor zwei Wochen, vor einer Woche und jetzt. Auch aus Protest müsste man abends noch mal ausgehen und Abende wie heute verbringen ist auch wichtig."
Seine 21-jährige Freundin Sarah studiert Kunstgeschichte:
"Manche haben Angst, aber ich finde, man muss weiterhin ausgehen und leben. Wir kamen zufällig hierher, statt nebenan ein Couscous zu essen. Es war super."
Patrice Caratini gab in diesem Herbst eine ganze Reihe von Konzerten und wird sein 50-jähriges Bühnenjubiläum im Frühjahr im Pariser Theater du Chatelet feiern. Nach all dieser Zeit lässt er sich nicht einschüchtern:
"Die Welt besteht aus Unglück. Langfristig betrachtet, waren wir seit ein paar Jahrzehnten eher geschützt, aber wissen Sie, während des Krieges und der Besatzung in den 1940er-Jahren wurde in Frankreich weiterhin Musik gespielt. Musik darf nie aufhören."
Um daran zu erinnern, dass Jazz ursprünglich Tanzmusik war beendet Caratini den Abend mit einem Ball. Alt und Jung tanzt begeistert mit, improvisiert auf Chacha oder Musette. Thierry, ein Musikfan, geht seit den Attentaten täglich aus. Er zitiert sinngemäß den algerischen Dichter Tahar Djaout,:
"Wenn Sie zuhause bleiben können Sie sterben, wenn Sie ausgehen, können Sie sterben. Also sollten Sie ausgehen!"
Genau sagte Djaout, der 1993 als einer der ersten Intellektuellen vor seiner Wohnung in Algier von Islamisten erschossen wurde:
"Wenn du schweigst, stirbst du, und wenn du redest, stirbst du. Also rede und stirb!"
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