New-York-Krimi

Der hässliche Bruder von James Bond

Blick auf den East River mit Manhattan im Hintergrund, aufgenommen vom Ufer in Williamsburg, Brooklyn, New York am 22.06.2014
Blick über den East River auf die Skyline von Manhattan © picture alliance / dpa / Alexandra Schuler
Von Marten Hahn · 19.09.2014
In einem postapokalyptischen New York spielt der zweite Roman der Noir-Reihe von Nathan Larson. Die Dialoge zwischen dem Auftragskiller Dewey Decimal und einem befreundeten Hacker gehören zum Coolsten, was dem Krimi in jüngster Zeit passiert ist.
Das Knie ist kaputt. Die Erinnerungen sind implantiert. Und die eigene Identität ins Schwimmen geraten. Die Figur, die Nathan Larson in seinen Dewey-Decimal-Romanen durch ein postapokalyptisches New York schickt, ist so etwas wie der kleine, hässliche Bruder von James Bond. Dewey Decimal liebt seine Anzüge – gefunden in geplünderten und aufgegebenen Läden –, er pflegt seine Rituale – "Sicherheit, Hygiene und Sonstiges" –, und er hat eine Schwäche für gefährliche Frauen. Nur einer Majestät dient er nicht. Eigentlich arbeitet Decimal für niemanden, außer für sich selbst.
In "Boogie Man", dem zweiten Roman der Reihe, sucht der Auftragskiller nach dem Mörder einer Prostituierten und ihres Kindes. Dabei tritt er allen Größen der regierenden Halbwelt so lange auf die Füße, bis es richtig knallt.
Nathan Larson, geboren 1970, hat für seine unverwechselbaren SciFi-Krimis eine Welt entworfen, in der "das Desaster zum Normalzustand mutiert ist", schreibt Herausgeber Thomas Wörtche im lesenswerten Nachwort zum ersten Band "2/14". Und so spielt es keine Rolle, warum und wie New York am Valentinstag 2014 verwüstet wurde: Es gibt nur noch eine sinnentleerte Gegenwart. Dieses Vakuum füllt Decimal mit neurotischen Ticks: Ständig desinfiziert er seine Hände, vormittags biegt er immer links ab, überhaupt sucht er zwanghaft nach einer Ordnung. Geplagt von posttraumatischen Belastungsstörungen und den Nachwehen medizinischer Experimente tut der Ex-Soldat nichts lieber, als die Bestände der – ebenfalls verwüsteten – New York Public Library zu ordnen: nach der Dewey-Dezimalklassifikation (DDC). Daher sein Spitzname.
DDC nutzt Zahlen zwischen 0 und 9, um Literatur in Klassen zu unterteilen. Die zehn Hauptklassen reichen von Informatik (000) bis Geschichte und Geografie (900). "Boogie Man" beispielsweise würde zunächst der Hauptklasse Literatur (800) zugeordnet und dann in der Unterklasse Amerikanische Literatur in Englisch (810) dem Bereich Amerikanische Erzählprosa (813) zugeteilt.
Die Tonspur hängt, die Bilder rasen
Nathan Larson verdiente sein Geld bisher vor allem als Musiker und Filmkomponist. Kein Wunder also, dass "Boogie Man" filmisch geraten ist. Allerdings gerät Literatur, die Film sein will, oft schnell ins Stocken. Und auch Larsons erzählte Actionsequenzen wirken plump: Die Tonspur hängt, während die Bilder rasen. Aber Larson wäre nicht Larson, hätte er über seinen Verlag nicht schon eine Playlist alias Soundtrack zum Roman verbreiten lassen. Hollywood, ick hör dir trapsen.
Trotz dieser Schwächen hat Larsons Prosa einen unheimlichen Drive. Die Dialoge zwischen Decimal und seinem Hacker-Freund Dos Mac gehören zum Coolsten, was dem Krimi in jüngster Zeit passiert ist. New Yorker dürften Larsons Geschichten zudem wie eine Art Anti-Heimatroman lesen. Regelmäßig lässt der Autor liebevoll den Blick über die kaputte, vergiftete Stadt und ihre Wahrzeichen schweifen.
"Boogie Man" ist atemberaubendes "Noir" made in USA - düster, brutal und humorvoll. Es wird geschossen, gefoltert und gestorben. Und am Ende? Steht er da, der bücherliebende Held, genauso verkrüppelt wie die Stadt, durch die er sich bewegt, und weiß: Nichts wird gut. Allen coolen Sprüchen zum Trotz.

Nathan Larson: Boogie Man
Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Stumpf
Diaphanes Verlag, Zürich 2014
288 Seiten, 17,95 Euro

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