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Salafismus
Die Radikalisierung junger Frauen

Radikaler Islamismus ist längst keine Männersache mehr, auch Frauen fühlen sich davon angezogen. Und nur wenigen gelingt es, zu reflektieren und auszusteigen. Eine Frau hat es erfolgreich geschafft - und erzählt ihre Geschichte.

Von Murat Koyuncu | 24.10.2016
    Vollverschleierte Frauen auf einer Kundgebung des radikalen Salafistenpredigers Pierre Vogel in Offenbach.
    Verschleierte Frauen auf einer Salafisten-Kundgebung: Auch Frauen radikalisieren sich. (dpa / picture alliance / Boris Roessler)
    Auf der Terrasse eines Cafés sitzt eine junge, schlanke Frau und ließt in einem Buch. Sie ist modisch gekleidet: ein mit blumenbedruckter Rock, darüber ein Langarmoberteil. Ihre dunkelblonden Haare sind zu einem Dutt hochgesteckt. Ihre schwarze Sonnenbrille verdeckt ein wenig ihr leicht geschminktes Gesicht. Nie würde man meinen, dass Stefanie islamistische Ansichten hatte und bereit war, in den sogenannten Heiligen Krieg zu ziehen.
    Vor rund zehn Jahren kam sie über Freunde mit dem Islam in Berührung, kaufte sich den Koran, informierte sich und konvertierte. Dies hatte allerdings Folgen:
    "Meine Eltern haben mich komplett ausgegrenzt. Mein Vater hat zu mir den Kontakt abgebrochen und meine Mutter akzeptiert es bis heute nicht.
    Sie hat mich auch misshandelt, bespuckt und geschlagen."
    Stefanie kapselte sich ab, lebte allein und wollte sich intensiver mit dem Islam auseinandersetzen. Sie entschied sich, in der noch damals bestehenden sogenannten Islamschule Braunschweig mehr darüber zu erfahren."
    Radikalisierung per Facebook
    Von 2007 bis zu ihrer Schließung im Jahr 2012 bildete sie laut Verfassungsschutz Islaminteressierte zu Islamisten aus. Auch übers Internet kam sie in Kontakt mit radikalen Ideen:
    "Und habe mir aufgrund dessen einen Laptop gekauft. Dann habe ich mir auch einen Facebook-Account eingerichtet und dann etwa 100 Personen in die Freundesliste eingefügt. Unter diesen Personen waren auch Muslime, die eher radikal eingestellt waren, was mir aber nicht bewusst war. Es gab sehr viele Videos und Texte über Facebook, die auch mit der Zeit radikaler wurden, was mir auch nicht bewusst war. Allerdings habe ich das immer unterschwellig bejaht. Das hat mir immer so ein gutes Gefühl gegeben. Und es hat den Anschein erregt: Da sind Menschen, die Ahnung von der Religion haben."
    Vor allem die sogenannten Nashids hätten ihre zunächst leicht fanatischen Ansichten bestärkt:
    "Jihad-Nashids, das sind extrem radikale Gesänge, in denen es darum geht, Andersgläubige schlecht zu machen oder in denen auch aufgerufen wird, diese zu töten, teils aber auch radikale Äußerungen. Die Videos, besonders in Kombination von Ton, Bild und Untertitel haben dann noch mal eine verstärkte suggestive Wirkung. Und wenn man sich die jeden Tag anguckt, ist alleine das schon ausschlaggebend für eine sehr starke Manipulation. Und genau das ist bei mir auch passiert."
    In dieser Zeit nahm Stefanie auch an internen Veranstaltungen der damals noch existierenden radikalen Bewegung Millatu Ibrahim teil.
    Eindeutige Gehirnwäsche, sagt sie heute:
    "Ich bin ja in die Richtung gepusht worden: Kämpfe für Gott, tue alles für Gott, alles andere ist unwichtig. Egal, wie es dir in diesem Leben geht. Und je schlechter es dir geht, desto mehr Punkte wirst du bei Gott kriegen. Und du wirst dann dort ins Paradies kommen, wenn du im Krieg getötet wirst."
    Beeinflusst durch Hasspredigten wollte sie nur noch eines: Ausreisen und den Terrorismus unterstützen.
    "Dann gab es allerdings viele Leute, die gesagt haben: Nein, du ist eine Frau, du hast, wenn dann dort Kinder zu gebären und dich um die Verletzten zu kümmern, den Haushalt zu führen. Und damit konnte ich mich nicht identifizieren. Und ich denke, dass das auch der Grund war, was mich dann davon abgehalten hat."
    Beginn der Reflexion
    Zudem wurde ihr lockerer Kleidungsstil stark kritisiert. Denn komplett verschleiern, wie es ihre angeblichen Glaubensgeschwister von ihr verlangt hatten, wollte sie sich nicht. Stefanie begann, zu reflektieren, und konnte sich in dem ihr vorgelebten Islam nicht wiederfinden.
    "Und da habe ich mir gedacht: Kann ja nicht sein, ich habe ja die Werte des Islams gesucht und diese Menschen dort, die konnten mir das ja nicht geben. Habe mich dann immer distanziert. Dieser Prozess hat dann etwa ein halbes Jahr gedauert. Und dann bin ich da auch rausgewesen."
    Stefanie suchte das Gespräch mit Geistlichen aus unterschiedlichen Moscheeverbänden in ihrer Umgebung, die ihr Unterstützung gaben und sie an das Aussteigerprogramm "Wegweiser" vermittelten. Hier nahm sie an Gesprächskreisen teil, erzählte ihre Geschichte und konnte sich mit Menschen austauschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten.
    Aber letztendlich habe sie es alleine, mit ihrem eigenen Willen, geschafft, aus dieser Bewegung auszusteigen. Mittlerweile lebt sie in einer anderen Stadt. Zu den Menschen aus ihrer Vergangenheit bestehe kein Kontakt mehr. Auch Druck oder Drohungen vonseiten der Islamisten habe es nicht gegeben. Heute lebt sie als Muslimin. Und vorher war sie es nicht, sagt sie.