Neuseeland und die Maori-Renaissance

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22:10 Minuten
Maoris feiern de Waitangi-Tag in Neuseeland.
Maoris feiern de Waitangi-Tag in Neuseeland. © Getty Images / Phil Walter
Von Michael Frantzen · 04.03.2019
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Rund 600.000 der 4,7 Millionen Neuseeländer haben Maori-Wurzeln. Doch nur eine Minderheit spricht fließend Te-Reo, die Sprache der Maori. Premierministerin Jacinda Adern will das ändern. Und hat mit ihrem eigenen Baby angefangen.
Es dauert noch einen Augenblick. Ella Henrys wissenschaftliche Mitarbeiterin hebt die Hände. Ihre Chefin muss schnell eine Email zu Ende schreiben. "Urgent" sei das – dringend. Das kommt häufiger vor am "Institut für Maori-Studien" der Technischen Universität von Auckland, der neuseeländischen 1,6-Millionen-Metropole.
Sonnenuntergang in Auckland, der größten Stadt Neuseelands,  mit zwei großen Häfen im Norden der Nordinsel.
Sonnenuntergang in Auckland, der größten Stadt Neuseelands, mit zwei großen Häfen im Norden der Nordinsel.© afp / Paul Ellis
Ella Henry ist ganz in ihrem Element. Die Mail: Ein Bewerbungsschreiben für eine Konferenz in den USA. Über indigene Völker. Die 64-jährige Wissenschaftlerin schaut kurz hoch: Wird schon klappen. Schließlich hat sie sich in den letzten zwei Jahrzehnten einen Namen gemacht als Expertin für Maori-Studien.
"The cultural renaissance we call it. The Maori renaissance."
Die kulturelle Renaissance der Maori – der Urbevölkerung Neuseelands: Das ist Ellas Lebensthema.
Ella Henry, Dozentin für "Maori Studien" im Marae, dem zeremoniellen Mittelpunkt der Technischen Universität von Auckland.
Ella Henry, Dozentin für "Maori Studien" im Marae, dem zeremoniellen Mittelpunkt der Technischen Universität von Auckland.© Michael Frantzen
"Maori dignity and Maori culture. And valuing our identity and language."
Um Würde geht es ihr; Identität; ihre Muttersprache. Ella klappt ihr Notebook zusammen. In ihrem Büro, in dem die Bilder ihrer Vorfahren auf Tuchfühlung gehen mit einem handsignierten Foto des Friedensnobelpreisträgers Nelson Mandela. Es kann losgehen.
"Wir haben es geschafft, Teil der neuseeländischen Gesellschaft zu werden. Viele Neuseeländer haben kein Problem mehr damit, wenn sie herausfinden: 'Ich habe Maori-Wurzeln.' Im Gegenteil: Sie finden es cool. Es ist etwas Positives. Es macht uns einzigartig. Viele weiße Neuseeländer tragen heute als Erkennungszeichen einen grünen Stein um den Hals. Sie haben das von uns, den Maori. Im Ausland kommt es häufiger vor, dass jemand den Stein sieht und meint: Ah, du bist auch Neuseeländer?! Klasse. Und sie sagen 'Kia ora' – Hallo. Oder machen den Haka – unseren rituellen Tanz. Ich glaube, wir Maori bereichern die kulturelle Vielfalt Neuseelands."
Streetart aus Westport auf der Südinsel Neuseelands.
Streetart aus Westport auf der Südinsel Neuseelands.© Michael Frantzen
Rund 600.000 der 4.7-Millionen Neuseeländer haben Maori-Wurzeln. Ella zeigt auf die Fotos gegenüber von ihrem Schreibtisch: Ihre Ahnengalerie. Das Schwarz-weiß-Foto links: Ist ihre Großmutter. Sie lebte in bitterer Armut – ohne Strom, der nächste Arzt meilenweit entfernt. Rechts: Das ist ihr Vater – in Uniform, kurz bevor er 1939 in den Zweiten Weltkrieg zog. Und die drei jungen Frauen in der Mitte: Ihre erwachsenen Töchter.

Karriere in der Filmindustrie

Alle berufstätig, alle: erfolgreich in der Filmindustrie. Das kommt nicht von ungefähr: Ella hat selbst länger beim Fernsehen gearbeitet. "Ask your Auntie" — "Frag Deine Tante" hieß ihre Erfolgs-Serie vor über zehn Jahren – mit Ella als kongenialer Ober-Tante.
"Letztes Wochenende war ich ganz im Norden in einem Ort Namens Kia – etwa vier Autostunden von Auckland entfernt. Mein Stamm kommt von dort. Wir waren auf dem Rückweg nach Hause und ich wollte unbedingt einen Kaffee. Ich steige aus und da kommen mir diese zwei Typen entgegen. Ich denke noch so: Oh, oh, da meint der eine auch schon: 'Ich kenne dich doch aus dem Fernsehen! Du bist Auntie! Ich habe deine Sendung geliebt. Darf ich dich umarmen?' Das war nett. Es ist wunderbar, nach all der Zeit mit einer Serie in Verbindung gebracht zu werden, die eine positive Botschaft hatte. Wir waren lauter Frauen in der Show. Das war ganz neu: Eine Serie nur mit Maori-Frauen. Noch dazu schlau. Normalerweise wurden Maori-Frauen in TV-Serien immer nur geschlagen. Oder sie waren betrunken oder halb tot. Es war zum Heulen. Deshalb war "Ask your Auntie" so toll. Wir konnten Ratschläge geben – und Vorbilder sein. Noch dazu sahen wir toll aus. Wir waren toll und weise."
Bilingual im Pazifik - Zweisprachiges Warnschild von der Südinsel Neuseelands.
Bilingual im Pazifik - Zweisprachiges Warnschild von der Südinsel Neuseelands.© Michael Frantzen

Früher war es verboten, Maori zu sprechen

Sachen ausprobieren, in Frage stellen, sich neu erfinden: Das hat Ella schon immer getan. Als Teenager verließ sie ihr Elternhaus. Färbte sich die Haare grün. Das Energiebündel schließt für ein paar Sekunden in ihrem Büro die Augen. Die 70er Jahre: Das waren "Sex, Drugs and Rock’n Roll". Spannend, aber auch aufreibend. Genau wie die 90er: Eine Zeitlang war sie Geschäftsführerin von Greenpeace Neuseeland, danach Parlaments-Kandidatin der Labour Party – der Sozialdemokraten. Sie lacht: Für die Politik war sie nicht geschaffen. Dann lieber Fernsehen. Und ihre zweite große Leidenschaft: Bildung. Ihre Doktorarbeit verfasste die 69-Jährige über "Maori als Firmengründer". Alles wunderbar, wenn da nicht ihr kleines "Manko" wäre, wie sie das nennt: Ella unterrichtet zwar am "Institut für Maori-Studien". Doch vernünftig Maori kann sie nicht.
"Ein Grund, warum ich kein fließendes Maori spreche, sind meine Eltern. Sie haben mit mir so gut wie nie Te-Reo – also Maori - geredet – wie die Mehrzahl der Maori ihrer Generation. Sie haben es sich nicht getraut. Es war verpönt, Maori zu sprechen. Meine Eltern waren regelrecht traumatisiert. Sie wollten, dass ich mich in der weißen, englisch-sprachigen Welt zurechtfinde. Unsere Sprache wurde nicht geschätzt. Du musst nicht denken, dass es an meiner Schule Maori-Unterricht gab. Es war strikt verboten, Maori zu sprechen. Wir wurden bestraft, wenn wir dabei erwischt wurden."

Die Regierung fördert die Maori-Sprache

Laut offiziellen Angaben sprachen 2013 nur noch 3,7 Prozent der Kiwis, der Neuseeländer, fließend Te-Reo. Das liegt auch daran, dass die Maori trotz aller Fortschritte immer noch sozial schwächer gestellt sind. So ist ihre Arbeitslosenquote mit rund neun Prozent mehr als doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt. Doch zumindest die Zahl der Maori-Sprecher steigt wieder. Auch, weil die neuseeländische Regierung gegensteuert. So will Premierministerin Jacinda Ardern erreichen, dass bis 2040 mindestens zwanzig Prozent aller Neuseeländer Maori können.
Leuchtendes Vorbild - Regierungschefin Jacinda Adern hat ihrem Baby einen Maori-Namen gegeben.
Leuchtendes Vorbild - Regierungschefin Jacinda Adern hat ihrem Baby einen Maori-Namen gegeben.© dpa/picture alliance
Ella strahlt: Sie hält viel von Ardern. Natürlich hat sie mitbekommen, dass die 38 Jahre alte Sozialdemokratin im Juni letzten Jahres ihr frisch geborenes Baby "Neve Te Aroha" genannt hat. Neve ist irisch – und bedeutet strahlend. Und Te Aroha "Liebe" – auf Maori. Kritiker spotteten, das sei ziemlich dick aufgetragen. Doch Ella ficht das nicht an. Ihr ist Symbolik wichtig – auch an der Universität.
"Du kannst ruhig durchgehen. Unser Gebäude ist mit dem Marae – dem zeremoniellen Mittelpunkt der Universität – über diese Brücke verbunden. Sie ist so etwas wie die physische und metaphysische Verbindung mit unserer Gemeinschaft."
Solche Marae sind typisch für Maori-Siedlungen. Inzwischen gibt es diese Treffpunkte auch an allen neuseeländischen Universitäten.
"This is the real gateway to our university."

Ein Wendepunkt für Neuseeland

Die Erstsemester-Woche, Konferenzen, Diplomfeiern: Das Marae ist DAS Tor zur Universität. Ella geht im Saal zu einer der Meterhohen geschnitzten Statuen: Es ist die Statue ihres Stammes. Luftlinie sind es gut vier Kilometer von der Technischen Universität im Stadtzentrum bis zum "Mount Eden Village" – einem der besseren Viertel Aucklands. Der Cappuccino: Er kostet schnell schon einmal acht neuseeländische Dollar – umgerechnet rund vier Euro. Am Straßenrand: Parken Porsches neben Teslas, den Elektroautos. Sonderlich viele Maori sieht man nicht, doch man sollte sich dadurch nicht täuschen lassen.
"We are at the turning point now."
Neuseeland befindet sich an einem Wendepunkt: So sieht das Guyon Espiner – einer der bekanntesten Moderatoren des Landes. Es ist Dienstagvormittag, kurz nach halb elf. Der durchtrainierte 48-Jährige hat heute frei. Normalerweise moderiert Guyon bei Radio New Zealand – der öffentlich-rechtlichen Radiostation — den "Morning Report".
"Wir versuchen, so oft es geht, zu Hause Maori zu sprechen" - Guyon Espiner, einer der bekanntesten Radio- und Fernsehmoderatoren Neuseelands.
"Wir versuchen, so oft es geht, zu Hause Maori zu sprechen" - Guyon Espiner, einer der bekanntesten Radio- und Fernsehmoderatoren Neuseelands.© Michael Frantzen
In Neuseeland hat sich der schwarz gekleidete Typ einen Namen gemacht: Als kritischer Fragesteller – und jemand, der dafür sorgt, dass Te-Reo – die Sprache der Maori – langsam, aber sicher ihren Platz findet in der Mitte der neuseeländischen Gesellschaft.
"Ich denke, wir befinden uns gerade an einem sehr interessanten Punkt. Es gibt ein stärkeres Interesse für die Maori Kultur; größere Anerkennung. Immer mehr Leute lernen die Sprache. Schau dir nur die Werbung an! Auf vielen Plakaten tauchen Wörter auf Te-Reo auf – unübersetzt. Das gleiche in Zeitungsartikeln. Moderatoren wie ich benutzen Maori-Begriffe oder ganze Sätze. Es kommt sogar vor, dass Interviews im Hauptprogramm unseres öffentlich-rechtlichen Fernsehens auf Maori geführt werden. Das ist neu und nimmt zu. Deshalb: Ja, ich denke, wir sind möglicherweise an einem Wendepunkt."

"Wir lernen zusammen Maori"

Guyon stammt aus Christchurch – der größten Metropole der neuseeländischen Südinsel. Schotten, Engländer, Iren: In seiner Jugend war die 380.000-Einwohner-Stadt europäisch geprägt, Maori kannte er so gut wie keine. Das änderte sich erst, als er zum Studium nach Auckland ging – und später als Journalist anfing, Te-Reo zu lernen.
"Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Zunächst einmal: Meine Frau ist Maori. Wir haben eine gemeinsame Tochter, sie ist jetzt fünf und gerade eingeschult worden. Niko geht auf eine bilinguale Schule. Dort lernt sie gleichzeitig Englisch und Maori. Mir war das wichtig, dass sie beide Sprache beherrscht. Irgendwann dachte ich mir: Wenn Niko Maori spricht, wäre es vielleicht nicht verkehrt, wenn ich es auch kann. Deshalb habe ich angefangen Maori zu lernen. Meine Frau konnte schon etwas, sie hat es in der Schule gelernt. Doch mit der Zeit hat sie das meiste vergessen. Deshalb lernen wir jetzt zusammen. Wir versuchen, so oft es geht, zu Hause Maori zu sprechen."

Coole Sprüche mit "Kiwaha" - dem Maori-Podcast

Guyon mag einer der bekanntesten Radio- und Fernsehmoderatoren Neuseelands sein, doch am meisten angesprochen wird er neuerdings auf "Kiwaha" – sein Podcast.
"Wir bringen den Leuten Redensarten auf Maori bei. Slang. Sachen für den Alltag. Was weiß ich: Wenn dich jemand fragt: Glaubst du, die All Blacks gewinnen heute Abend? Das ist die neuseeländische Rugbymannschaft. Dann sagst du: Imi Ama qä. Was denkst denn du?! Natürlich! Imi Ama qä. Da fragst du noch. Durch unseren Podcast soll es dir leichter fallen, die Sprache zu lernen. Einfach nur Grammatik zu pauken ist anstrengend. Und langweilig. Das ist: Ho ha. Einfach öde. Unser Ansatz soll Spaß machen. Im Idealfall nutzen die Leute diese Sprüche im Alltag. Weil es coole Sprüche sind. Die ziemlich lustig sein können."

Aber auch negatives Feedback

Alle zwei Woche bringt Guyon einen neuen Podcast heraus – zusammen mit Shannon, seiner Maori-Kollegin. Im Sender kommt das gut an: Der Chefredakteur unterstützt die Reihe. Der eine oder andere Politiker weniger. Der Moderator verzieht das Gesicht. DAS Thema. Darauf hat er eigentlich keine Lust. Auf Don Brash. Schon seit längerem hat sich der Ex-Chef der oppositionellen National Party auf Guyon eingeschossen. Der Rechtsaußen klagt, Guyons Podcast und seine Moderationen würden ihn "total krank" machen.
"Ehrlich gesagt: Wir haben viel negatives Feedback erhalten. Ziemlich viel Amu Amü: Ziemlich viel Wut. Es ist zwar nur ein kleiner Teil unserer Hörerschaft, aber das sind meist die, die meckern. Das Meiste war unter aller Sau. Dann gibt es noch die, die schreiben: "Guyon, ich finde, du machst das gut, aber mir gefällt dein Kauderwelsch nicht." Wenn du ihnen antwortest und fragst: Ja, warum denn nicht?! Dann kommt meist nichts. Diese Beschwerden verlaufen in Wellen. Ich weiß schon: Wenn ich in meiner Sendung zur Begrüßung etwas Neues auf Maori sage, hagelt es wieder Kritik."
Guyon lässt sich dadurch nicht beirren. Im November hat er den "Nationalen Maori Sprach-Preis" erhalten – für seine Verdienste "den Gebrauch der Maori-Sprache zu normalisieren" – hieß es in der Laudatio.
Einigermaßen gut Maori kann auch Carmel Sepuloni. Die Ministerin für soziale Entwicklung hat gerade alle Hände voll zu tun. Es sind Ferien – sprich: Isaiah, ihr quirliger 5-Jähriger bleibt bei ihr zu Hause in West-Auckland. Still sitzen und ruhig bleiben: Davon sei Isaiah nur schwer zu überzeugen, meint die 41-jährige Politikerin lachend. Aber Gott sei Dank gibt es ja noch Shalleen: Ihre persönliche Assistentin – und Teilzeit-Kindergärtnerin.
Carmel Sepuloni, die neuseeländische Ministerin für soziale Entwicklung, mit ihrem Sohn Isaiah.
Carmel Sepuloni, die neuseeländische Ministerin für soziale Entwicklung, mit ihrem Sohn Isaiah.© Michael Frantzen
Die Sozialdemokratin hat in Wellington, der Hauptstadt, eine steile Karriere hingelegt: 2008, bei ihrem Einzug ins neuseeländische Parlament, war sie die erste Abgeordnete, deren Vorfahren aus Tonga und Samoa stammen – den Südsee-Inseln. Neben den Maori sind die Samoer und Tongaer die zweitgrößte Minderheit Neuseelands. Vor zwei Jahren dann der Sprung ins Ministeramt. Sie hat es geschafft, doch ihre Wurzeln sind ihr immer noch wichtig – genau wie Neuseelands multikulturelles Erbe.
"Ich kann nicht behaupten, dass ich Maori perfekt spreche. Aber ich hatte das Glück, in einer Gegend aufzuwachsen, wo es relativ leicht war, Maori zu lernen. Ich hatte es in der Grundschule. Und später auf der weiterführenden Schule. Ich habe mich von Anfang an von der Maori-Kultur angezogen gefühlt. Ich habe ja pazifische Wurzeln. Uns verbindet einiges: Gemeinsame Traditionen, eine gemeinsame Geografie und Geschichte. Das war mir schon als Jugendlicher bewusst."

Ministeriums-Website auf Maori

Jemand wie Guyon, der in seiner Radiosendung auf Maori redet: Carmel hat damit kein Problem, im Gegenteil: Sie findet das gut.
"Das ist typisch für Neuseeland. Das ist bei den Behörden, die mir als Ministerin für soziale Entwicklung unterstehen, auch nicht anders: Wir setzen alles daran, dass wir mit denjenigen vernünftig kommunizieren können, die unsere Hilfe in Anspruch nehmen wollen. Für mein Ministerium heißt das: Auf unserer Website gibt es selbstverständlich alle Informationen auf Maori. Te-Reo ist schließlich offizielle Amtssprache. Doch das reicht uns nicht. Wir wollen sicherstellen, dass unser Service wirklich allen offen steht. Deshalb sprechen unsere Mitarbeiter nicht nur Englisch und Maori, sondern auch andere Sprachen. Wenn ich recht informiert bin, gibt es unser Leitbild im Internet in zwölf verschiedenen Sprachen."
Von Hause aus ist Carmel Grundschullehrerin. Doch an einer Grundschule unterrichtet hat sie nie. Hat sich nicht ergeben, meint sie lakonisch, während sie mit einem Auge Isaiah ins Visier nimmt. Ihr erster Job nach der Universität war gar nicht weit entfernt von ihrem Haus mit dem subtropischen Garten in West-Auckland. Schulabbrecher hat sie unterrichtet – Kids aus samoischen und tongaischen Familien. Viele nur ein paar Jahre jünger als sie.
"Der Grund, warum ich unbedingt Jugendliche unterrichten wollte, hat mit meiner Herkunft zu tun. Viele meiner Mitschüler haben die Schule geschmissen, andere minderjährig Kinder bekommen. Schon damals dachte ich mir: Wie kann das sein?! Dass so viele talentierte Jugendliche es nicht schaffen?! Das hat mich nicht ruhen lassen. So viel verschwendetes Talent. Deshalb wollte ich mit jungen Leuten meiner Community zusammenarbeiten. Um ihnen eine Chance zu geben, etwas aus ihrem Leben zu machen."

Das neuseeländische Trash-Metal-Wunder

Die "Maori Renaissance": Sie macht sich auch in Neuseelands Provinz bemerkbar – ziemlich lautstark sogar. Richtig wach ist Lewis noch nicht. Kein Wunder: Vorgestern sind er und Henry, sein Bruder, von einer Tour durch die USA zurückgekommen – nach Hause nach Waipu, einen verschlafenen Küstenort rund zwei Autostunden nördlich von Auckland. Der Langstreckenflug steckt ihnen immer noch in den Knochen.
"It’s actually pretty mind-blowing."
Ziemlich unglaublich sei die Tour gewesen, meint der 16-jährige Blondschopf. 21 Städte in einem Monat, meist vor ausverkauftem Haus. Alle wollten es sehen: Das "neuseeländische Trash-Metal-Wunder" – wie eine US-Website schrieb. Acht war Lewis, als er zusammen mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Henry "Alien Weaponry" gründete. Mit "Raupatu" gelang ihnen der Durchbruch. "Raupatu" ist Maori und bedeutet "Eroberung". Der Song, erklärt Henry, erinnert an ein dunkles Kapitel der neuseeländischen Geschichte: Der Konfiszierung von Maori-Land durch die britischen Kolonialherren im 19. Jahrhundert.
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Singen für die Sache der Maori - die Band "Alien Weaponry": Henry de Jong, Ethan Trembath und Lewis de Jong (von links).© Michael Frantzen
"Die Briten haben ziemlich hinterhältige Sachen gemacht. Sie haben Gesetze verabschiedet, die es ihnen ermöglichte Land zu konfiszieren - ohne dass die Maori die Möglichkeit hatten, darüber mitabzustimmen. Das ist ständig vorgekommen. In unserem Lied kommentieren wir das. Es ist ein wütender Song. Wir wollen aber niemanden anklagen. Wir wollen nur aufrütteln. Unser Ziel ist es, den Leuten die neuseeländische Geschichte näher zu bringen. Damit sie wissen, was wirklich passiert ist."

Den Maori-Unterricht kann man vergessen

Te-Reo sprechen Henry und Lewis fließend. War allerdings schon mal besser, wirft Lewis ein – während er mit seiner Gitarre spielt. Beide sind auf einen zweisprachigen Kindergarten gegangen – damals in Auckland. Ihr Vater ist Maori, ihrer Mutter Neuseeländerin mit niederländischen Wurzeln. Zu Hause reden sie meist Englisch. Ist einfacher. Und an der Schule? Lewis winkt ab: Den Maori-Unterricht dort kann man vergessen.
"Das Maori an meiner Schule? Vergiss es. Oft können die Lehrer es selbst noch nicht einmal vernünftig."
Dieses Jahr wollen Lewis und Henry ein neues Album herausbringen. Mit englisch-sprachigen Texten und welchen auf Maori. Ihre Fans können es kaum erwarten, anders als ihre Kritiker.
"Von den Maori kam keine Kritik. Dafür aber von den Pakeha – den Weißen. Sie haben uns angeschaut und gesagt: "Moment mal, ihr seid doch weiß. Ihr seid gar keine Maori. Was ihr da macht, ist einer klarer Fall kultureller Aneignung." Die verstehen es einfach nicht. Diese Idioten denken, deine Hautfarbe entscheidet automatisch über deine Rasse und Identität. So ein Quatsch! Das stimmt einfach nicht."
Dieses Jahr wollen "Alien Weaponry" wieder durch Neuseeland touren – mit ihrem neuen Album – und ihre Stimmen erheben: Gegen Ungerechtigkeit. Und für die Sache der Maori.
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