Neurowissenschaften

Alles neu im Gehirn

Das Modell eines menschlichen Gehirns
Das Modell eines menschlichen Gehirns © dpa / picture alliance / Weigel
Von Michael Lange  · 21.04.2014
Kein Mensch bleibt lebenslang der gleiche, kein Schicksal ist unabänderlich, denn das menschliche Gehirn passt sich immer wieder aufs Neue den Herausforderungen des Lebens und der Umwelt an. Wie groß die Lernfähigkeit ist, beschreibt der renommierte Hirnforscher Niels Birbaumer spannend und leicht verständlich am Beispiel vieler Menschen, die er persönlich kennengelernt hat.
Auch die eigene Lebensgeschichte des Autors zeigt, wie stark sich die Persönlichkeit eines Menschen verändern kann. Als Jugendlicher war er Mitglied einer Jugendgang und stach einem Kontrahenten kurzerhand mit einer Schere in den Fuß. Keiner hätte dem schwererziehbaren Rabauken damals eine Karriere als Hirnforscher zugetraut. Heute hat es der angesehene Professor zu seiner Lebensaufgabe gemacht, die Anpassungsfähigkeit des Gehirns für schwerkranke Menschen nutzbar zu machen.
So entwickelte Niels Birbaumer eine Methode, mit der völlig gelähmte so genannte Locked-in-Patienten wieder mit ihrer Außenwelt kommunizieren können. Sie lernen über ihre Gehirnströme einen Computer zu steuern, schreiben Wörter, bilden Sätze und treten mit anderen Menschen in Kontakt. Eindrucksvoll schildert das Buch die Fortschritte einzelner Menschen, die in die Welt zurückkehren und neuen Lebensmut schöpfen. Vor diesem Hintergrund bezieht Birbaumer klar Position gegen Patientenverfügungen und Sterbehilfe.
Auch Psychopathen können Mitgefühl entwickeln
Auch die Folgen von Schlaganfall, Parkinson, Depression oder Angsterkrankung lassen sich nach Ansicht von Niels Birbaumer durch gezieltes Lernen oft besser bekämpfen als mit Medikamenten. Sogar ein Psychopath kann durch Gehirntraining Mitgefühl entwickeln. Die Möglichkeiten, die die Lernfähigkeit des Gehirns bietet, werden seiner Meinung nach bei weitem nicht ausgeschöpft.
Und manchmal greift der Hirnforscher selbst zu äußerst unkonventionellen Therapien, wie bei einem Patienten namens Horst, der unter einer lähmenden Angst litt. Er packte den bewegungsunfähigen Horst in seinen alten Mercedes, rauschte bei Rot über die Ampeln und unternahm reihenweise waghalsige Überholmanöver. Und tatsächliche lockerte sich die Angststarre des Patienten. Sein Gehirn, das durch traumatische Erlebnisse in eine Art Schockzustand versetzt worden war, hatte gelernt wieder mit Gefahr umzugehen.
Das Buch bietet neueste wissenschaftliche Erkenntnisse bei hohem Lesegenuss. Die Anekdoten aus dem Leben und der Arbeit eines Hirnforschers steigern den Unterhaltungswert. So entstand ein rundum gelungenes wichtiges Sachbuch mit einer Prise Humor, zu dem sicher auch der Co-Autor, der bucherfahrene Wissenschaftsjournalist Jörg Zittlau, seinen Teil beigetragen hat.

Niels Birbaumer: Dein Gehirn weiß mehr, als du denkst
Neueste Erkenntnisse aus der Hirnforschung
Ullstein Buchverlage, Berlin
272 Seiten, 19,99 Euro

Mehr zum Thema